Bergotte saß nicht weit von mir, und ich hörte deutlich seine Worte. Da begriff ich den Eindruck des Herrn von Norpois. Er hatte in der Tat ein wunderliches Organ; nichts beeinträchtigt so sehr die materiellen Qualitäten der Stimme, als daß sie einen Gedanken enthält; der Klang der Diphtonge, die Energie der Labiale ist davon beeinflußt. Auch die Diktion ists. Seine schien mir ganz verschieden von seiner Schreibweise, und sogar das, was er sagte, von dem, was seine Bücher erfüllte. Die Stimme aber kommt aus einer Maske und genügt nicht, um uns gleich ein Gesicht wiedererkennen zu lassen, das wir im Werke unmaskiert gesehen haben. Bergotte drückte sich bei gewissen Stellen des Gesprächs in einer Weise aus, die nur Herrn von Norpois affektiert oder unangenehm vorkommen konnte, doch brauchte ich lange, um einen genauen Zusammenhang mit den Teilen seiner Bücher zu entdecken, in denen seine Form so dichterisch und musikalisch wurde. Er erblickte in dem, was er sagte, eine plastische Schönheit, die unabhängig war von dem Sinn des Satzes, und da das menschliche Wort wohl in Beziehung zur Seele steht, ohne sie aber so auszudrücken, wie es der Stil tut, schien Bergotte fast gegen den Sinn zu reden, indem er gewisse Worte psalmodierte und, wenn er in ihnen ein einziges Bild verfolgte, sie ohne Unterbrechung mit gleichem Klange in ermüdender Monotonie aneinanderreihte. Und die Darstellungskraft, die in seinen Büchern eine Bilderfolge und Harmonie ergab, wirkte in seiner Rede anspruchsvoll, hochtrabend und monoton. Dies zu bemerken wurde mir anfangs um so schwerer als das, was er in solchen Momenten sagte, gerade weil es echter Bergotte war, nicht so wirkte, als wäre es von Bergotte. Es war ein reicher Erguß präziser Ideen, die nicht einbegriffen waren in die ›Bergottemanier‹, welche sich viele Journalisten angeeignet haben; und diese Verschiedenheit war vermutlich – wenn auch nur undeutlich im allgemeinen Gespräch wie hinter einem angerauchten Glase wahrzunehmen – ein anderer Aspekt der Tatsache, daß keine Seite Bergottes, die man aufschlug, so war, wie sie irgend einer seiner platten Nachahmer geschrieben hätte, die doch in Artikeln und Büchern ihre Prosa mit Gedanken und Bildern à la Bergotte schmückten. Dieser Stilunterschied rührte daher, daß der echte ›Bergotte‹ vor allem ein gewisses kostbares reales Element war, das im Herzen eines jeden Dinges verborgen, von dem großen Schriftsteller dank seinem Genius zutage gefördert wurde, und diese Förderung war, was der holde Sänger bezweckte, er wollte nicht in ›Bergotte‹ machen. Allerdings machte er das doch, weil er selbst Bergotte und somit jede neue
Автор: | Marcel Proust |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9788027208821 |
länglichen Briefumschlag, auf dem mein Name geschrieben stand. Überrascht bedankte ich mich. Ich sah mir den Umschlag an, wußte aber nicht mehr damit anzufangen als etwa Fremde mit den kleinen Instrumenten, die man bei einem chinesischen Diner den Gästen gibt. Ich bemerkte, daß der Umschlag geschlossen war, fürchtete, es sei indiskret, ihn gleich zu öffnen, und tat ihn, als verstände sich das von selbst, in die Tasche. Frau Swann hatte mir ein paar Tage vorher geschrieben, zum Frühstück im kleinen Kreise zu kommen. Gleichwohl waren sechzehn Personen zugegen; daß sich darunter Bergotte befand, davon wußte ich nichts. Nachdem Frau Swann mich mehreren Gästen, wie sie es ausdrückte, genannt hatte, sprach sie plötzlich nach meinem Namen und in demselben Tonfall wie diesen (und als wären wir nur zwei Tischgenossen, die beide gleich froh sein müßten, einander kennen zu lernen) den Namen des holden Sängers im weißen Haar aus. Der Name Bergotte ließ mich auffahren wie der Knall eines auf mich abgeschossenen Revolvers, aber instinktiv, um Haltung zu wahren, verneigte ich mich; was sich da vor mir abspielte, war wie der Anblick eines Illusionisten, der unversehrt in seinem Gehrock mitten im Rauch des Schusses, aus welchem eine Taube aufflog, stehen bleibt: meinen Gruß erwiderte ein jugendlicher, kleiner, derber, untersetzter, kurzsichtiger Mann, mit roter, wie ein Schneckengehäuse gewundener Nase und schwarzem Kinnbart. Ich war zu Tode betrübt, denn was mir nun zu Staub zerfiel, war nicht allein der schwärmerische Greis, von dem nichts übrig blieb, es war zugleich die Schönheit eines gewaltigen Werkes, die ich wohl in dem hinfälligen, heiligen Organismus unterbringen konnte, den ich ausdrücklich für sie gebaut hatte, für die aber kein Platz war in dem gedrungenen Körper voller Blutgefäße, Knochen, Ganglien des kleinen Mannes da vor mir mit der Stumpfnase und dem schwarzen Knebelbart. Der ganze Bergotte, den ich mir selbst langsam und zart, wie einen Stalaktit Tropfen um Tropfen, aus der durchsichtigen Schönheit seiner Bücher erarbeitet hatte, dieser Bergotte war nun mit einem Schlag für den Augenblick nicht mehr zu brauchen; jetzt mußte ich die Schneckenhaus-Nase beibehalten, mußte den schwarzen Knebelbart verwenden; es ging mir wie mit einer Rechenaufgabe, bei der die gefundene Lösung nichts nützt, da wir die gegebenen Größen nicht genau gelesen haben und nicht im Auge behalten, daß das Ganze eine bestimmte Zahl geben muß. Nase und Knebelbart waren unvermeidliche, sehr störende Elemente geworden, die mich zwangen, die Persönlichkeit Bergottes ganz neu aufzubauen, sie schienen eine gewisse selbstzufriedene Geschäftigkeit anzudeuten, hervorzubringen und beständig abzusondern, die gegen alle Regeln war, denn sie hatte nichts gemein, mit der Art Erkenntnis, die sich in seinen mir so wohlbekannten Büchern voll sanft göttlicher Weisheit entfaltete. Von den Büchern ausgehend, wäre ich nie zu der Nase gelangt; ging ich aber von der Nase aus, die nicht danach aussah, als würde sie sich einschüchtern lassen, sondern witzig Cavalier seul tanzte, so geriet ich in eine ganz andere Richtung, nicht auf das Werk von Bergotte; dieser Weg mußte wohl zur Mentalität eines pressierten Ingenieurs führen, der, wenn man grüßt, es angezeigt glaubt zu sagen: ›Danke und Sie?‹, ehe man ihn noch nach seinem Ergehen gefragt hat, und wenn man ihm erklärt, man sei entzückt, seine Bekanntschaft zu machen, mit einer Abkürzung, die er für fein, klug und echt moderne Ersparnis eitlen Zeitverlustes hält, antwortet: ›Ganz meinerseits.‹ Namen sind zweifellos phantastische Zeichner, die uns von Leuten und Ländern so unähnliche Skizzen liefern, daß wir oft ganz betroffen dastehen, wenn wir statt der eingebildeten Welt die sichtbare vor uns haben (die übrigens auch nicht die wirkliche ist, denn unsere Sinne besitzen nicht in viel höherem Grade die Gabe, ähnlich zu zeichnen als die Einbildungskraft, und die annähernd gut getroffenen Zeichnungen, die man von der Wirklichkeit bekommen kann, sind mindestens ebenso verschieden von der gesehenen Welt als diese von der eingebildeten). Aber im Falle Bergotte war meine Voreingenommenheit durch den Namen nichts im Vergleich zu der durch das mir wohlbekannte Werk, an das ich nun, wie an einen Ballon, den Mann mit dem Knebelbart binden sollte, ohne zu wissen, ob es die Kraft haben würde, mit ihm aufzufliegen. Gleichwohl mußte er Verfasser der Bücher sein, die ich so geliebt hatte, denn als Frau Swann ihm meine Vorliebe für eines dieser Bücher mitzuteilen für nötig hielt, zeigte er sich nicht weiter erstaunt darüber, daß sie an ihn und nicht an einen andern Gast sich wandte, und schien darin kein Mißverständnis zu erblicken; den Gehrock, den er zu Ehren der vielen Mitgeladenen angelegt hatte, aufgefüllt von einem auf das bevorstehende Frühstück gierigen Leibe und in Anspruch genommen von anderen wichtigen Dingen des wirklichen Lebens, lächelte er, als handle sichs um eine längst verstrichene Episode seines früheren Lebens, als spiele man etwa auf ein Kostüm des Herzogs von Guise an, das er in dem und dem Jahr auf einem Maskenball getragen; und alsbald sanken seine Bücher, in ihrem Sturz allen Wert des Schönen, des Weltalls, des Lebens mitreißend, für mich herab zu etwas, das nur als mittelmäßiger Zeitvertreib eines Mannes mit Knebelbart existiert hatte. Ich sagte mir, er müsse sich wohl Mühe damit gegeben haben, wenn er aber auf einer von ertragreichen Austernbänken umgebenen Insel lebte, würde er sich ebensogut mit Erfolg dem Perlenhandel hingeben. Seine Dichtungen schienen mir nicht mehr so unausbleiblich. Und ich fragte mich, ob Originalität wirklich beweise, daß die großen Schriftsteller Götter seien, die jeder in einem nur ihm eigenen Königreich herrschen, oder ob nicht bei all dem ein bißchen Verstellung im Spiele sei und die Unterschiede zwischen den Werken mehr Resultat der Arbeit als Ausdruck einer radikalen Wesensverschiedenheit von Persönlichkeiten. Inzwischen war man zu Tisch gegangen. Neben meinem Teller fand ich eine Nelke, deren Stiel in Silberpapier eingewickelt war. Das beunruhigte mich weniger als der Briefumschlag, der mir im Vorzimmer überreicht worden war und den ich vollständig vergessen hatte. Auch diese Sitte war mir neu, schien mir aber verständlicher, als ich sah, daß alle männlichen Tischgenossen sich einer ähnlichen Nelke bemächtigten, die neben ihrem Gedeck lag, und sie ins Knopfloch ihres Gehrocks steckten. Ich tat wie sie mit der ungezwungenen Miene eines Freidenkers in der Kirche, der zwar die Messe nicht kennt, aber sich erhebt, wenn alle andern sich erheben, und niederkniet, gleich nachdem die andern niedergekniet sind. Eine andere mir unbekannte, weniger ephemere Sitte mißfiel mir mehr. Rechts von meinem Teller befand sich ein kleinerer, bedeckt mit einer schwärzlichen Masse, die ich nicht als Kaviar erkannte. Ich wußte nicht, was ich damit tun sollte, war aber entschlossen, nicht davon zu essen.