Fig. 6.
Mit der Erfindung der Hemmung war außerordentlich viel gewonnen; das Gewicht konnte nur fallen, so oft ein Zahn am Lappen der Spindel vorbeiging und nur so lange, bis der entgegengesetzte Lappen den nächsten Zahn ergriff. Der nächste Zahn derselben Seite traf aber erst auf die Hemmung, nachdem der entgegengesetzte die Unruhe auf die andere Seite gedreht hatte. So machte die Wage noch einmal soviel Schwingungen, als das Kronrad (Steigrad) Zähne besaß. Um den Gang der Unruhe gleichmäßiger zu machen, ist die Spindel durch eine Schnur am Kolben C aufgehängt. Wenn nämlich die Unruhe sich nach einer Richtung dreht, wird die Schnur immer stärker gespannt, sie strebt also wieder und zwar mit stets vermehrter Kraft in ihren ursprünglichen Zustand zurückzukehren und hemmt so den Wagebalken. Wir haben also hier schon die Spiralfeder unserer Taschenuhren in ihrem ersten Anfang. — Es wird sich später noch Gelegenheit bieten, über die Mängel der alten Räderuhren zu sprechen; die Wagehemmung aber wurde bis zur Pendeluhr, und an den Schwarzwälderuhren bis zu Ende des 18. Jahrhunderts vielfach beibehalten. In Kabinetten und Sammlungen findet man noch viele derartige Uhren. Um eine genaue Vorstellung einer Waguhr zu ermöglichen, fügen wir hier zwei Ansichten einer solchen bei (Figur 6 und 7). Von der Größe alter Uhren kann man sich einen Begriff machen, wenn man hört, daß an der Uhr, welche Heinrich von Vick für Karl V. von Frankreich machte, das Gewicht des Schlagwerkes 5 Zentner betrug und in 24 Stunden 32 Fuß herabstieg; es gab aber auch Gewichte bis zu zwölf Zentnern. Auf manchen Türmen befinden sich noch solche Ungetüme von Uhren, ganz aus Schmiedeisen verfertigt, mit Rädern von 2–3 Fuß Durchmesser und Pendel von 20 bis 30 Fuß Länge.[29]
Fig. 7.
Nun zur Verbreitung der Uhren! Im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts eroberten sie sich die ganze zivilisierte Welt, und in verhältnismäßig kurzer Frist war nicht bloß jede Stadt, jeder Palast oder jedes Kloster im Besitze eines derartigen Zeitmessers, sondern diese bildeten auch den Schmuck des Salons wie des bürgerlichen Hauses, natürlich in entsprechender Ausführung. Schon im jüngeren Titurel (ca. 1270 verfaßt) wird unter andern kostbaren Zieraten des hl. Graltempels auch eine Räderuhr erwähnt („orolei”), welche die goldfarbene Sonne und den silberweißen Mond in Bewegung setzte, ohne daß man von den Rädern etwas sah; goldene Cymbeln verkündeten die sieben Tagzeiten und die sonstigen Stunden des Gebetes und Gottesdienstes. Dante (1265–1321) erwähnt in seiner Göttlichen Komödie die Uhr mehrfach, so z. B. Paradies, XXIV. V. 13:
E come cerchi in tempra di oriuoli
Si giran si, che il primo a chi pon mente
Quieto pare e lo ultimo che voli, ...
(„Und wie gemeßnen Ganges des Uhrwerks Räder sich drehen, so daß das erste dem Betrachter zu stehen scheint, und das letzte scheint zu fliehen.” Philalethes[30]). Auch ein anderer Zeitgenosse des berühmten Florentiners, Jean de Meun, mit dem Zunamen Clopinel († ca. 1320), der Fortsetzer des berühmten „Roman de la Rose,” singt (V. 21288 u. ff.) von der Räderuhr:
Et refait sonner ses horloges
Par ses salles et ses loges
A roës (roues) trop sotivement (très-adroitement)
De pardurable movement.
Aus diesen Stellen geht hervor, daß schon im 13. oder zu Anfang des 14. Jahrhunderts die neuen Zeitmesser weit verbreitet waren. Vom alten Kulturland Italien wissen wir dies auch aus andern Quellen ganz bestimmt. So berichtet Fiamma, der Chronist des Klosters St. Eustorgius in Mailand, daß 1306 der Glockenturm einen neuen Stern erhalten habe und die eiserne Uhr vergrößert (?) worden sei (horologium ferreum multiplicatur). Dies ist, so viel bekannt, die älteste Uhr Italiens; es mag jedoch schon früher derartige Werke gegeben haben, denn Fiamma spricht von der erwähnten Uhr als etwas ganz Gewöhnlichem. Derselbe Schriftsteller sagt auch, daß unter der Regierung von Azo Visconti (1328–1339) auf dem Turm der St. Gotthardkirche eine bewunderungswürdige Schlaguhr erstellt worden sei; „es befindet sich an derselben ein sehr dicker Klöppel, welcher 24 mal auf eine Glocke schlägt, gemäß den 24 Stunden des Tages und der Nacht; derart nämlich, daß sie in der ersten Nachtstunde einen Schlag gibt, in der zweiten zwei u. s. w. und so Stunde von Stunde unterscheidet, was höchst notwendig ist für jeglichen Beruf.”
Die berühmtesten Uhrmacher Italiens sind zwei Mediziner von Padua, Jakob und sein Sohn Johannes, aus der alten Familie de Dondis. Nach der Chronik dieser Stadt wurde auf Befehl Ubertinos von Carrara, dem Padua gehörte, im Jahre 1344 auf dem Stadthaus eine Uhr erstellt, die 24 Stunden zeigte. Sie war das Werk Jakob de Dondis, der zu jener Zeit lebte, wie aus seiner Grabschrift hervorgeht; sein Todesjahr fällt um 1350.
Johannes, der Sohn des vorigen, 1318–89, war als geschickter Uhrmacher noch viel berühmter. Er verfertigte eine Räderuhr, welche den Planetenlauf anzeigte und als eine Art Weltwunder angestaunt wurde. Von allen Seiten strömten Künstler und Astronomen herbei, das Werk zu schauen. Ein Freund und Zeitgenosse Johannes de Dondis, Philipp de Mazières hat uns in seinem Werke „Songe du vieil Pélerin” eine Beschreibung davon hinterlassen.[31] Nach derselben hätte das Werk aus sehr vielen (200) Rädern bestanden; alles aus Messing oder Kupfer von Johannes selbst gearbeitet während eines Zeitraumes von 16 Jahren. Michael Savonarola, der Großvater des berühmten Fra Girolamo, berichtet, daß das Werk nach dem Tode des Urhebers stille gestanden, daß aber niemand sich getraute, eine Reparatur vorzunehmen, bis endlich ein französischer Astronom es mit vieler Mühe wieder in Gang gebracht habe. Von dieser in ganz Italien und weit über dessen Grenzen hinaus berühmten Uhr erhielt die Familie de Dondis den Beinamen „ab Horologio” (degli orologi).
Johannes de Dondis war außer durch seine mechanische Geschicklichkeit noch berühmt als gelehrter Arzt und Astronom. Er genoß die Freundschaft Petrarcas (1307–74), welcher, obgleich erbitterter Feind aller Aerzte, Johannes hoch schätzte und mehrere Briefe an denselben richtete. In einem derselben sagt er, die Medizin sei für ihn (Johannes) doch nur ein Anhängsel, so daß er noch größer geworden, ja bis zu den Sternen gestiegen wäre, hätte nicht die unglückselige Arzneikunst ihn gehemmt. Petrarca bedachte seinen Freund im Testament mit 50 Dukaten, damit er sich einen Ring kaufe und ihn zum Andenken tragen möge.
Fig. 8.
Zu den ältesten beglaubigten Uhren, die noch vorhanden sind, zählt jene von Dover-Castle aus dem Jahre 1348. Gerland bringt in Westermanns Monatsheften 1884 eine Abbildung davon (Fig. 8). Er sagt, daß dieses Werk fünf Jahrhunderte lang, von 1348–1872 die Stunden schlug. Nach dem gleichen Schriftsteller würde diese Uhr aus der Schweiz stammen, was aber von anderer Seite bestritten wird.
1353 ließ der Erzbischof von Mailand, Johann Visconti, eine Uhr in Genua errichten; sie wird als „ein schönes und genaues Werk” (pulcra et subtilis fabrica) gerühmt, das jede Stunde des Tages und der Nacht schlug.[32] Drei Jahre später folgte Bologna dem Beispiele der Genuesen (Murat. l. c. t. XVIII, p. 444). „Am achten April wurde die große Glocke, welche auf dem Palaste des Messer Giovanni Pepoli, des Herrn dieser Stadt, sich befand, herabgenommen, in den Hof des Stadthauptmanns geführt und auf dem Turm daselbst aufgehängt; es war das die erste Gemeindeuhr von Bologna, sie schlug zum erstenmal am 19. Mai.” Alle Bolognesen über 20 Jahren mußten an diese Uhr eine Steuer von einem Soldo und 6 Denaren bezahlen. — Die Herren der italienischen Städte wetteiferten im 13. und 14. Jahrhundert überhaupt mit einander, ihre Paläste mit prächtigen Uhren zu zieren, so daß diese