Die Uhren: Ein Abriß der Geschichte der Zeitmessung. Fintan Kindler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fintan Kindler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066113490
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Beschäftigung mit der Uhrmacherkunst als den Prüfstein mechanischen Könnens in alter und neuer Zeit ansehen.

      Gerbert[26] von Aurillac, einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit (ca. 950–1003), als armer Hirtenknabe von den Mönchen zu Aurillac (Dép. du Cantal) aufgenommen und gebildet, wird sehr oft als Erfinder der Räderuhr genannt. Er soll seine mathematischen und mechanischen Kenntnisse bei den Arabern geholt haben; wurde Oberer des Klosters Bobbio in Italien, Erzbischof von Reims, Lehrer Ottos III., Erzbischof von Ravenna und endlich unter dem Namen Sylvester II. Papst.

      Die Sage, daß Gerbert auf den arabisch-spanischen Hochschulen studiert habe, wurde von dem engl. Geschichtsschreiber Wilhelm von Malmesbury[27] überliefert; derselbe berichtet auch allerlei Zaubergeschichten von ihm. Sevilla und Cordova, diese Hochsitze arabischer Wissenschaft, hat Gerbert nie gesehen (Vgl. Büdinger, S. 7 u. ff.), dagegen wird ihm allgemein die Einführung der sogenannten arabischen Ziffern zugeschrieben. Wenn aber auch gesagt wird,[28] er habe die Gewichtuhren und die Hemmung erfunden, so läßt sich dies nicht beweisen. Tiethmar, Bischof von Merseburg, sagt bloß (Mon. Germ. V, 835, 21): „Gerbert machte in Magdeburg eine Uhr, welche er richtig aufstellte mit einer Röhre und unter Zuhilfenahme eines gewissen Sternes, des Führers der Schiffer.” Um mit dem letzteren zu beginnen, so ist der Stern, der Führer der Schiffer, offenbar der Nordstern; die Röhre diente dazu, auf diesen Stern zu visieren, war also eine Art Diopter. Wir können folglich hier an eine Sonnenuhr denken, deren Zeiger mit Hilfe des Polarsterns gerichtet wurde, oder auch an eine Art Sternglobus (wie ja Gerbert derartige Instrumente verfertigte), bei welchem die vorüberziehenden Sterne durch eine Röhre beobachtet wurden. Für eine Räderuhr aber spricht der vorliegende Text nicht. Es ist schwer zu sagen, wie die Verfasser der Hist. litt. de la France (t. VI, p. 68 und 609) diese Annahme aufrecht halten können.

      Eine weitere Schwierigkeit bleibt auch noch zu lösen: angenommen, Gerbert habe die Räderuhr erfunden, wie kommt es, daß eine so wichtige und nützliche Sache für so lange Zeit vergessen wurde? Warum hat keiner der zahlreichen Schüler Gerberts dessen Erfindung weiter entwickelt, oder doch wenigstens erwähnt? Wie kommt es, daß noch 200 Jahre später Ludwig der Heilige eine Kerze als Zeitmesser benützte, um seine Lektüre während der Nacht zu regeln? Der Name „horologium” darf uns nicht schwankend machen, da er ja ganz allgemein für alle Uhren angewendet wurde.

      Als gelehrten Uhrmacher finden wir noch Abt Wilhelm von Hirschau (Württemberg) erwähnt († 1091). Er verfertigte eine sehr künstliche Uhr, welche die Aequinoktien und Solstitien zeigte; die dürftige Nachricht, welche uns überliefert ist, erlaubt jedoch keinen Schluß auf die Konstruktion der Uhr. Allerdings findet sich in den Konstitutionen von Hirschau (l. II. c. 29) der Ausdruck: „nachdem die Uhr geschlagen” was aber noch nicht notwendig eine Gewichts- und Räderuhr voraussetzt.

      Es läßt sich also gar nicht sagen, wer die Räderuhr erfunden habe, noch beweisen, daß sie vor dem 12. Jahrhundert aufkam. Diese Dunkelheit wird uns weniger befremden, wenn wir bedenken, wie schwer es oft wird, den Urheber einer nützlichen Maschine oder Erfindung zu nennen, selbst in unserer Zeit, wo doch die öffentlichen Blätter, Fachschriften und Patente große Sicherheit in dieser Hinsicht zu gewähren scheinen. Man denke nur an die so hartnäckigen Prioritätsstreitigkeiten, die alljährlich auf dem Gebiete der Naturwissenschaften auftauchen! —

      Allgemein aber wird angenommen, und dies läßt sich auch mit ziemlicher Sicherheit beweisen, daß im 12. Jahrhundert die Räderuhren erfunden wurden. Von dieser Zeit an mehren sich nämlich die Nachrichten über Uhren, welche unmöglich durch Wasser getrieben sein konnten derart, daß man annehmen muß, die Erfindung unserer heutigen Zeitmesser falle ins 12. Jahrhundert.

       Anfänge und Entwicklung der Räder- und Gewichtuhren.

       Inhaltsverzeichnis

      In den sogenannten „Gebräuchen” des Cisterzienserordens, die ungefähr um 1120 niedergeschrieben wurden, finden wir mehrfach Weckeruhren erwähnt. So heißt es z. B. c. 21, daß von der Messe des hohen Donnerstages an bis zum Karsamstag die Glocken bei keinem Gottesdienst geläutet werden dürften, und daß nicht einmal die Uhr (Schlaguhr) gehört werden solle. — Im 114. Kapitel wird dem Sakristan befohlen, daß er seine Uhr so richte, daß durch ihren Ton die Brüder im Winter vor der Matutin geweckt würden. In den Statuten des Prämonstratenserordens findet sich die Vorschrift: der Sakristan soll die Uhr richten und sie täglich vor der Messe schlagen lassen, damit er wach werde. Ebenso bestimmt das Chronicon Mellicense (Mölk, 12. Jahrhundert), c. 774: daß ein von den Obern zu bezeichnender Bruder, der eine Weckeruhr haben solle, die andern wecken und in jeder Zelle für Licht sorgen müsse; dieser Brauch hat sich bis heute in den Klöstern erhalten.

      Schon in diesem Jahrhundert treten die Zeitmesser in den Dienst der Gemeinden und geistlichen Genossenschaften. 1288 wurde unter Eduard I. von England in Westminsterhall eine Schlaguhr aufgestellt, deren Kosten aus Strafgeldern bestritten wurden. Ebenso verfertigte Richard Wallingford, ein englischer Benediktiner, Sohn eines Schmiedes und zuletzt Abt des Klosters St. Alban († ca. 1326), eine sehr künstliche Uhr, welche neben den gewöhnlichen Angaben (Planetenlauf u. s. w.) auch noch Ebbe und Flut anzeigte. Er hinterließ eine Beschreibung seines Werkes mit dem Titel „Albion” (Anspielung auf: „all-by-one” d. h. alles zeigt das Werk durch ein und dieselbe bewegende Kraft), welche sich noch jetzt auf der Bodleyanischen Bibliothek zu Oxford befinden soll.

      Bevor wir uns weiter mit der Entwicklung und Ausbreitung der Uhrmacherkunst beschäftigen, mag hier eine kurze Beschreibung des wichtigsten Bestandteiles jeder Räderuhr, der Hemmung folgen, speziell jener, welche bis zur Erfindung des Pendels ausschließlich zur Anwendung kam. (Siehe Fig. 5).

      A ist das von der Triebkraft am weitesten entfernte letzte Rad, Steigrad genannt, wie es noch in den Spindeluhren verwendet wurde. B eine runde Stahlwelle oder Spindel, ist an einer Schnur aufgehängt, und das Ganze am Kolben C, einem Holz- oder Metallstück, befestigt. D und D′ sind flache Stahlplättchen, die Spindellappen, welche an der Welle unter einem Winkel von etwa 100° befestigt sind. E ist die Unruhe, eine Stange aus Holz oder Eisen, auch Wage oder Balancier genannt. An ihr sind kleine Gewichte F und F′ zu beiden Seiten der Welle angebracht.