Die Herausforderung der systemischen Schulsozialarbeit besteht in der Komplexität der Situationserfassung in Systemen und Subsystemen. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind in unterschiedlichen Systemen vernetzt und bewegen sich in subjektiven Kontexten (Herkunftsfamilien), in denen sie Bewältigungsmuster (Strukturen) gelernt haben, auf die sich ihr Verhalten und Handeln stützt. Fällt dieses Verhalten und Handeln in der Schule als »anders« oder »nicht tragbar« auf, gewinnt ein prozessorientierter Perspektivenwechsel an Bedeutung. Einen solchen vermag die systemische Schulsozialarbeit methodisch gemeinsam mit dem Schüler (u. a.) anhand der aktuellen Problemsituation zu nutzen, um neue Möglichkeits-, Wirklichkeits- und Lösungskonstruktionen zu (er)finden, die (auch) zur Vermeidung oder Verringerung von Schulstress oder Leistungsversagen beitragen.
Angemerkt sei, dass auch Evaluation ein unverzichtbares Instrument zur Darstellung von Ergebnissen ist (s. Kap. 7).
Nun stellen sich erneut Fragen: Fragen nach Unterschieden zwischen Systemen, nach unterschiedlichen Sichtweisen bei Beobachtung und Beschreibung, Fragen als Einladung zum Nachdenken oder als Anregung, neue Perspektiven zu entwickeln. Wie sehen die einzelnen fachlichen bzw. pädagogischen Vorstellungen aus? Wovon lassen der oder die Befragten sich leiten? Wie sehen die Unterschiede aus in Bezug auf gestern/heute, morgens/abends oder zwischen Personen, Meinungen oder allgemeinen Denkweisen? Gibt es Situationen, in denen bestimmte Probleme nicht auftauchen? Woran erkennt man, ob, wann oder wie Erwartungen erfüllt oder nicht erfüllt werden? Was sind überhaupt welche Erwartungen, und wo kommen sie her? Wie ist die Bedeutung des jeweiligen Tuns vonseiten der Kollegen, der Schüler, der Eltern oder der Schulleitung einzuschätzen? Wie kann ich als Schulsozialarbeiter meinen Platz in einem fest strukturierten System finden? Häufig gibt es bereits antwortenthaltende Fragen, wenn wir sie aus einem Kontext heraus stellen. Wer profitiert am meisten von Schule, wer am wenigsten? Wer hat Schule erfunden, oder wer möchte am meisten, dass sie so funktioniert, wie sie funktioniert? Durch Fragen werden Ideen angestoßen.
Es darf »ungewöhnlich« gedacht und auch ungewöhnlich gefragt werden, das ist erlaubt, aber zu ungewöhnlich wäre gewöhnungsbedürftig, weil es auf zu ungewöhnliche Fragen häufig keine gewöhnlichen Antworten gibt.
Manchmal beinhaltet bereits die Frage eine Antwort, die vor allem dem Befragten selbst neue Informationen gibt (Herwig-Lempp 2001, S. 34). Fragen können jedoch auch als Provokation wahrgenommen werden. Das sind Fragen, anhand deren Befragte sich in einer Rechtfertigungssituation vermuten. Dazu gehören beispielsweise Warum-Fragen. Sie fragen nach Ursachen, häufig nach Schuld. Sie bewegen sich schnell auf der Ebene von (gefühltem) Angriff und (gefühlter) Verteidigung. In der systemischen Schulsozialarbeit soll es aber gerade um konstruktives, klares, (zirkulär) offenes Fragen, möglichst im Beisein aller Beteiligten, gehen. Das bedeutet das Anerkennen und Verstehen von (auch »verrückten«) Sicht- und Verhaltensweisen in dem Kontext, in dem sie geschehen – unabhängig vom Alter der betreffenden Person. Damit neutral umzugehen ist eine Kunst. Systemische Schulsozialarbeit soll nicht Besserwissen sein. Vielmehr ist sie der systemischen Haltung und dem Interesse am anderen geschuldet.
So ist schließlich die Frage nach der Funktion von Schulsozialarbeit von Bedeutung, die Frage danach, wie sie welchen Platz im Bildungssystem Schule einnimmt, wie ihr Auftrag lautet, wer ihre Auftraggeber sind und welches fachliche Spektrum sie wie bedient. Diese Fragen sind mitunter gar nicht so leicht einzuordnen und zu beantworten, da die Vielfalt an Trägern, Aufträgen und Modellprojekten dazu verleiten kann, die einzelnen schulsozialpädagogischen Fachkräfte in ihren jeweiligen Schulformen in einer Art Einzelkämpferposition zu wähnen. Soll ein Schulsozialarbeiter seine Position im Kollegium von Lehrern und Schulleitung mit Leben und Inhalt füllen, sind ein fachspezifischer Ort (Dienst-/Fachaufsicht), ein eindeutiger Status (Funktion/Arbeitsverhältnis) und ein klares Aufgabenprofil vonnöten, die ihm professionelle Sicherheit geben. Das Umfeld, in dem der Schulsozialarbeiter sich bewegt, soll mit einer einfachen Darstellung einen Überblick geben und angrenzende Aufgabenbereiche skizzieren. Es kann nicht von Vollständigkeit ausgegangen werden, jedoch wird es möglich, Ideen anzustoßen oder neue Fragen zu (er) finden. Abbildung 1 zeigt einen Versuch.
Abb. 1: Verortung Schulsozialarbeit (Legende: SSA = Schulsozialarbeit; JH = Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfe); SA = Soziale Arbeit; BuT = Bildungs- und Teilhabepaket; SchG = Schulgesetz; SGB = Sozialgesetzbuch; BMBF = Bundesministerium für Bildung und Forschung; BMFSFJ = Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend; SL = Schulleiter; WB = Weiterbildung; QMS = Qualitätsmanagementsystem)
Das Organigramm ist selbsterklärend, und weitere unmittelbar angrenzende Bereiche und spezielle Tätigkeitsfelder wie Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe, Kooperationskriterien oder Netzwerke könnten hinzugefügt werden. Schließlich sind auch Felder von Konflikten vorhanden, die auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert und ausgetragen werden. Dazu gehören das Verhältnis zwischen Schulleitung und Schulsozialarbeit sowie Anerkennung im Lehrerkollegium ebenso wie die zu beschreibende Position der Schulsozialarbeit im System »Schule«. Ausgehend von Abbildung 1, zeigt Abbildung 2 die im Bildungssystem angenommene Position der Schulsozialarbeit.
Abb. 2: Position Schulsozialarbeit (ergänzende Legende zu Abb. 1: KMK = Kultusministerkonferenz der Länder; Sch = Schule; SA/SP = Sozialarbeit/Sozialpädagogik; SLE = Schüler, Lehrer, Eltern; KOOP = Kooperation)
Auch wenn die Schulsozialarbeit in Abbildung 2 einen relativ kleinen Platz einnimmt, geht es nicht um größer oder kleiner, wichtiger oder unwichtiger, sondern darum, die Position, die in einem organisierten System entstanden ist, als eine wichtige Funktion im Gesamtsystem wahrzunehmen und aus dieser Position heraus zu handeln. Die Schulsozialarbeit ist ein kleiner Teil im großen System »Schule«. Auch als ein kleines Element kann sie ausdrucksstark sein und einen wichtigen Platz im System einnehmen. Systemisch spricht man von »in einem System eingebunden sein«.
Gemäß der Skepsis und den erlebten Widersprüchen, die darauf verweisen, Schule sei durch ihre starren und weniger auf Beziehungen ausgerichteten Strukturen geprägt und deshalb auf Unterstützung von Schulsozialarbeit angewiesen, ist sie auch immer auf Veränderungen eingestellt, muss Bestimmungen umsetzen, die ihr von außen (Gesetze, Erlasse) aufgebürdet werden. Und meistens wird Schule im Alltag damit alleingelassen. Selbst Pädagogen sind überfordert, und eine Pädagogik am Kind ist zumindest eingeschränkt. Nicht selten entsteht daraus Stress für alle Beteiligten.
Wie Schulsozialarbeit verortet ist und welche Position sie im System Schule einnimmt, konnte einigermaßen erschlossen werden (Abb. 1, 2). Was sie kann, ist noch offen. Was bedeutet das?
Wozu eine »neue« Sichtweise einnehmen?
Das Besondere der systemischen Schulsozialarbeit ist ihre nachhaltige Wirkung innerhalb und außerhalb eines Kontextes. Die Wahrnehmung von Vielfalt und die Fokussierung auf Stärken, Ressourcen und Lösungen entfalten sich systemübergreifend (kleinste Veränderungen können große Wirkungen