„Sie sitzt gut im Sattel“, antwortete der Marquis. „Und bei den Jagden wird sie natürlich eines meiner Pferde reiten. Da fällt mir ein, daß ich die Jagdhütte in Leicestershire renovieren lassen muß.“ Er lächelte mokant. „Die Junggesellenpartys, die ich dort abhielt, haben den Zustand der Einrichtung nicht verbessert, und ich fürchte, daß eine Frau die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, wenn sie zu sehen bekäme, wie es dort im Moment aussieht.“
„Dein Vater und ich haben dort sehr glückliche Tage verbracht“, sagte die Marquise.
„Wie überall“, entgegnete der Marquis. „Bitte, Mama, es hat doch keinen Sinn. Ich bin eben nicht Papa.“ Er ging zu ihr und nahm wieder ihre Hand. „Ich brauche dir nicht zu sagen“, fuhr er fort, „daß es nie wieder eine so schöne und so liebenswerte Frau wie dich geben wird. Hör also bitte damit auf, dich darüber zu beschweren, daß ich mich mit dem Zweitbesten zufriedengeben muß.“
„Ich will doch nur dein Glück, Gallen“, sagte die Marquise leise.
„Du mußt es mir glauben, Mama, ich bin zufrieden.“ Die Marquise konnte sich nicht helfen, sie fand den Ton ihres Sohnes zynisch.
Einige Meilen vom mondänen Harrogate mit seinen heilsamen Quellen, seinen teuren Hotels und aristokratischen Gästen entfernt, aber immer noch in Yorkshire, lag das Dorf Barrowfield. In der Nähe von Leeds gelegen, war es ein Dorf mit ärmlichen, heruntergekommenen und düsteren Häusern, auf deren Dächern eine dünne Schicht Kohlenstaub lag.
Außerhalb des Dorfes standen auf einem Hügel eine häßliche Kirche aus grauem Naturstein und daneben ein ebenso häßliches, unnötig großes Pfarrhaus. In der Küche mit dem großen, altmodischen Herd und dem Steinfußboden versuchte eine grauhaarige, propere Haushälterin, einem reichlich unbedarften jungen Ding beizubringen, wie man einen Hammelschlegel übergoß.
„Paß doch wenigstens auf, Ellen“, sagte die ältere Frau streng. „Ich habe dir schon x-mal erklärt, daß man die Sauce über das Fleisch gießen muß, und zwar löffelweise.“
„Das tue ich doch“, entgegnete das junge Ding.
„Eben nicht“, schimpfte die Frau. „Du rührst in der
Bratpfanne herum und denkst dabei an etwas ganz anderes.“
Die Küchentür ging auf, und ein junges Mädchen kam hereingestürmt. „Abby! Abby!“
Abigale, denn das war der volle Name der Haushälterin, drehte sich zu dem jungen Mädchen um. Mit den blonden Haaren und den tiefblauen Augen hätte man es als typisch englisch beschreiben können, wäre das Gesicht nicht von einer seltenen Schönheit gewesen, die keineswegs einem bestimmten Typ angehörte. Die Augen waren groß und so tiefblau, daß man an einen Gebirgssee dachte, wenn man sie sah.
„Was gibt es denn, Miss Torilla?“ fragte Abby.
„Ich habe einen Brief bekommen, Abby“, antwortete das junge Mädchen. „Einen Brief von Lady Beryl, und stell dir vor, Abby, sie hat sich verlobt und wird bald heiraten.“
„Wird aber auch langsam Zeit“, sagte Abby mit der Vertrautheit einer alten Hausangestellten. „Sie wird einundzwanzig, und bei all ihren Erfolgen in London müßte sie doch längst verheiratet sein.“
„Jetzt ist sie immerhin verlobt“, sagte Torilla. „Und stell dir vor, sie schreibt, daß ich unbedingt kommen soll.“ Sie sah auf den Brief in ihrer Hand und las vor : „,Du mußt Brautjungfer werden, Torilla. Ich möchte nur eine haben, denn unnötig viel Konkurrenz ist nicht gut.’“ Torilla lachte. „Als ob auch nur ein Mädchen mit Beryl konkurrieren könnte!“
Abby nahm diese Bemerkung kommentarlos hin, und Torilla las weiter: „,Du mußt so schnell wie möglich kommen. Auf der Stelle. Es gibt noch so irrsinnig viel zu tun, und ich möchte Dich bitten, mir dabei zu helfen. Außerdem wird es so viele Einladungen geben, weil alle Leute meinen Verlobten kennenlernen wollen.’“
„Und wer ist der Verlobte?“ fragte Abby.
Torilla starrte auf den Brief. „Du wirst es nicht glauben, Abby“, antwortete sie, selbst erstaunt, „aber das schreibt sie nicht.“ Sie schüttelte lachend den Kopf. „Ist das nicht typisch Beryl?“ fragte sie. „Das Wichtigste hat sie schon immer vergessen. Ich sehe schon, ich werde von früh bis spät auf sie aufpassen müssen - das heißt, wenn Papa mich fahren läßt.“ Zweifel trat in die großen blauen Augen.
„Er muß dich fahren lassen, Torilla“, sagte Abby. „Was du allerdings anziehen sollst, weiß der Himmel.“
„Das ist meine geringste Sorge“, erwiderte Torilla. „Beryls Kleider passen mir wie angegossen, und sie hat mich schon immer alles anziehen lassen, was ich wollte, sogar ihre Reitsachen.“ Ihr Blick wurde sehnsüchtig. „Glaubst du, Onkel Hector läßt mich reiten? Wieder einmal auf einem wirklich guten Pferd sitzen zu dürfen - es wäre zu schön!“
„Aber natürlich“, sagte Abby im Brustton der Überzeugung. „Dein Onkel hat dich doch schon als Kind immer reiten lassen.“
„Ich glaube, Pferde habe ich hier am meisten vermißt“, sagte Torilla.
„Du mußt hier sehr viel vermissen, Torilla“, entgegnete Abby. „Wenn du ehrlich bist, wirst du es zugeben.“
Die Haushälterin nahm die braune Schürze ab, die sie über die weiße gebunden hatte.
„Ich mache mich auf der Stelle daran, deine Sachen zu packen, Torilla.“
„Um Gottes willen - bitte nicht!“ rief Torilla. „Ich muß erst Papa fragen. Vielleicht hat er etwas dagegen, daß ich heim fahre.“ Sie blickte nachdenklich vor sich hin. „Für mich ist Fernford immer noch wie ein Zuhause", fügte sie hinzu. „Aber vielleicht ist das auch nicht verwunderlich, wenn man siebzehn Jahre dort gelebt hat.“
„Das ist allerdings nicht verwunderlich, Torilla“, sagte Abby. „Fernford ist dein Zuhause. Wenn deine Mama nicht gestorben wäre, wärst du heute noch dort. Wir hätten nie hierher kommen sollen, ich denke das fast stündlich.“
Torilla lächelte. Wie oft die gute Abby das betonte! „Aber du weißt doch, was es für Papa bedeutet“, sagte sie.
Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als sie die Haustür ins Schloß fallen hörte.
„Da ist er!“ rief sie. „Bring schnell das Essen auf den Tisch, Abby, sonst läuft er wieder mit leerem Magen davon. Und ich frage ihn jetzt gleich.“
Torilla verließ die Küche und lief durch den schmalen, düsteren Gang, der zu der reichlich theatralischen Diele führte.
Reverend Augustus Clifford, der Vikar von Barrowfield, hängte gerade seinen Hut auf. Er war ein gutaussehender Mann, der älter aussah, als er in Wirklichkeit war. Seine Haare waren fast völlig grau, sein hageres Gesicht hatte tiefe Falten. Er wirkte wie ein Mensch, der sich zu viel zumutete und über seine Kräfte lebte.
Seine Miene war besorgt, doch als er Torilla auf sich zukommen sah, lächelte er.
„Siehst du, Torilla“, sagte er, „ich bin ausnahmsweise einmal pünktlich.“
„Das ist lieb von dir, Papa. Das Essen ist auch schon fertig. Es wäre jammerschade gewesen, wenn die Hammelkeule, die uns Shipton geschenkt hat, zu lange im Rohr gewesen wäre.“
„Ja, natürlich“, sagte der Vikar. „Wenn sie groß genug ist, dann könnten wir doch eigentlich...“
„Nein, Papa“, schnitt ihm Torilla das Wort ab, „wir können niemandem etwas davon abgeben. Bitte, komm mit ins Eßzimmer, ich muß dir nämlich etwas erzählen.“
Der Vikar nickte, und sie gingen zusammen in das kleine, dunkle Zimmer, dessen Fenster nach Norden zeigten.
Sie hatten ein paar gute Möbelstücke mitgebracht, als sie hierher umgezogen waren, aber die Vorhänge waren aus einem einfachen Stoff, und trotz aller Mühe, die sich Torilla und Abby gegeben