Der Marquis lachte. „Er gibt uns allen ein Beispiel, Mama. Du kannst also kaum erwarten, daß mir im Carlton House die idyllische Liebe begegnet.“
„Und deshalb hast du kaltblütig beschlossen, Lady Beryl zu heiraten.“
„Wir werden gut miteinander auskommen, Mama“, entgegnete der Marquis. „Wir sprechen dieselbe Sprache, wir haben die gleichen Freunde, und wenn nach einer gewissen Zeit jeder seine eigenen Wege geht, so wird das mit größter Diskretion und Vorsicht gehandhabt werden. Es wird keinerlei Skandal geben, und wir werden alle aufkommenden Probleme friedlich lösen.“
Die Marquise schwieg, doch ihr Blick war so unglücklich, daß ihr Sohn zu ihr ging und ihre Hand nahm.
„Bitte, mach dir meinetwegen keine Sorgen, Mama. Das ist mir wirklich das Wichtigste. Schließlich besteht doch keinerlei Grund, warum Beryl und ich nicht ein halbes Dutzend gesunder Enkel produzieren sollten, was dich sehr freuen wird - habe ich recht?“
Die schmale Hand der Marquise lag in der ihres Sohnes. „Dein Vater und ich haben immer das Beste für dich gewollt, Gallen“, sagte sie. „Leider muß ich gestehen, daß das, was du vorhast, das Zweitbeste zu sein scheint.“
„Du gehst immer noch von deinem Leben aus, Mama“, erwiderte der Marquis. „Ich bin zufrieden, und mehr kann man nicht verlangen.“
„Doch, das kann man, und ich tue es“, entgegnete die Marquise. Sie drückte die Hand ihres Sohnes. „Du denkst doch nicht immer noch an das Mädchen, das dich so - miserabel behandelt hat?“ fragte sie.
Als habe sie Angst, ihn zu verletzen, klang ihre Stimme zögernd, doch der Marquis lachte nur.
„Weiß Gott nicht, Mama“, sagte er. „Diese Wunden sind verheilt. Ich war damals noch ein Grünschnabel, und die erste Liebesaffäre ist wohl immer etwas zu gefühlsbetont.“
Er ließ die Hand seiner Mutter los und ging zum Kamin zurück. Er sah in das Feuer. Daß der Marquise, die ihm kein Wort geglaubt hatte, plötzlich die Tränen in die Augen stiegen, bemerkte er nicht.
Es war eine lange Zeit her. Der Marquis war damals erst einundzwanzig gewesen. Das Mädchen, in das er sich verliebt hatte, war sehr schön und sehr verwöhnt gewesen. Er hatte es auf idealistische Weise verehrt und angebetet, und das hatte dieses Mädchen nicht verstanden.
Die Marquise wußte, daß ihr Sohn diesem Mädchen Herz und Seele zu Füßen gelegt hatte, doch das junge Ding war darauf herum getrampelt und hatte aus materiellen Gründen und wohl auch wegen des Titels einen Herzog geheiratet.
Die Marquise würde niemals den Blick ihres Sohnes vergessen, als er damals nach Hause gekommen war. Er hatte kein Wort darüber verloren, es wäre ihm unmöglich gewesen, aber er hatte sich in ein Schneckenhaus zurückgezogen, um niemanden merken zu lassen, wie sehr er verletzt war.
Und von diesem Augenblick an hatte er sich verändert. Aus dem lachenden, glücklichen, sorgenlosen Jungen war ein Mann geworden, der von Jahr zu Jahr zynischer und gelangweilter wurde.
Lediglich während seiner Dienstzeit bei seinem Regiment hatte er eine Begeisterungsfähigkeit gezeigt, die sie für ihn glücklich gemacht hatte, obwohl sie vor Angst halb krank gewesen war, er könne fallen oder in Gefangenschaft geraten.
Als er nach dem Tod seines Vaters vom Militärdienst entbunden worden und nach Hause gekommen war, um sich um sie und die Besitzungen zu kümmern, war ihr ein Stein vom Herzen gefallen.
Es hatte viele Frauen im Leben ihres Sohnes gegeben. Einige davon hatte die Marquise kennengelernt, aber die meisten lebten in einer Welt, zu der sie keinen Zugang hatte und auch nicht haben wollte. Sie wußte, daß ihm alle diese Frauen nichts bedeuteten. Sein Herz war nie beteiligt.
Sie hatte das Mädchen, das ihm so weh getan hatte, verflucht. Und jetzt verfluchte sie es noch mehr, denn es war daran schuld, daß ihr geliebter Sohn eine Vernunftehe eingehen wollte. Die Marquise war jedoch zu klug, diese Gedanken zu äußern.
„Und wann wirst du heiraten, Gallen?“ fragte sie.
„Noch vor Ende der Saison“, antwortete der Marquis. „Der Prinz, das nehme ich zumindest an, wird uns anbieten, den Empfang im Carlton House abzuhalten. Wir müssen eine Unzahl von Leuten einladen, und das Stadthaus von Beryls Vater in der Curzon Street ist dafür zu klein.“
„Und was für ein Mensch ist Graf Fernleigh?“ fragte die Marquise. „Soweit ich mich erinnern kann, ist er ein ausnehmend gutaussehender Mann.“
„Er ist recht sympathisch und umgänglich“, antwortete der Marquis vorsichtig. „Im Gegensatz zu seiner Frau und seiner Tochter Beryl liebt er das Landleben. Die beiden Damen hingegen lassen keinen Ball und keinen Empfang aus.“ Ein fast abfälliges Lächeln glitt über das Gesicht des Marquis. „Beryls Mutter hat es sich in den Kopf gesetzt, ihre Tochter zum Gespräch von ganz London zu machen, und das ist ihr hundertprozentig gelungen.“
Die Marquise erinnerte sich an die Gräfin Fernleigh. Sie war eine Frau, mit der sie nicht das Geringste gemein hatte.
„Ich werde die Gräfin natürlich aufsuchen, wenn ich von hier abgereist bin“, sagte sie. „Ich hatte allerdings vorgehabt, nach Hause und nicht nach London zu fahren.“
Mit ,nach Hause’ meinte die Marquise eine Villa, die auf dem großen Besitz des Marquis in Huntingdonshire stand.
Der Marquis wußte, daß seine von Arthritis geplagte Mutter London mied, wo es nur ging, und sich viel lieber mit ihren Hunden auf dem Land aufhielt.
„Du brauchst nicht vor der Hochzeit nach London zu kommen“, sagte er. „Sobald es dir paßt, lade ich den Grafen und natürlich Beryl aufs Schloß ein.“ Er lächelte. „Das hat alles Zeit“, fuhr er fort. „Ich nehme allerdings an, daß Beryl bereits voll damit beschäftigt ist, ihre Aussteuer zusammenzukaufen.“
„Und du, Gallen?“
„Der Prinz nimmt einen Großteil meiner Zeit in Anspruch“, antwortete der Marquis. „Ich habe die mehr oder weniger freundschaftliche Abmachung mit ihm getroffen, ihn zu Pferderennen oder anderen Amüsements zu begleiten, die unter Tags stattfinden, und kann mir dafür die überfüllten und meist stickigen Partys sparen, die Seine Königliche Hoheit am Abend so gern besucht.“
„Und was tust du statt dessen?“ fragte die Marquise.
„Das ist eine sehr indiskrete Frage, Mama“, entgegnete der Marquis und zwinkerte ihr zu.
Seine Mutter lachte. „Ich habe nicht gefragt, was du bisher mit deinen Abenden angefangen hast“, sagte sie. „Ich weiß sehr wohl, daß du in dem Ruf stehst, ein Frauenheld zu sein. Ich meine, was machst du jetzt? Ich nehme an, Lady Beryl wünscht, daß du sie zu den überfüllten und stickigen Partys begleitest - wie du dich ausdrückst.“
„Als verlobter Mann bleibt man nicht ungestraft, Mama“, sagte der Marquis. „Aber ich versichere dir, daß ich nach wie vor lieber Bridge spiele, als mich auf Festen herumzutreiben, und ich habe nicht die geringste Absicht, mir jede Nacht um die Ohren zu schlagen, ob nun Beryl oder der Prinz mich dazu verführen wollen oder nicht.“
Die Marquise lächelte. „Ich weiß, daß du neue Pferde hast, und nehme an, daß du sie einreiten willst. Und du bist ja schon immer sehr früh am Morgen ausgeritten.“
„Ja, zwölf Vollblutpferde. Ich freue mich schon, wenn ich sie dir vorführen kann.“
„Und ich freue mich darauf, sie zu sehen.“
Für Pferdeliebhaber war einer der großen Vorteile des Friedens mit Frankreich die Tatsache, daß wieder Pferde eingeführt werden konnten. Der Marquis hatte sich aus Syrien Stuten kommen lassen, die vor einem Monat eingetroffen waren. Wenn er von seinen Pferden sprach, klang seine Stimme zufriedener und glücklicher als eben noch, wo er von seiner zukünftigen