Ich wurde durch das Eintreten des Grafen geweckt, der so verbissen wie möglich dreinsah, als er zu mir sagte:
»Morgen, mein Freund, heißt es also reisen. Sie kehren in ihr herrliches England zurück, ich zu einer Beschäftigung, die so ausgehen kann, dass wir uns vielleicht nie wieder sehen. Ihr letzter Brief ist aufgegeben worden; morgen werde ich nicht hier sein, aber alles ist für Ihre Reise vorbereitet. Früh kommen Sziganos, die noch einige Arbeiten hier vorzunehmen haben, und auch einige Slowaken. Wenn alle fort sind, wird mein Wagen Sie abholen und zum Borgópass bringen, woselbst Sie den Postwagen von der Bukowina nach Bistritz erwarten können. Aber ich denke, ich sehe Sie noch öfter hier auf Schloss Dracula.« Ich traute ihm nicht recht und wollte seine Aufrichtigkeit auf die Probe stellen. Aufrichtigkeit! Es ist wie eine Profanation dieses Wortes, wenn man es in einem Atem mit diesem Scheusal nennt. Ich fragte ihn gerade heraus:
»Warum soll ich denn nicht heute Nacht fahren?«
»Weil mein Kutscher und meine Pferde nicht verfügbar sind, mein Bester.«
»Aber ich würde recht gerne zu Fuße gehen. Sogleich möchte ich am liebsten den Marsch antreten.« Er lächelte sanft, verbindlich; aber es lag in diesem Lächeln so viel satanischer Spott, dass ich fühlte, es stecke irgend eine Tücke hinter dieser Freundlichkeit. Er fuhr fort:
»Und wie ist es mit Ihrem Gepäck?«
»Ich brauche es nicht. Ich kann es gelegentlich nachschicken lassen.« Der Graf stand auf und sagte mit so feiner Artigkeit, dass ich mir die Augen reiben musste, um mich zu versichern, dass ich nicht träume:
»ihr Engländer habt eine Redensart, die ich mir besonders gemerkt habe, weil sie das ausdrückt, was auch wir Bojaren befolgen: ›Gib dem kommenden Gast dein Bestes, den abreisenden aber halte nicht auf.‹ Kommen Sie mit mir, lieber junger Freund. Nicht einen Augenblick sollen Sie länger in meinem Hause sein, als Sie es selbst wünschen, obgleich es mir leidtut, dass Sie schon fort wollen und das so plötzlich wünschen. Kommen Sie mit!« Mit steifer Grandezza stieg er, die Lampe in der Hand, vor mir die Stiege hinunter und durchschritt die Halle. Plötzlich blieb er stehen:
»Horchen Sie!«
Ganz in der Nähe hörten wir das Bellen von Wölfen. Es war, als erhöbe sich der Lärm in dem Augenblick, als er mit der Hand winkte, gleichwie ein großes Orchester auf den Taktstrich des Dirigenten einsetzt. Nach einer kurzen Pause schritt er in seiner gravitätischen Weise aufs Tor zu, zog die gewichtigen Riegel zurück, hakte die schweren Ketten aus und öffnete langsam.
Zu meinem höchsten Erstaunen musste ich bemerken, dass das Tor unverschlossen war. Voll Misstrauen sah ich näher hin, konnte aber keinen Schlüssel entdecken.
Als das Tor aufging, wurde das Bellen der Wölfe lauter und wilder; ihre roten Mäuler mit dem schaumbedeckten Gebiss und ihre klauenbewehrten Füße drängten sich herein. In diesem Augenblick ward es mir klar, dass es unnütz wäre, einen Kampf gegen den Grafen aufzunehmen. Gegen ihn, der solche Verbündete hat, kann ich doch nichts ausrichten. Allmählich öffnete sich das Tor weiter und des Grafen hagere Gestalt stand allein in der Öffnung. Plötzlich fuhr es mir durch den Sinn, dass der Tag meines Unterganges ja da sei und ich den Wölfen vorgeworfen werden sollte. Ich selbst hatte es ja veranlasst. Es lag eine teuflische Bosheit in dieser Idee, die dem Grafen vollkommen zuzutrauen war, und ich schrie zuletzt:
»Schließen Sie das Tor, ich warte gerne bis morgen!« Dann bedeckte ich mein Gesicht mit den Händen, um die bitteren Tränen der Enttäuschung zu verbergen, die mir die Augen füllten. Mit einer Bewegung seines mächtigen Armes zog der Graf das Tor zu und schob die Riegel wieder vor, die in dem weiten Gewölbe widerhallten und klangen.
Wir kehrten schweigend zur Bibliothek zurück, und eine oder zwei Minuten später begab ich mich auf mein Zimmer. Als ich mich noch einmal kurz umwandte, sah ich, wie Graf Dracula mir Handküsse zuwarf, mit einem Lächeln, auf das Judas in der Hölle hätte stolz sein können.
In meinem Zimmer angekommen, wollte ich mich eben niederlegen, da hörte ich ein Flüstern vor meiner Türe. Ich ging leise hin und lauschte. Wenn mich meine Ohren nicht täuschten, so war es die Stimme des Grafen, welche sagte:
»Zurück, zurück auf eure Plätze! Eure Zeit ist noch nicht gekommen. Wartet! Habt Geduld! Morgen Nacht, morgen Nacht ist er euer!« Ein süßes, leises Kichern war die Antwort, und wütend stieß ich die Türe auf. Draußen waren die drei schrecklichen Frauen, die gierig ihre Lippen leckten. Als sie mich erblickten, brachen sie alle zusammen in ein entsetzliches Gelächter aus und rannten davon. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und warf mich auf die Knie nieder. Ist es denn schon so nahe, das Ende? Morgen! Morgen! Gott hilf mir und denen, die mich lieb haben!
30. Juni, morgens. – Das werden wohl die letzten Worte sein, die ich in dieses Tagebuch schreibe. Ich schlief bis kurz vor Tagesanbruch, und als ich aufstand, warf ich mich auf die Knie nieder, denn ich wollte, dass der Tod, wenn er käme, mich wenigstens nicht unvorbereitet fände. Dann fühlte ich die eigenartigen Veränderungen in der Luft und wusste, dass der Morgen da sei. Nun ertönte auch der ersehnte Hahnenschrei und ich wusste, dass ich gerettet war. Mit frohem Herzen öffnete ich meine Türe und eilte hinunter nach der große Halle. Ich hatte gesehen, dass das Tor nicht verschlossen worden war und dass der Weg zur Freiheit mir offen stand. Meine Hände zitterten von Erregung, als ich die schweren Ketten aushakte und die massiven Riegel zurückschob.
Aber das Tor bewegte sich nicht; Verzweiflung packte mich. Ich stieß immer und immer wieder dagegen und rüttelte daran, dass es, so schwer es auch war, in den Angeln krachte. Es konnte nicht anders sein: der Graf musste es verschlossen haben, nachdem er von mir gegangen war.
Da ergriff mich ein wildes Verlangen, des Schlüssels um jeden Preis habhaft zu werden, und ich beschloss, nochmals die Mauer hinunterzuklettern und in des Grafen Zimmer einzudringen. Er mochte mich meinethalben töten – der Tod schien mir tausendmal besser als das, was mir in Aussicht stand. Ohne zu zögern rannte ich zu dem östlichen Fenster und stieg, wie das erste Mal, die Mauer hinab in das Zimmer des Grafen. Es war leer, aber ich hatte es nicht anders erwartet. Ich konnte nirgends einen Schlüssel erblicken, aber der Haufen Gold war noch da. Ich ging durch die