Dann raufte sie ihr Haar, zerschlug sich die Brust und gab sich allen Gewalttätigkeiten unerträglichen Schmerzes hin. Endlich sprang sie wieder auf und stürzte näher heran; ich konnte sie nicht mehr sehen, aber ich hörte das Pochen ihrer Hände am Tor.
Irgendwo hoch oben, wahrscheinlich vom Turm, hörte ich den Grafen mit harter, metallischer Stimme etwas rufen. Als Antwort ertönte von nah und fern das Heulen der Wölfe. Ehe einige Minuten verstrichen waren, kam ein Rudel von ihnen durch den weiten Eingang in den Schlosshof gestürzt, wie befreite Wasser über den geborstenen Damm.
Die Frau schrie nicht und die Wölfe heulten nur jäh auf; kurze Zeit später strichen sie einzeln davon, sich die Lefzen leckend.
Ich konnte kein Mitleid mit ihr haben, denn ich wusste nun, was mit ihrem Kinde geschehen war. Da war sie besser tot. Was soll ich tun? Was kann ich tun? Wie kann ich mich diesem entsetzlichen Wirrsal von Nacht, Spuk und Angst entziehen?
25. Juni, morgens. – Niemand, der nicht schon in der Nacht Schreckliches gelitten, weiß, wie süß und teuer für Herz und Augen der Morgen sein kann. Als die Sonne so hoch gestiegen war, dass sie die Spitze des meinem Fenster gegenüberliegenden Turmes vergoldete, war es mir, als hätte sich die Taube aus der Arche Noah dort niedergelassen. Meine Angst zerfloss wie ein Nebelschleier vor dem Gestirn des Tages. Ich muss irgendetwas unternehmen, solange mir die Tageshelle Mut gibt. Heute Nacht ging mein erster, im Voraus datierter Brief ab; der erste in der verhängnisvollen Reihe, die jegliche Spur meiner Existenz von der Erde verlöschen soll.
Ich will nicht daran denken. Handeln!
Immer war es nur zur Nachtzeit, dass ich belästigt und bedroht war oder mich in Furcht und Gefahr befand. Ich habe den Grafen bis heute noch nicht bei Tage gesehen. Ist es denkbar, dass er schläft, während die anderen wachen, und dass er wachen muss, wenn sie schlafen? Könnte ich nur in sein Zimmer! Aber es gibt keine Möglichkeit; die Türe ist immer verschlossen, kein Eingang für mich.
Halt, und dennoch gibt es einen Weg für den, der ihn zu gehen wagt. Wo er ging, da muss doch auch ein anderer gehen können. Ich habe ihn selbst aus dem Fenster kriechen sehen; warum sollte ich es ihm nicht nachmachen und in sein Fenster steigen? Die Sache ist verzweifelt, aber meine Lage ist eine noch verzweifeltere. Ich wage es. Im schlimmsten Falle bedeutet es den Tod, aber der Tod eines Menschen ist etwas anderes als der eines Kalbes; es öffnete sich mir die gefürchtete Pforte ins Jenseits. Gott gebe mir Kraft zu meinem Unternehmen! Leb wohl, Mina, wenn ich fehltrete, leben Sie wohl, treuer Freund und Vater, lebt wohl, ihr alle, und noch einmal Du, Mina!
Am gleichen Tage, später… Ich habe das Wagnis unternommen und bin mit Gottes Hilfe unversehrt wieder in mein Zimmer zurückgekehrt. Ich will alles der Reihenfolge nach berichten. Ich ging voll Mut direkt auf das Fenster der Südseite zu und stieg auf das schmale Steingesims, das rings um das Gebäude läuft. Die Steine waren groß und roh behauen, und den Mörtel hatte der Zahn der Zeit weggenagt. Ich zog meine Stiefel aus und machte mich auf den hoffnungslosen Weg. Ich sah zuerst eine Zeit lang in die grausige Tiefe, damit mich nachher nicht ein zufälliger Blick da hinunter aus der Fassung brächte, aber dann hielt ich die Augen abgewandt. Ich kannte genau die Richtung und die Entfernung, die mich von des Grafen Fenster trennte, und machte mich auf den Weg, alle Vorteile ausnützend, die sich mir boten. Ich fühlte keinen Schwindel, keine Angst – ich glaube, weil ich zu erregt war – und die Zeit schien mir lächerlich kurz, die ich brauchte, um an des Grafen Fenster zu gelangen. Ich hielt mich am Rahmen fest. Immerhin war ich tief erregt, als ich mit gebeugtem Rücken, mit den Füßen voran, durch die Öffnung einstieg. Ich sah mich nach dem Grafen um, machte aber zu meiner Überraschung und Freude eine Entdeckung: das Zimmer war leer! Es war mit seltsamen Dingen möbliert, die den Eindruck machten, als würden sie nicht benützt; das Mobiliar war das gleiche wie in dem südlichen Zimmer und dicht mit Staub bedeckt. Ich begann sofort nach dem Schlüssel zu suchen, es steckte aber kein solcher im Schlüsselloch; auch sonst war nirgends einer zu finden. Das einzige, was ich entdeckte, war ein großer Haufen Gold in einer Ecke – Goldstücke aller Art, römisches, englisches, österreichisches, ungarisches, griechisches und türkisches Gold, gleichfalls mit einer dichten Staubschicht überzogen, als läge es schon sehr lange hier auf dem Boden. Keines der Stücke war weniger als 300 Jahre alt. Auch Ketten und Schmucksachen lagen dabei, einige mit Juwelen besetzt, aber alles alt und unscheinbar.
In einer Ecke des Zimmers war eine schwere Türe; ich versuchte sie zu öffnen, denn da ich den Schlüssel zum Zimmer oder zum Außentor nicht finden konnte, was ja eigentlich der Gegenstand meines Wunsches war, musste ich weitere Erkundungen vornehmen, wenn nicht alle meine Mühe umsonst gewesen sein sollte. Die Tür war unverschlossen und führte durch einen gepflasterten Gang zu einer steil in die Tiefe abfallenden Wendeltreppe. Ich stieg hinab, indem ich mich vorsichtig weitertastete; denn die Stiegen waren dunkel und nur hier und dort fiel ein schwacher Lichtschimmer durch die Schießscharten, die das dicke Mauerwerk durchbrachen. Unten gelangte ich in einen finsteren, tunnelartigen Durchgang, aus dem mir widerlicher Leichengeruch und der Dunst frisch aufgegrabener Erde entgegenschlug. Je weiter ich im Durchgang vordrang, desto intensiver wurde der Geruch. Schließlich kam ich an ein schweres altes Tor, das offen stand, und ich trat in eine verfallene Kapelle, die offenbar als Begräbnisplatz gedient hatte. Das Dach war eingefallen und an mehreren Stellen führten Stufen in Grabgewölbe; der Boden war frisch umgegraben und die Erde in mächtige Holzkisten gefüllt, offenbar dieselben, welche die Slowaken gebracht hatten. Das war jedoch für mich nicht von Interesse und ich forschte weiter nach einem Ausgang, aber vergebens. Jeden Zollbreit des Bodens untersuchte ich, um keine Möglichkeit zu übersehen. Ich stieg in die Gewölbe hinab, in denen ein graues Dämmerlicht herrschte; es war furchtbar für mich. In zweien war ich gewesen, ohne etwas anderes zu sehen als alte Sargstücke und Haufen von Staub. Aber im dritten, da machte ich eine Entdeckung.
Hier in einer der großen Kisten, deren etwa fünfzig herumstehen mochten, auf einem Haufen frischer Erde… lag der Graf! Er war tot oder er schlief, ich konnte es nicht erkennen; die Augen waren offen und starr, aber ohne das gläserne Aussehen von Totenaugen, und die Wangen hatten trotz aller Leichenblässe doch den warmen Schimmer des Lebens und die Lippen waren rot wie immer. Aber keine Spur von Bewegung an ihm, kein Puls, kein Atemzug, kein Herzschlag. Ich beugte mich über ihn und horchte nach einem Lebenszeichen. Er konnte noch nicht lange dort gelegen haben, denn der frische Geruch der Erde wäre doch in wenigen Stunden verflogen gewesen. Neben der Kiste stand der Deckel, von Nagellöchern durchbohrt. Ich hoffte, er werde die Schlüssel bei sich haben;