Die ganze welt ist Spaß. Lotte Ingrisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lotte Ingrisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783902862341
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betreiben, die Geografie und Geschichte der Lebensmuster. Ich vermute, dass wir alle nur bunte Fäden sind, die sich zu immer anderen Mustern verknüpfen. Und wie gern ergründete ich die Identität dieser Muster! Womöglich fügen auch sie sich in einer fünften Dimension zu überraschenden Einheiten zusammen?

      Zurück zu Lilo, die mir eines Tages sehr nachdenklich gegenübersaß. Fragend schaute ich sie an, und sie seufzte bedauernd. »Du bist«, erklärte sie mir, »ka Geborene. Du bist nur a G’wisse!« Damit hat Gottfried, dem ich meinen gewissen Adel verdanke, mich im Spaß oft geneckt.

      Er und ich, wir haben Titel jeglicher Art immer nur für Spiele gehalten. Lustige und sehr komische Spiele. Fritz Dürrenmatt, selbst ein launiger Spieler, wollte schrecklich gern Hofrat werden. Klar, dass Gottfried ihm dieses fröhliche Präsent gern gemacht hätte. Er besprach es mit dem Bürgermeister, dem Minister, dem Bundespräsidenten. »Aber mit Vergnügen!«, versicherten alle. »Das Problem ist nur, dass er als Schweizer diesen Titel nicht annehmen darf.«

      Schade, dass Spiele Regeln haben. Aber sonst wären sie keine. Obwohl der Bruch alter Regeln oft der Beginn eines neuen Spiels ist. Ich wünsche mir keine finsteren, sondern heitere, neugierige Revolutionäre! Und hoffe, selbst einer zu sein.

      PAUL ZSOLNAY

      Im Gegensatz zu mir, die Wissenschaft und Kriminalromane vorzieht, war Gottfried von Einem ein Liebhaber der Literatur. »Paul Zsolnay«, sagte er oft am Rindlberger Kamin, »hätte ich gern kennen gelernt! Auf der Durchreise stieg ich früher immer in Salzburg aus, um seine neuesten Bücher zu kaufen. Wie war er eigentlich?« »Wirst du selbst sehen«, versicherte ich. »Sobald wir tot sind, mache ich euch miteinander bekannt.« Und dann erzählte ich …

      Er war mein erster Verleger und ohne Zweifel der glänzendste seiner Zeit. Groß, mager und von jener Hässlichkeit, die schon eine Steigerung der Schönheit ist. Und er hatte die ebenso seltene wie bezaubernde Eigenschaft, sich selbst nicht ernst zu nehmen. »Du bist ein Kind«, lachte ich, wenn er mir seine Streiche erzählte. »Ja«, bestätigte er. »Aber ein armenisches Kind!«

      Er war ein Idealist und äußerst sendungsbewusst. Was ihn aber nicht daran hinderte, sehr reich zu werden. Überkam eine Steuerprüfung seinen Verlag, spielte er so lang und überzeugend den lebensunfähigen Träumer, bis die Prüfer sich erschrocken und unter tausend Entschuldigungen empfahlen.

      Eigentlich wollte er selbst Dichter werden. Als er aber das Manuskript seines ersten Romans las, siegte sein nicht einmal durch ihn selbst bestechliches Urteil und er warf ihn ins Feuer. Wir verbrachten viele Abende bei ihm in der Operngasse. Er trank Earl Grey, und ich … Naja. Einmal saß ich mit seinem Lektor Hans W. Polak, von Hugo, Gottfried und mir nur W-Punkt genannt, in einem Espresso. »Ich mache mir«, sagte er mit dumpfer Stimme, »große Sorgen um Herrn von Zsolnay. Ich glaube, er säuft.« »Wie kommst du darauf?«, fragte ich erstaunt. »Wir bekommen sagenhafte Rechnungen in den Verlag«, sagte er. »Jede Woche mindestens zwei Flaschen Martell!« Erst viele Jahre später hab ich dem W-Punkt gestanden, dass seine Sorge unbegründet war.

      Wie sein Freund, der alte Rowohlt und Vater vom Ledig, musste er an einem Manuskript nur riechen, um es beurteilen zu können. Also ein bisschen las er es natürlich schon an. »Aber«, erklärte er mir, »ein Ei muss ich schließlich auch nicht aufessen, um festzustellen, ob es faul ist.« Eindeutig hatte er, was man den sechsten Sinn nennt, die Voraussetzung jedes geschäftlichen Erfolgs.

      Auf den Tod war er neugierig, er hatte überhaupt keine Angst. »Es ist alles, da bin ich sicher, ganz einfach. Wenn ich gestorben bin, werde ich lachen. Ich werde nicht verstehen, dass ich es nicht verstand!« Von fern und sehr leise habe ich sein Gelächter gehört.

      DIE TAPETENTÜR

      1975 wurde Gottfried von Einems Kantate »An die Nachgeborenen«, ein Auftrag der Vereinten Nationen, in New York uraufgeführt. Wir wohnten bei Hofrat Cocron im Österreichischen Kulturinstitut. Er selbst hatte uns in weinseliger Stimmung eingeladen. Wieder nüchtern, wollte er uns sofort ins nächste Hotel verfrachten. Aber Gottfried, er konnte sehr boshaft sein, bestand auf Cocrons Schlafzimmer und der Ärmste, der gerade in Scheidung lebte, zog sich traurig in die Bügelkammer zurück.

      Mir fiel auf, dass Gottfried jede Nacht mehrmals aufstand und im Badezimmer verschwand. Ich machte mir Sorgen. »Geht es dir nicht gut?«, fragte ich. »Ganz im Gegenteil!« Er strahlte. »Es geht mir sogar ausgezeichnet.« Ich glaubte ihm nicht. Eine geheimnisvolle Krankheit, die er aus purer Rücksicht verschwieg. Ich bin eine Glucke. Heimlich folgte ich ihm. Hoppala! Das Badezimmer war leer.

      So leer wie schön langsam der Weinkeller des Kulturinstituts, zu dem eine Wendeltreppe hinter der Tapetentür im Bad führte.

      Sichtlich erleichtert begleitete uns der Hofrat, als wir endlich abreisten, zum Flughafen. Wir tranken noch einen Whisky. Auch einen zweiten. »Kommen Sie wieder!«, sagte er gefühlvoll. »Im Ernst?« Ungläubig schauten wir ihn an. »Wir kommen gern.« Er erschrak: »Es muss ja nicht morgen sein!«

      Aber wir waren, obwohl Gottfried später ein paar Opernpremieren in New York hatte, seither nie wieder dort.

      BAYREUTH

      Gottfried von Einem gehörte ein Viertel von Bayreuth, und das kam so: Mit Richards Enkelin Friedelind Wagner, genannt die Maus, war er verlobt. Eine Idee ihrer Mütter, und zum Glück blieb es bei der Idee. Denn in diese Familie einzuheiraten, ist nicht unbedingt ratsam.

      Vorher hatte Gottfried nur zwei Liebesgeschichten. Eine mit dem Küchenmädchen von Malente, dem Gut seiner Eltern, das ihm bis zuletzt Briefe schrieb: »Sehr geehrter Herr Baron!« Er schrieb immer zurück. Nach seinem Tod schickte sie mir eine blonde Kinderlocke in Seidenpapier. Gottfried, den sie Goldie nannten, war damals noch sehr jung. Das Küchenmädchen verließ ihn dann wegen des Kochs, aber seine Locke bewahrte sie bis zu seinem Tod auf.

      Später verliebte er sich in Ulla, eine schöne junge Tänzerin. Auch ihr blieb er lebenslang verbunden. Einmal besuchte sie uns in Rindlberg. Ich schrieb damals Drehbücher fürs ZDF und flog für zwei Tage nach Mainz. Gottfried und Ulla, beide schon in den Siebzigern, blieben allein zurück. In der Nacht überwältigte ihn die Erinnerung an die Neunzehnjährige, und er stand auf. Schlich auf Zehenspitzen in ihr Zimmer. »Es war kein Erfolg«, erzählte er mir später betrübt. »Sie schlief und war einfach nicht wach zu kriegen.« Was Ulla, als sie davon erfuhr, tief bedauerte.

      Als platonischer Bräutigam aber reiste er zwanzigjährig mit der Maus durch Italien. Als sie 1940 nach Amerika emigrierte, nahm sie das gesamte Einem-Vermögen mit. Gold, Geld und Schmuck. Sie wollte es eigentlich nur retten. Als der Krieg zu Ende war, stellte sich jedoch heraus, dass sie alles verkitscht hatte. Zur Wiedergutmachung bekam Gottfrieds Mama und, nach ihrem Tod, er selbst ein grundbücherlich eingetragenes Viertel von Bayreuth, auf dreieinhalb Millionen DM geschätzt.

      Als Wolfgang Wagner die Bayreuther Festspiele staatlich machen wollte, hat Gottfried ihm auf seine Bitte das ganze Viertel geschenkt. Nur ein Skizzenblatt von den »Meistersingern« hätte er gern gehabt. Wolfgang verkaufte, statt sie zu widmen, alle vier Viertel dem Staat. Ein Skizzenblatt bekam Gottfried nie.

      Er war eben kein Geschäftsmann, und auch dafür liebe ich ihn. Besser, der Betrogene als der Betrüger zu sein. »Du bist verrückt«, sagte Dürrenmatt. »Dein Viertel musst du einer alten Amerikanerin verkaufen, mit rosa Anzug und blauen Haaren. Und die macht dann den Wagners das Leben zur Hölle!«

      Das allerdings wäre lustig gewesen.

      DAS FESTTAGSREZEPT

      In Sankt Kringel läutete das Telefon. »Frau Ingrisch, was kochen Sie zu Weihnachten? Wir publizieren ein Buch mit den Festtagsrezepten der Prominenz. Dürften wir um Ihren Beitrag bitten?«

      Warum nicht? Bei mir gab es zu Weihnachten ohnedies immer dasselbe. »Vermischen Sie«, schrieb ich, »in einer Schüssel Buttermilch mit Honig und