Bald darauf ist er tatsächlich gestorben und ich hoffe, dass Herzmanovsky-Orlando ihn nicht mit dem Rosen-, sondern dem Dornennetz empfangen hat. Denn dieses skurrile Genie des Übernatürlichen, das in der Geisterwelt ein- und ausging wie Torberg im Café Raimund, wurde von seinem Nachlassverwalter und Herausgeber gnadenlos korrigiert und kastriert.
Von jeglichem Aberglaube ist der Rationalismus einer der dümmsten.
WOTRUBAS VOGEL
Der Bildhauer Fritz Wotruba war, was man ein Mannsbild nennt. Ein Grobian, ein Raufbold, ein Genie. Als einmal ein Arbeiter um sieben Uhr früh im Standartenhof zu hämmern begann, stürzte Wotruba im Pyjama aus seiner Wohnung, hob den Unglücklichen hoch und warf ihn kurzerhand auf die Straße.
Einmal, als Gottfried in der Marokkanergasse Geburtstag feierte, verprügelte Wotruba den gleichfalls eingeladenen Componisten Heimo Erbse unterm Klavier. Am liebsten aber habe ich die Geschichte von der Eden-Bar. Qualtinger saß dort und trank. Wotruba saß dort und trank. Am nächsten Vormittag trafen die Freunde einander auf dem Stephansplatz, beide in Gips. »Jo, wos is’ dir denn passiert?«, fragten sie einander. »Owa in der Eden-Bar«, so Wotruba, »is ma aner blöd daherkommen …« »Mir aa!«, rief Qualtinger. Verdutzt schauten sie einander an, bis beiden ein Licht aufging: »Ah, des warst duuu?« Und Luzie, von Fritz »Baby« genannt, hatte den Rest der Nacht am Finger ihres Mannes gezogen. »Er stand«, erzählte sie uns, »quer! Und das bei einem Bildhauer.«
In seinem Atelier im Prater hatte Wotruba eine zahme Krähe. Sie hieß, glaube ich, Hansi und wurde nach Strich und Faden verwöhnt. Was alles unter einer rauen Schale Platz hat! Einmal waren wir bei Fritz und Luzie zum Essen eingeladen und entdeckten unter ihrer vertrauten Türtafel eine zweite: »Von Pelzl.« »Oje«, sagten wir. »Ein Untermieter!« Und Gottfried bot seinem Freund Finanzhilfe an. Der Untermieter wurde uns vorgestellt. Herr von Pelzl war eine Katze.
Jene Katze, die Luzie ihrem Mann in einer Einkaufstasche ins Spital schmuggeln musste, ehe er starb. Und zwar kraftvoll, wie er gelebt hatte. Sein zweiter Herzinfarkt war als Rheumatismus diagnostiziert worden, und Fritz schleppte noch selbst die schweren Skulpturen für eine Ausstellung in Mailand. Dann brach er zusammen. Als er merkte, dass es nie wieder sein würde wie früher, riss er alle Drähte und Schläuche aus seinem Leib. »Lasst’s mi in Ruah«, sagte er, »i wü sterb’n!« Und das tat er.
Eine Woche vorher hatte er uns in Rindlberg angerufen und Gottfried vorgeschlagen, dass wir einander am soundsovielten um Punkt zwei treffen sollten. Er war pünktlich. Allerdings auf dem Zentralfriedhof und im Sarg.
Wir waren mit dem Maler Kurt Moldovan auf den Friedhof gefahren, seine Freundin Puppi chauffierte. Als sie den Wagen vor dem Tor abstellen wollte, kam ein uniformierter Leichendiener angerannt und verscheuchte uns: »Der Platz ist nur für Prominenz!«
DAS TELEGRAMM
Gottfried von Einem wusste natürlich, dass er ein Bär war. Kein gewöhnlicher Braunbär, wie er irgendwann erkannte, sondern ein Hermelin. Feuer speiend! Kann sogar sein, ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht. Wie auch immer, Rudolf Gamsjäger war damals Chef des Musikvereins und ich fand, diese Information stünde ihm zu. Also teilte ihm Gottfried aus der Ramsau telegrafisch mit: »Ich bin ein Feuer speiender Hermelinbär!«
Die Antwort kam umgehend und gleichfalls per Telegramm: »Ich lasse mich nicht beleidigen! Gamsjäger.«
Ich sehe noch Gottfrieds verdutztes Gesicht, und eigentlich war er enttäuscht. Da wollte er mit einem anderen Kind spielen, aber das andere Kind hielt sich für erwachsen und hat ihm die Zunge gezeigt. Würden wir doch endlich erkennen, dass wir alle Kinder sind, die miteinander spielen wollen! Die Welt wäre viel lustiger, und die Erwachsenen stürben endlich aus.
Kinder wachsen und spielen, Erwachsene arbeiten und schrumpfen. Mit dem Alter hat das überhaupt nichts zu tun.
THE MAN WHO CAME TO DINNER
Gottfried von Einem hatte sich in die »Alte Dame« verliebt. Wie ein Troubadour warb er um sie oder vielmehr ihren Schöpfer. Zuerst mehr als spröde, gab Friedrich Dürrenmatt, nachdem er »Dantons Tod« an der Staatsoper gehört hatte, endlich seinen Segen. Das feierten wir bei den »Drei Husaren«, und als wir gingen, nahm Dürrenmatt den silbernen Fasan, der unseren Tisch geziert hatte, einfach unter den Arm. Diskret verstellte uns der Oberkellner die Tür und nahm ihm den Vogel weg.
Wie sehr hat Gottfried es während der folgenden Jahre bedauert, dass er das Silbertier nicht auf der Stelle, um jeden Preis, erworben und es dem vermeintlichen Dieb geschenkt hatte. Denn Dürrenmatt liebte Vögel und hatte selbst, außer drei Hunden, einen großen blauen Ara und mehrere Wellensittiche, von denen einer Shakespeare hieß.
Zum nächsten Wochenende luden er und seine Frau Lotti uns nach Neuchâtel ein. Wir kamen an, und Gottfried wurde kanariengelb. »Das muss am Licht liegen«, sagte er. Und aß, sonst der fröhlichste Esser, mit mühsam unterdrückter Verzweiflung die Köstlichkeiten, die Frau Dürrenmatt gekocht hatte. Denn ihm war speiübel.
Es schneite die ganze Nacht, und am Morgen war alles weiß. Nur Gottfried war gelber als gelb. »Sie gehören in ein Spital«, sagte Dürrenmatt unbehaglich und bestellte ein Taxi, das uns zum Zug nach Wien bringen sollte. Er rief noch viele Taxis, und alle blieben im Schnee stecken. Zuletzt rief er seinen Freund und Arzt Fred Schertenleib, der sich aus Bern zu uns durchschlug und Gottfried mit einer Rodel vom Berg zog. »Gelbsucht«, diagnostizierte er. »Eine Bahnfahrt hätten Sie nicht überlebt.«
Es war seine zweite Gelbsucht, und die nächsten sechs Wochen verbrachte er in seiner Geburtsstadt Bern. Im Spital, und Dürrenmatt besuchte ihn alle Tage. In den Nächten telefonierten sie. Stundenlang. Ich nannte ihn Gottfrieds Braut. So entstand das Libretto. Ich tippte es, denn Fritz und Lotti hatten mich in ihrem Haus aufgenommen. Ich spielte mit den Wolfshündinnen, ließ mich von Sheriff, einem winzigen Irgendwas, bewachen, und der frei lebende blaue Ara wiegte sich vor mir hin und her. Auch Tieren gegenüber höflich, wiegte ich mich ebenfalls, bis Fritz mich vom Vogel wegriss. »Das sind Drohgebärden«, klärte er mich auf. »Er hat dir soeben den Krieg erklärt.«
Da war Agatha Christie viel friedlicher. Begeistert las ich ihre Kriminalromane, die komplett im Regal standen, denn Dürrenmatt bewunderte sie sehr. Auf einem Bankett hatte er einmal eine komische Tischdame. Sie sprach kein Wort, er sprach kein Wort. Unter peinlichem Schweigen quälten sie sich von Gang zu Gang. »Wer war denn die Alte?«, fragte er hinterher. Keine andere als Agatha Christie! Fritz hätte sich am liebsten erhängt.
An den Abenden tranken wir miteinander Bordeaux. Nach dem dritten Glas erläuterte ich für gewöhnlich dem Dichter die Welt. Dass wir alle Zellen in einem möglicherweise unendlichen Organismus wären, den wir Universum nennen und der uns ebenso fremd wie vertraut ist. Nach dem fünften Glas stimmte Fritz mir jedes Mal zu.
Als Gottfried wieder weiß war, brachte unser Botschafter Erich Bielka ihn zum Abschied noch einmal nach Neuchâtel. »Aber du bist ja«, sagte Lotti, als mein Mann ihr die Hand küsste, »ganz heiß!« Sie maß seine Temperatur. Vierzig Grad Fieber. Wir blieben weitere zwei Wochen. Nachdenklich schaute Fritz seinen neuen Freund an. »Kennst du«, fragte er mild, »den Film THE MAN WHO CAME TO DINNER?«
Nach der Uraufführung ihrer Oper »Der Besuch der alten Dame« klatschte das Publikum eine Dreiviertelstunde lang. Sie wurde ein Welterfolg.
A G’WISSE
Baronin Lilo Wicke war die langjährige Lebensgefährtin von Gottfrieds Freund Erwin Thalhammer, ehemals Chef der Bundestheater und zuletzt Präsident des Denkmalamts. Ein Literat vom Rang Herzmanovskys und so schön, dass die Damen, wie er uns erzählte, überall mit Zelten hinter ihm herzogen.
Geheiratet hat er nach Lilos Tod meine Freundin Beatrice Ferrolli, die er auf Gottfrieds und meiner Hochzeit