Gleich darauf kam auch, etwas irritiert, Frau Kalmus, und Maria servierte. Mein Appetit war nicht groß. Außer mir waren alle in bester Stimmung, und unsere Gäste lobten das Essen. Erst, als wir wieder allein waren, habe ich Gottfried alles erzählt. Er wieherte vor Vergnügen.
IONESCO UND DAS FLÜCHTIGE
NASHORN
Gottfried von Einem hatte sich in die »Nashörner« verliebt. Er reiste ihnen praktisch um die halbe Welt nach. Denn er wollte sie zu einer Oper machen.
Eigentlich war es ja Eugène Ionesco, dem er nachreiste. Und seinen diversen Agenten. Nach England, Frankreich, Amerika und so fort. Ionesco wusste offenbar selbst nicht, wer die Rechte besaß, und zuletzt stellte sich heraus, dass es ein Lehrer in Los Angeles war, der das Stück für eine Aufführung an seiner Universität componierte.
So fanden im Lauf der Jahre immer wieder Begegnungen mit Ionesco statt, und von einer hat Gottfried mir diese Geschichte erzählt: Er war zum Abendessen in die Pariser Wohnung des Ehepaars eingeladen. Monsieur und Madame waren beide sehr klein. Und da sie einander, wie das in guten Ehen so üblich ist, zwar liebten, aber auch hassten, war ihr Zusammenleben voll der Tücke.
Zum Beispiel versteckte einer dem anderen gern die Schlüssel auf dem Schrank, wo keiner von beiden hinaufreichte. Und natürlich verbot Madame ihm, wenngleich vergeblich, das Trinken.
Diese Geschichte hat uns Frau Marboe, die Witwe des einstigen Bundestheatergenerals und Mutter eines Fernsehintendanten und eines Stadtrats, beim »Carinthischen Sommer« erzählt. Ein ländliches Fest. Ionesco stand glücklich neben ihr, in der einen Hand eine Speckschwarte, in der anderen eine Flasche Schnaps. In diesem Augenblick betrat Madame die Bühne. »Schnell, nehmen Sie!«, flüsterte er und überreichte beides Frau Marboe. Nun trafen auch die anderen Honoratioren ein und eilten auf sie zu, um ihr die Hand zur Begrüßung zu küssen. Was aber unmöglich war, da die Ärmste beide Hände hinter ihrem Rücken versteckte, in der einen die Schnapsflasche und in der anderen den Speck.
Etwas Ähnliches ist bei den Bregenzer Festspielen passiert, wo die Ginflasche beim Anblick Madame Ionescos hurtig dem Theaterdirektor Felix in den Arm gedrückt wurde, während Monsieur ihn voller Angst fragte: »On le sent? On le sent?« Riecht man es? Kann man es riechen?
SANKT KRINGEL
Wie Gottfried von Einem schon immer sagte, war er kein Mensch. Sondern ein Bär, und das ist er geblieben. So ist es kein Wunder, dass unser Rindlberger Holzhacker-Häuschen, das ich nach langem und aufgeregtem Suchen erwarb, in der Bärenlucke stand. Das wusste ich damals noch nicht. Erst viele Jahre später fand ich den Namen auf einer alten Landkarte und war entzückt. Der Bär war in seine Höhle zurückgekehrt.
Dabei hat er sich zuerst mit allen vier Tatzen dagegen gewehrt! Als wir zum ersten Mal hinfuhren, hatte ich es schon gekauft und steckte bis über beide Ohren in Schulden. Franzi Schafranek, der Direktor des Englischen Theaters, war dabei und Fédérico von Berzewiczy, der distinguierte Demel-Patron. Wir stapften hinunter ins Waldwiesental, auf der mein allererstes Eigentum stand. Der Verputz bröckelte vom Gemäuer, und ein eisiger Nordwind blies uns beinahe um. Fédérico band sich ein weißes Kopftuch um und seufzte: »Horreur, horreur!« »Hast du schon das Haus von der Lotte g’seh’n?«, hat Franzi später meinen Bruder gefragt. »Schrecklich, gelt?« Auch der Eindruck, den es auf Gottfried machte, war niederschmetternd: »Hier bleibe ich keine zwei Tage im Jahr!«
Wir haben dann fünfundzwanzig Jahre, Sommer und Winter, dort gelebt. Sankt Kringel nannte er es liebevoll, und nirgendwo sonst hat er so viel Musik geschrieben. Längst Ehrenbürger von Wien, wurde er nun Ehrenbürger von Großpertholz, wie die Gemeinde hieß. Die Frau des Bürgermeisters schenkte ihm zwei Gläser Marillenmarmelade, und die Dorfkapelle spielte zu seinen Ehren auf. Gottfried hat dirigiert!
HEXEREI
War es Leipzig oder Dresden? Jedenfalls, Gottfried von Einem und ich stritten im Hotel. Das ist nichts Besonderes. Jeder Mensch, sofern verheiratet, streitet. Ein Naturgesetz. Leider kann ich es nicht sehr gut. Ich verliere immer.
Stumm und böse gingen wir nebeneinander durch die Stadt. Ricci würde Gottfrieds Violinkonzert spielen. »Das soll nicht gut gehen«, dachte ich rachsüchtig. »Mitten im Konzert wird etwas passieren!«
So kam es auch. Riggiero Ricci blieb stecken. Aber gekonnt! Wahrscheinlich merkte es kaum einer. Er fing einfach noch einmal von vorn an zu spielen, und das ganze Orchester mit ihm.
»Merkwürdig«, sagte Gottfried. »So was passiert Ricci sonst nie. Was war da nur los?« Ich hab ihn nicht aufgeklärt. Nie!
EIN AUTOGRAMM
Die Wiener Symphoniker machten eine Tournee durch Russland, und ein Stück Gottfried von Einems stand auf dem Programm. Wir waren eingeladen, sie nach Moskau und – damals noch – Lenin-grad zu begleiten. Eugen Jochum war der Dirigent. Irgendwer hatte ihm zwei Kisten Krimsekt verehrt. Er teilte sie mit uns allen, und dazu tranken wir Wodka. Am nächsten Morgen hätte ich lieber gar keinen Kopf gehabt und war mit dem ganzen Orchester per Du.
Wir gingen auf den Markt, wo ich – praktisch wie immer – zwei Kilo Honig erstand. Im Papier. Mein Mann aber war die absolute Sensation. »Karl Marx, Karl Marx«, schrien die Leute und umdrängten ihn. »Herr Marx, ein Autogramm!« Mein vollbärtiger Gottfried – sogar als Johannes Brahms hatte er die Symphoniker schon im Fasching dirigiert – ließ sich nicht lange bitten. »Karl Marx«, schrieb er. »Karl Marx, Karl Marx, Karl Marx …«
WEG VOM FENSTER
Wir waren nach Rindlberg gezogen, Gottfrieds Sankt Kringel am Ende der Welt. Selten kamen wir noch nach Wien, obwohl die Stadt wirklich gut zu uns war. Die Oper, die Konzertsäle, und am Akademietheater liefen meine »Damenbekanntschaften« zum (ich glaube) zweihundertsten Mal. Wir aber hatten uns in den tiefen schwarzen Wald verirrt und hüteten Sterne und Schafe.
Ich weiß nicht mehr, warum wir gerade wieder in Wien waren und wo Friedrich Torberg mein Tischherr war. Ich erinnere mich nur an einen Satz, den er mit unverständlicher Eindringlichkeit sagte: »Gehen Sie doch nicht weg vom Fenster!« »Was hat er«, fragte ich Gottfried nachher, »gemeint?« Mein Mann lachte. »Am Fenster«, erklärte er mir, »zeigten sich ziemlich unverhüllt die Schönen der Nacht. Die Damen vom Gewerbe, die so ihre Freier anlockten.« Es dauerte ziemlich lange, bis ich begriff, dass man allein im Wald nicht mehr so viel Kundschaft anlockt. Aber die Bäume, aber die Rehe, aber im Fenster der Mond …
Etwas Ähnliches passierte mir im Kaffeehaus neben dem Ronacher, wohin mich damals Ernst Haeusserman, der Burgtheaterdirektor, bestellte. Er kam viel zu spät, und unfreiwillig hörte ich die Gespräche an den anderen Tischen mit. Sie handelten alle von Pferderln. Verwirrt rief ich unseren Freund Franzi Schafranek an, der sich in Theaterkreisen besser auskannte als ich. »Du, ich glaub, ich sitz im falschen Café«, sagte ich. »Da verkehren nur Pferdehändler.« Auch Franzi lachte, als er mich über die Umgangssprache der Zuhälter aufklärte. Und Haeusserman führte wirklich das Burgtheater von seinem Stammtisch aus.
Friedrich Torberg habe ich nur noch einmal getroffen, und zwar im Haus von Helmut Wobisch am Ossiachersee. Es war nach einem Konzert des Carinthischen Sommers, und der Wein floss. Da sprach Torberg mich an. »Wie Sie sehen«, sagte er, »gehe ich am Stock. Ich bin krank, und ich bin alt. Bevor ich sterbe, möchte ich mich mit Gottfried von Einem versöhnen. Helfen Sie mir?«
Ich wusste, er hatte sich in der Brecht-Affäre Gottfried gegenüber widerwärtig benommen. Und nun kämpfte ich mich durch die Gästetrauben mühsam zu meinem Mann durch. »Du«, flüsterte ich, »der Torberg will, dass du wieder gut