Ein schwarzer Pick-up-Truck hielt neben ihm und Cahill warf das Mikro des Funkgeräts auf den Sitz. Er drehte sich um, als das Geräusch der Kiesel verstummt war, die unter den Reifen knirschten, und schaute überrascht, als ein Mann, gefolgt von einem großen, schwarzen Wolf, aus dem Auto stieg. Der Mann umrundete die Front des Wagens und sah Cahill an.
»Was gibt’s, Frank?«, fragte er.
Der riesige Wolf drehte den mächtigen Kopf in Richtung Waldrand.
Cahill war offenbar verblüfft und brauchte einen Moment, um zu antworten. »Verdammt, Hunter, ich dachte, du wärst mal wieder in der Weltgeschichte unterwegs.«
»Ich bin vor ein paar Stunden zurückgekommen.« Hunter bückte sich, um die hohen Mokassins neu zu schnüren, die er über ausgebleichten Jeans trug. Sein Hemd war aus braunem, abgetragenem Leder. »Sag mir, was du für mich hast, Frank.«
Cahill ging einen Schritt auf ihn zu, hatte sich offenbar wieder gefangen. »Also, Hunter, wir haben einen vierjährigen Jungen, der sich irgendwo da draußen verlaufen hat, und der so gut wie tot ist, sobald es dunkel wird, wenn wir ihn nicht bis dahin finden. Ich hab ein paar Deputys, dreihundert Freiwillige und tausend Mann von der Nationalgarde da draußen auf dem nördlichen Bergkamm. Wir haben Hunde auf die Spur angesetzt und sechs Vögel in der Luft. Aber wir finden keine Spur von ihm. Der Junge ist wie vom Erdboden verschluckt.«
Hunter bewegte sich zielstrebig und mit fast beängstigender Geschwindigkeit, als er ein tragbares Funkgerät aus Cahills Streifenwagen schnappte und rasch an den Gürtel schnallte. Seine Stimme war kalt: »Wo wurde der Junge zuletzt gesehen?«
»Dort.« Cahill streckte den kräftigen Arm aus. Er klang nervös. »In der Nähe des Gipfels. Er war nur eine Minute unbeobachtet, und die Eltern sagen, er ist einfach zwischen den Bäumen verschwunden.«
»Was hatte er an?« Hunter steckte Nahrung und ein Notfallset in eine Ledertasche, die er über der Schulter hängen hatte. Eine Feldflasche trug er in einem Lederetui am Gürtel.
»Ein rotes Hemd, blaue Jacke, alte Jeans und Tennisschuhe«, antwortete Cahill. »Für den Tag war er warm genug angezogen, aber er wird die Nacht nicht durchhalten.«
Hunter warf sich einen Mantel über die Schultern. Dieser war aus Leder gefertigt und merkwürdig geschnitten, reichte ihm halb über die Oberschenkel. Zwei Kapuzen, die über die Schultern fielen, sahen aus, als sei eine dafür gedacht, den Kopf vor dem Wind zu schützen, während die andere den Regen vom Rücken abhielt. Cahill, der sich schon immer darüber gewundert hatte, wusste, dass Hunter ihn selbst gemacht hatte.
»Waren schon die Hunde an der Spur dran?«, fragte Hunter.
»Ja, Hunde. Freiwillige. Jeder, der verdammt noch mal bei der Suche geholfen hat.«
»Sag ihnen, sie sollen bleiben, wo sie sind.« Hunter runzelte die Stirn, als er in den schnell dunkler werdenden Wald blickte. »Die Spuren sind schon genug versaut.«
Er sah den riesigen Wolf an.
»Ghost«, sagte er.
Mit urwüchsiger Kraft – eine furchterregende, animalische Stärke, die durch ein einziges Wort erweckt worden war – drehte sich der gewaltige Wolf um, die enormen Muskeln spannten sich unter dem schweren, schwarzen Fell. Der riesige Kopf, breit wie ein Amboss, senkte sich zu Boden, während er zum Waldrand trabte.
»Hey, Hunter«, rief Cahill hinter ihm her. Seine Stimme klang ein wenig nervös. »Glaubst du wirklich, du hast eine Chance? Ich meine, wo doch die Spuren schon so verwischt worden sind?«
Hunter zögerte. Sein grimmiger Blick – die Augen hatten einen seltsamen blauen Farbton – zeigte eine Entschlossenheit, die noch eisiger wirkte, als die frostige Brise, die über sie hinwegfegte.
Hunter drehte sich um.
Er verschwand in der Wildnis.
Der Winter beschwor einen stärker werdenden Wind, während der Schnee über den kleinen Körper hinweg wehte. Und er spürte die Dunkelheit.
So kalt …
Der Junge weinte, umklammerte den eigenen Körper und wünschte sich verzweifelt an einen anderen Ort, einen warmen Ort. Während er heulte, zitterte er und schaukelte auf dem schneebedeckten Boden mit klappernden Zähnen vor und zurück. Er konnte nirgendwohin und nichts tun, als zu weinen.
Er wünschte sich, jemand würde ihn finden.
Tief im Wald bewegte sich Hunter wie ein menschlicher Tiger, bückte sich, um den Boden mit schneller Wachsamkeit zu inspizieren. In der Ferne hinter sich hörte er den Helikopter der Nationalgarde, dessen Pilot ihn ziellos und zunehmend verzweifelt hin und her steuerte.
Er schenkte ihm keine Aufmerksamkeit und bewegte sich schnell voran, wohlwissend, dass Cahill recht hatte. Der Junge würde in der Nacht umkommen, wahrscheinlich innerhalb weniger Stunden. Dann schob Hunter einen Stamm beiseite, unter dem das Kind hindurchgekrochen war, bückte sich und studierte den Boden erneut.
Der Junge war nach rechts, links und wieder nach rechts gelaufen – so wie es Kinder nun mal frustrierenderweise taten. Deswegen war ein Kind weit schwerer zu verfolgen als ein erwachsener Mann. Ein Mann bewegte sich normalerweise schnell in gerader Linie. Aber ein Kind wanderte ziellos umher, hatte kein Gespür für eine bestimmte Richtung und ließ sich von Kleinigkeiten ablenken.
Außerdem erkannte Hunter an den schleifenden Spuren, dass der Junge gefährlich erschöpft war. Und während die Kälte seinen Kreislauf verlangsamte, würde er noch desorientierter werden.
Hunter beugte sich nach unten und las die winzigen, fast nicht erkennbaren Spuren. Hätte der Junge mehr gewogen, wäre es einfacher gewesen. Aber der Junge war so leicht, die Abdrücke so undeutlich, dass er aufpassen musste, sie im schnell verblassenden Licht nicht zu übersehen. Dann hob er das Gesicht in Richtung der untergehenden Sonne und runzelte die Stirn, stellte sich vor, wie sich wohl der Junge fühlte, ängstlich und verirrt und allein in der harschen Wildnis.
Hunters Blick wurde grimmiger.
Nein, Junge, du wirst nicht sterben …
Er hatte eine Stunde gebraucht, um die Spuren zu finden, die von den Suchtrupps verwischt worden waren. Dann, nachdem er ihnen eine weitere Stunde gefolgt war, sah er, wo der Suchtrupp die Spur des Jungen verloren hatte. Und die letzten zwei Stunden hatte sich Hunter gnadenlos angetrieben, sich keine Pause gegönnt.
Er wusste, er war nahe dran, genauso, wie er wusste, dass ihm die Zeit davonlief. Er glaubte nicht, dass das Kind viel weiter gekommen war, denn die Spuren – die Abdrücke, die von winzigen Schuhen hinterlassen worden waren – hatten sich immer langsamer dahingeschleppt, ein gefährliches Anzeichen der Erschöpfung. Er sah, dass der Junge sich öfter ausruhte.
Im Rennen gegen die untergehende Sonne bewegte sich Hunter noch schneller, bückte sich und suchte, sah die Bewegungen des Kindes immer besser voraus, denn er hatte so viele Kinder verfolgt, und wusste recht genau, wie sie sich bewegten. Er hob den Blick, betrachtete einen nahegelegenen Hang und las die nahezu unsichtbaren Spuren, wo der Junge die Anhöhe erklommen hatte. Hunter versuchte die Bewegungen des Jungen vorauszuahnen und suchte nach dem Pfad, den ein Kind nehmen würde.
Beinahe sofort sah er einen Durchbruch in der Anhöhe – einen Lichtschein – und wusste, dass es die wahrscheinlichste Richtung war. Er bewegte sich erneut schnell voran und stellte sicher, dass er nicht den schwächsten Abdruck übersah, denn er hatte keine Zeit für Umwege. Als er sich der Anhöhe näherte, sah er, an welcher Stelle der Junge gefallen war und er blieb stehen, schaute nach unten. Fast wäre er losgerannt, aber eiserne Disziplin gab ihm die Geduld, den Boden zu studieren und auf Nummer sicher zu gehen.
Dort …
Er mustere die kleinen Abdrücke genau und sah, dass sie auf der rechten Seite schleppender wurden. Der Junge war wieder ziellos nach links vom Weg abgekommen. Er folgte