Erst um 1900 erkannten die Botaniker Hugo de Vries, Carl Correns und Erich Tschermak-Seysenegg, die selbst eine Reihe von Experimenten durchgeführt hatten, die große Bedeutung der Mendel’schen Forschungen. Mendel entdeckte, dass ein Organismus zahlreiche Merkmale aufweist, die sich unabhängig voneinander vererben lassen. Davor meinte man, dass sich nur die Gesamtgestalt einer Pflanze vererbe. So bewies er, dass Lebewesen aus Genen zusammengesetzt sind, die eine Gesamtinformation zu einem Lebewesen darstellen. Damit bestätigte er auch Darwins Selektionstheorie und legte die Grundlagen für die Genetik als eigenständiges Wissensgebiet, die erst zu Ende des 20. Jahrhunderts eine ungeahnte Blüte erlebte.
Otto Wagner
* 13. Juli 1841 Wien, † 11. April 1918 Wien
Architekt und Stadtplaner
Otto Wagner wurde in Penzing, einem damaligen Vorort der Kaisermetropole, als Sohn eines begüterten königlich-ungarischen Hofnotars geboren. Von Hofmeistern und französischen Gouvernanten in den klassischen Fächern erzogen, begann er ein Architekturstudium am Wiener Polytechnikum; außerdem besuchte er ein Jahr lang die Bauakademie in Berlin. 1862 beendete er als Schüler von Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg, den beiden Erbauern der Wiener Staatsoper, seine Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste.
Seinen ersten Wettbewerb gewann Wagner mit einem Entwurf für den Kursalon im Wiener Stadtpark, erhielt aber nicht den damit verbundenen Bauauftrag. Gemeinsam mit seinem Studienkollegen Otto Thienemann erbaute er 1874 den noch heute bestehenden Grabenhof. Nun konnte Wagner ein eigenes Büro eröffnen, und sein Ruf als innovativer Architekt verbreitete sich rasch. Wahrscheinlich errichtete er mehr als dreißig Wohnhäuser, die er oft als selbstständiger Bauherr erbaute, manche selbst bewohnte und dann an Private weitergab. Sein damaliger Baustil befand sich durchaus im Mainstream der Zeit und garantierte seinen Kunden einen hohen Grad an technischer Perfektion. Auch seine Planungen für den zeitlichen Ablauf der Bauprojekte waren geradezu perfekt. So gelang es ihm, das Festzelt für den Festzug anlässlich der Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares Franz Joseph I. und Elisabeth binnen weniger Stunden zu errichten.
Um etwa 1890 fand er im Zug des Auftrags für einen »Generalregulierungsplan« für Wien zu seinem unverwechselbaren Stil. Er verfasste dazu eine theoretische Schrift mit dem Titel »Die Großstadt – Eine Studie über diese«, in der er seine Grundgedanken zu Städtebau, aber auch zur Gestaltung eines einzelnen Objekts formulierte. Darin schrieb er Sätze wie: »Der Architekt hat immer aus der Konstruktion die Kunstform zu entwickeln«, oder: »Die Kunst hat daher die Aufgabe, das Stadtbild der jeweiligen Menschheit anzupassen.« Dieser Funktionalismus wurde die Basis für den qualitätsvollen Städtebau des 20. Jahrhunderts.
Formalistisch fühlte sich Wagner den Grundsätzen von Symmetrie und Achsialität verbunden, eine geistige Verwandtschaft mit den Monumentalentwürfen eines Johann Bernhard Fischer von Erlach ist nicht zu leugnen. Otto Wagners Schüler – er lehrte seit 1894 an der Akademie der bildenden Künste – errichteten in seinem Sinne zahlreiche Bauten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hervorzuheben sind dabei die monumentalen Bauten des »roten Wien« der Zwischenkriegszeit, welche die Formen der Herrschaftsarchitektur in den sozialen Wohnbau übernahmen.
Im Jahrzehnt zwischen 1880 und 1890 errichtete Wagner in öffentlichem Auftrag nur das überaus qualitätsvolle Verwaltungsgebäude der Länderbank in der Hohenstaufengasse, das durch seine kühne Lösung für eine verschobene Achse für den Kassensaal überrascht. Zukunftsweisend bei diesem Bau war, dass Otto Wagner erstmals ein Skelettbausystem aus Stahl, das mit Platten ausgefüllt wurde, verwendete – wie er sich überhaupt zunehmend den neuen Materialien, nämlich Stahl und Aluminium, zuwandte.
1894 erhielt er den Großauftrag für die Planung und Erbauung der Stadtbahn und der Vorortelinie. Auch die künstlerische Gestaltung dieses damals europaweit größten Bauauftrages wurde Wagner übertragen. Schon in seinem Generalregulierungsprogramm hatte er sich mit der Steuerung von Verkehrsflüssen beschäftigt. Für ihn war die Einbeziehung des Wiener Donaukanals und der Donau in ein Gesamtverkehrskonzept wesentlich. So ist die Planung und Ausführung des Nußdorfer Wehrs am Donaukanal als ein Tor in die Stadt zu begreifen. Eine generelle Neuplanung der städtischen Verkehrsströme war 1890 durch die Eingemeindung der Vororte Wiens notwendig geworden. Wagners Konzept beruhte auf dem Gedanken der Kreuzungsfreiheit für den Verkehr, was bei der Gestaltung etwa der Stadtbahn hervorragend gelang. Seine Trassierung hat noch immer Gültigkeit, wurde sie doch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Streckenführung der Wiener U-Bahnlinien übernommen.
Für die Detailplanung dieses riesigen Bauvorhabens baute Wagner ein Büro mit siebzig Mitarbeitern auf. Seine begabtesten Schüler, u.a. Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann oder Max Fabiani, hatten wesentlichen Anteil an den künstlerischen Details. Er schuf für seine Bauten eine Unverkennbarkeit, die man heute als Corporate Identity bezeichnen würde. Der große Architekt starb 1918 wenige Monate vor Ende des Ersten Weltkrieges.
Internationale Bewunderung erregten Wagners Bauwerke nach 1900. Mit ihnen erwies er sich als radikaler Wegbereiter der Moderne. Das Gebäude der Postsparkasse und die Kirche St. Leopold am Steinhof überzeugen sowohl ästhetisch wie funktional.
Wagners letztes Lebensjahrzehnt war überschattet von der peinlichen Diskussion um die Errichtung eines Neubaues für ein historisches Museum der Stadt Wien. Vor allem konservative Kreise um den Thronfolger Franz Ferdinand und um die das Wiener Kulturleben nachhaltig beeinflussende Fürstin Pauline Metternich lehnten Wagners Projekt vehement ab. Lediglich der Wiener Bürgermeister Karl Lueger unterstützte ihn. Das Scheitern dieses Projekts wurde zum Symbol des Untergangs der Wiener Moderne. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte in der Zeit der völligen Verarmung aller Bevölkerungskreise nicht mehr an diese künstlerischen Großtaten angeschlossen werden.
Wichtigste Bauten in Wien:
Grabenhof (1873), Bürgerhaus Schottenring 23 (1877), Familiengruft Hietzinger Friedhof (1881), Länderbank (1881), Bürgerhaus Stadiongasse 6–8 (1882), Große Wagner-Villa Hüttelbergstraße 28 (1886), Bürgerhaus Universitätsstraße 12 (1887), Wohnhaus Rennweg 3 (1889), Wehranlage am Donaukanal (1894), Stadtbahn (1894–1900), Bürgerhaus Spiegelgasse 2 (1894), St. Johannes-Kapelle Währinger Gürtel (1895), Bürgerhäuser Linke Wienzeile 38 und 40 (1898), St. Leopold am Steinhof (1902–1904), Postsparkassengebäude (1903–1910), Kleine Wagner-Villa Hüttelbergstraße 28 (1912).
Bertha von Suttner
* 9. Juni 1843 Prag, † 21. Juni 1914 Wien
Schriftstellerin und Pazifistin
Als Bertha Sophia Felicitas Gräfin Kinsky von Chinic und Tettau am 9. Juni 1843 in Prag geboren wurde, war ihr Vater Feldmarschall-Leutnant Graf Kinsky, der einem alten böhmischen Adelsgeschlecht entstammte, bereits verstorben. Ihre 50 Jahre jüngere Mutter war ihrem Mann keine ebenbürtige Ehepartnerin gewesen. Da Graf Kinsky nicht Majoratsherr war, verfügte die Familie lediglich über ein bescheidenes Vermögen. Obgleich Berthas Vormund, Friedrich Graf Fürstenberg, der jungen Frau eine gute Erziehung angedeihen ließ, litt sie zeitlebens am »Makel« ihrer Geburt. Berthas Mutter versuchte das Vermögen der Familie durch Spielen in Europas Casinos zu vermehren, scheiterte jedoch naturgemäß. Als Bertha 18 Jahre alt war, wurde sie in die Gesellschaft eingeführt, damit möglichst schnell ein wohlhabender Mann für sie gefunden würde. Zwar fand sie viele Bewunderer, ein seriöser Ehemann war jedoch nicht auszumachen. Aus diesem Grund musste die junge Frau sich für den Beruf einer Gouvernante oder Gesellschaftsdame entscheiden, was bei ihrer ausgeprägten Bildung jedoch kein Problem darstellte: sie beherrschte drei Fremdsprachen, konnte singen und Klavier spielen und war sehr belesen.
Im Jahr 1873 trat Bertha eine Stelle im Haus von Carl von Suttner an, wo sie dessen vier Töchter beaufsichtigte. Im Hause Suttner entspann sich zwischen dem jüngsten Sohn der Familie Arthur Gundaccar – er war um sieben Jahre jünger als