1876 heirateten Bertha und der junge Gundaccar heimlich in der Vorstadtkirche von Gumpendorf und brachen dann beinahe fluchtartig nach Georgien auf. Sie wählten dieses Land als Exilstätte, weil Bertha von Suttner die verwitwete Fürstin Ekaterina Dadiani von Mingrelien aus früheren Jahren kannte. Von ihr erhoffte sie sich eine Stellung, von der ihr Mann und sie leben könnten. Daraus wurde jedoch nichts und das Ehepaar erteilte anfangs Musik- und Französischunterricht. Nach Ausbruch des russisch-türkischen Krieges verschlimmerte sich die wirtschaftliche Lage allerdings zunehmend und niemand wollte mehr die französische Sprache erlernen. Daher versuchte sich Arthur Suttner als Schriftsteller. Er berichtete für westeuropäische Zeitungen über Georgien und auch vom Kriegsschauplatz. Bertha von Suttner verlegte sich ebenso auf das Schreiben, ihre Romane erschienen in Fortsetzungen in verschiedenen Zeitschriften. Als sich die finanzielle Lage des Ehepaares noch mehr verschlechterte, kehrten sie beide nach Österreich zurück. Die Aussöhnung mit Arthurs Familie war inzwischen erfolgt. Das Ehepaar ließ sich in Harmannsdorf, im Suttnerschen Schloss nieder und beide verdienten sich weiterhin ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben.
1889 erschien Berthas erstes bedeutendes Buch Das Maschinenzeitalter, in dem sie sich mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzte. Sie kritisierte darin die Nationalismen, tadelte das Schulsystem, das technischen Neuerungen gegenüber nicht aufgeschlossen war und beklagte die schlechtere Stellung der Frau in der Gesellschaft. 1887 erhielt sie in Paris Kenntnis von der Existenz einer internationalen Friedensbewegung, für die sie das Buch Die Waffen nieder! schrieb. Dieser 1889 erschienene Tendenzroman wurde ein Bestseller und wurde innerhalb von nur vier Jahren in zwölf Auflagen publiziert. Bis zu Suttners Tod wurde dieses Buch in 12 Sprachen übersetzt und machte die Österreicherin zu einer der führenden Vertreterinnen der Friedensbewegung. Mit dem aus der Ich-Perspektive geschriebenen Bericht einer Gräfin, die innerhalb eines Zeitraums von knapp zehn Jahren durch die Erfahrung von vier Kriegen zur überzeugten Pazifistin wird, traf Bertha von Suttner den Nerv der Zeit, der einerseits durch einen schrankenlosen Imperialismus und hemmungslosen Nationalismus gekennzeichnet war, andererseits durch linke Massenparteien, die sich vehement für die Rechte der Menschen einsetzten. Im September 1891 wurde die Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde als eine Sektion der Internationalen Friedensgesellschaft gegründet und Bertha von Suttner widmete ihr ganzes künftiges Leben dieser hehren Idee. Sie schrieb hunderte Artikel und Abhandlungen, hielt Vorträge und nahm an Tagungen teil. Einen Mitstreiter fand sie in ihrem österreichischen Landsmann Alfred Fried (→ siehe dort) und auch Schriftsteller wie Leo Tolstoi oder Peter Rosegger unterstützten sie. Ab 1892 gab sie die Zeitschrift Die Waffen nieder heraus und gründete die Deutsche Friedensgesellschaft, die innerhalb kürzester Zeit mehrere Tausend Mitglieder hatte.
Zur Förderung der Friedensidee fanden Weltfriedenskonferenzen statt, so 1889 zum ersten Mal in Paris. Einen wesentlichen Impuls für die Friedensbewegung bedeutete die testamentarische Verfügung von Alfred Nobel, aus den Zinsen seines Vermögens einen Preis für Verdienste um die Friedensbewegung zu stiften. Bertha von Suttners Mann war seinerseits pazifistisch eingestellt und engagierte sich im Verein zur Abwehr des Antisemitismus. 1905 wurde Bertha von Suttner für ihr unermüdliches Wirken für die Friedensidee als erste Frau in der Geschichte mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dennoch blieb ihre Arbeit nicht von Kritik verschont. Man unterstellte der Österreicherin eine naive Gesinnung und versuchte sie mit allen Mitteln der Lächerlichkeit preis zu geben. Unzählige Karikaturen der »Friedensbertha« machten sich über ihren Optimismus lustig.
Sie starb am 21. Juni 1914, wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, mitten in den Vorbereitungen für einen weiteren Weltfriedenskongress, der in Wien stattfinden sollte, an einer Krebserkrankung.
Sigmund Freud
* 6. Mai 1856 Freiberg (Mähren), † 23. September 1939 London
Anna Freud
* 3. Dezember 1895 Wien, † 9. Oktober 1982 London
Psychiater
Ende der 1850er Jahre betrieben Sigmund Freuds Eltern einen kleinen Textilhandel, der jedoch drei Jahre nach Geburt des Sohnes zu Grunde ging. Die Familie war gezwungen, nach Wien zu übersiedeln. Er wuchs im »Mazzesviertel«, dem überwiegend jüdischen 2. Bezirk auf. Hier wurden auch seine sechs jüngeren Geschwister geboren. Freud konnte ein fortschrittliches Gymnasium besuchen, wo er 1873, im Jahr der Weltausstellung und großen Wirtschaftskrise, die Matura ablegte. Er studierte zunächst Philosophie und Biologie und wandte sich dann, fasziniert von den neuen Erkenntnissen Darwins, der Medizin zu. Bereits 1877 veröffentlichte er eine wissenschaftliche Arbeit über Aale. Seine liebste Wirkungsstätte an der Universität war das physiologische Institut, damals von Professor Ernst Brücke geleitet. Sigmund und Anna Freud
1881 beendete Freud sein Studium, ein Jahr später lernte er Martha Bernays, seine spätere Frau kennen. Um heiraten zu können, musste er zunächst die Träume von einer wissenschaftlichen Karriere aufgeben und mit Eröffnung einer medizinischen Praxis sein Leben auf eine solide wirtschaftliche Basis stellen. Er konzentrierte sich auf die Behandlung von Erkrankungen des menschlichen Nervensystems, zumal damals Kokain als neuer und effektiver Wirkstoff bekannt wurde, wenngleich man dessen Suchtcharakter noch nicht einschätzen konnte. Freud machte Selbstversuche, in denen er Kokain als Mittel zur Schmerzbekämpfung erprobte. Rasch festigte sich sein Ruf in Kollegenkreisen. Ihm wurden eine gute Allgemeinbildung, ein ruhiger und ernster Charakter sowie ein klarer Blick bescheinigt. 1885 habilitierte sich Freud und konnte ein Jahr später heiraten und eine eigene Praxis eröffnen.
Während seiner Fachausbildungszeit hatte er im Pariser Hôpital Salpêtrière bei Jean-Martin Charcot, einem auf dem Gebiet der Hysterie weltweit anerkannter Spezialisten, einige Studienmonate absolviert. Dabei hatte er auch die Hypnose als eine mögliche Behandlungsmethode von Nervenkrankheiten kennen gelernt. Zwar wurde sie von den Fachkollegen als unwissenschaftlich abgetan, doch in hoffnungslosen Fällen schien dieses »kathartische« Verfahren, wie Freud es in einer 1895 mit seinem Kollegen und Freund Josef Breuer veröffentlichten Studie über Hysterie nannte, Heilungsmöglichkeiten zu bieten. Freud entdeckte hierbei, dass die Ursache für die Hysterie vielfach in seelisch krank machenden Konflikten zwischen inneren sexuellen Wünschen und der offiziell eingeforderten Moral lag. Es waren verdrängte Phantasien, Wunschvorstellungen und Träume seiner Patienten, die Freud mit den Begriffen Verdrängung und Ödipuskomplex belegte, wobei letzterer den kindlichen Wunsch nach der Beseitigung des gleichgeschlechtlichen Elternteils mit dem Ziel, den andersgeschlechtlichen Elternteil für sich allein zu besitzen, bezeichnet.
In dem Jahrzehnt zwischen 1895 und 1905 entwickelte Freud sein Lehrgebäude der Psychoanalyse. Einen Eckpfeiler dieser Lehre legte er in seinem bereits 1899 erschienenen, aus kommerziellen Erwägungen auf 1900 datierten Werk Die Traumdeutung nieder. 1910 gründete er die Internationale Psychoanalytische Vereinigung.
Bis zum Ausbruch seiner Krebserkrankung im Jahr 1923 – Freud hatte Mundhöhlenkrebs und musste über 30 Operationen über sich ergehen lassen – war Freuds Praxis gut besucht. Der Analytiker war eine international angesehene Koryphäe und verdiente äußerst gut, was bei der Größe seines Haushalts dringend nötig war, lebten doch in seinem Haus nicht nur seine Ehefrau und seine Kinder, sondern auch seine Schwestern und zahlreiches Personal. Nach 1923 reiste er immer wieder zu Kongressen und Tagungen, zumeist begleitet von seiner jüngsten Tochter Anna, die mit den Jahren die eigentliche Bewahrerin seines Erbes wurde.
Freuds Lehre war von Anfang an heftig umstritten und im Zuge dessen bildeten sich Schulen, die ihr entweder die Treue hielten oder auf ihrer Basis eine Gegenlehre