In dem Augenblicke jedoch, wo sie abdrückte, schlug ihr Fräulein von Narischkin mit einem Aufschrei der Verzweiflung den Lauf in die Höhe, so daß der Schuß in die Luft ging.
»Nein, nein,« rief sie zugleich, »er darf nicht sterben, nehmen Sie ihn hin, meine Liebe ist zu groß, ich will ihn lieber verlieren, als sein Blut fließen sehen!«
Die Fürstin jubelte. »Nun sind Sie mein, Koltoff,« rief sie, »mein Sklave!«
»Gemach,« sprach die Kaiserin, ihr die Hand auf die Schulter legend, »Fräulein von Narischkin hat bewiesen, daß sie ihn mehr liebt, als Sie. Er gehört ihr!«
Zwei Wochen später feierte Koltoff seine Vermählung mit Sophia von Narischkin.
Eine Frau auf Vorposten
Auf allen Heerstraßen Rußlands marschierten Regimenter, zogen Geschütze und Munitionskolonnen nach dem Süden. »Es giebt Krieg mit den Türken«, sagten die Soldaten, »unser Mütterchen, die Zarin, will Frieden haben, aber Potemkin will den Krieg, und so giebt es Krieg.«
Die armen Soldaten, welche scheinbar kampflustig, ihre Lieder singend, in das Lager von Cherson einrückten, dabei aber mit schwerem Herzen an die heimatliche Stube mit den rauchigen Heiligenbildern oder an ihr blauäugiges Liebchen zurückdachten, trafen in ihrer Naivität das Richtige. Katharina II. hatte alle Lust, auf den blutigen Lorbeeren, die sie geerntet, auszuruhen, und bot alles auf, den drohenden Zusammenstoß mit der Pforte hinauszuschieben, aber Potemkin, der Taurier, drängte zum Krieg und forderte durch seinen Hochmut den Sultan in beispielloser Weise heraus.
Schon wimmelte es um Cherson von Regimentern der regulären Linie und Kavallerie, von Kosaken und den neu ausgehobenen Tartaren, und man sprach in dem Kreise, der Potemkin umgab und den man in Petersburg im Hinblick auf die schönen Amazonen, welche in demselben den Ton angaben, das Serail Potemkin’s nannte, von dem Feldzuge als einer ausgemachten Thatsache und schien sich nur noch durch einige rauschende Feste für die bevorstehenden Gefahren und Entbehrungen entschädigen zu wollen, als unerwartet der Staatssekretär Fürst Besborodko im Lager erschien.
Potemkin stampfte zornig mit dem Fuße, als man ihm die Ankunft desselben meldete, denn er war keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß die Mission des Fürsten Stillstand in seinen Unternehmungen zu bedeuten hatte und ein Werk seiner Gegner am Hofe sei, vorzüglich der Woronzow, mit denen Besborodko eng liirt war, aber der übermütige Taurier wußte eben so gut, daß der Fürst ein Liebling der Kaiserin sei und daß es in diesem Falle zuvorkommend und fein zu sein galt, er empfing daher den Staatssekretär mit ostensibler Liebenswürdigkeit.
»Mein lieber Besborodko,« rief er, ihn bei den Händen fassend, »was führt Sie zu uns, Sie, die Friedenstaube, hier, wo die Kanonen das große Wort haben?«
»Leider, leider, Exzellenz,« erwiderte Besborodko, »sehe ich mich hier, wo die Kaiserin vor Kurzem noch durch Werke des Friedens bezaubert wurde, in ein Heerlager versetzt, ohne daß ich ahnen könnte, welche Absichten Sie mit diesen Märschen und Rüstungen verbinden.«
»Sollten Sie, der gewiegte, gefeierte Diplomat wirklich nicht erraten, daß das, was Sie hier zu sehen bekommen, das Vorspiel eines Krieges ist?« sprach Potemkin mit einem spöttischen Lächeln.
»Ich denke, wir leben mit allen Mächten Europa’s im besten Frieden,« entgegnete Besborodko.
»Gewiß,« rief Potemkin, »meine Vorbereitungen gelten auch nur einer Macht, die nach Asien gehört und die wir hoffentlich in Kurzem dorthin gejagt haben werden.«
»Ihr alter Lieblingsgedanke,« gab der Staatssekretär zur Antwort. »Die Türken aus Europa vertreiben, welches Russenherz müßte sich nicht dafür begeistern, aber wir können nicht immer so handeln, wie wir wollen, es giebt Staaten ersten Ranges, welche ein Interesse haben, die Türkei zu erhalten. Was Sie hier begonnen haben, Excellenz, ist ein gefährliches Spiel, ich komme, Sie abzumahnen, es könnte unabsehbare Folgen haben für uns und auch für Sie.« »Sprechen Sie im Namen der Kaiserin?«
»Allerdings,« fuhr Besborodko fort, »Ihre Majestät hat Ihnen die Truppen gesendet, welche Sie gewünscht haben. Ein kaiserliches Handschreiben, welches ich überbringe, giebt ihnen den Oberbefehl über die Armee und unumschränkte Gewalt in jeder Richtung für den Fall des Krieges.«
Potemkin griff hastig mit unverhohlener Freude nach dem Handschreiben, das ihm der Staatssekretär übergab.
»Ich wiederhole ausdrücklich,« sagte dieser, »für den Fall des Krieges, aber es wird zu keinem Kriege kommen.«
»Lassen Sie mich nur sorgen,« fiel Potemkin ein.
»Wir haben im Gegenteil dafür gesorgt, daß der Friede erhalten bleibt,« sagte Besborodko. »Die Kaiserin hofft auf diesem Wege mehr zu erreichen, als durch siegreiche Schlachten. Das französische Ministerium hat an seinen Botschafter Choiseul in Konstantinopel einen Courier abgesendet mit der Mission, den Divan zu besänftigen.«
»Den Divan zu besänftigen,« brach Potemkin los, »als wenn wir Ursache hätten, seinen Zorn zu fürchten. O! Wankelmut des Weibes, wie groß dachte diese Katharina vor Kurzem noch, wie kühn war ihre Sprache, und jetzt ist ihre einzige Sorge, den Divan zu besänftigen.«
Besborodko verzog keine Miene. »Mein Auftrag geht auch dahin, daß Sie so lange als nur möglich jeden Zusammenstoß mit den Türken zu vermeiden haben.«
»Also kurz und gut, wir werden den Türken den Krieg nicht erklären?«
»Nein.«
Potemkin ging mit großen Schritten auf und ab.
»Man bedauert in Petersburg allerdings, daß einem so ausgezeichneten Feldherrn neuerdings die Gelegenheit entgeht, einen Sieg zu erfechten,« fügte der Staatssekretär jetzt mit vernichtender Bosheit hinzu. Potemkin sah ihn einen Augenblick starr an, dann trat er ganz nahe zu ihm hin und schlug ihn derb auf die Schulter.
»Sie spielen auf das Band des Georgsordens an,« sagte er mit kalter Ruhe, »das mir fehlt, und das ein Feldherr nur nach einem entscheidenden Siege erhalten kann. Verlassen Sie sich darauf, Fürst, und vergessen Sie nicht, es ihren Freunden in Petersburg zu sagen, ich werde mit den Türken Krieg führen, nur weil mir das Band des Georgsordens fehlt, und werde sie so schlagen, daß es keinen Menschen in Rußland geben wird, der es mir nicht zuerkennen würde. Adieu!«
Ohne sich um die Befehle der Kaiserin zu kümmern, setzte Potemkin seine militärischen Vorbereitungen fort und begann, zum Entsetzen des Staatssekretärs, der Miene machte, an seiner Seite zu bleiben, seine Truppen gegen die türkische Grenze vorzuschieben. Schon war Potemkin in Petersburg als Rebell bezeichnet, aber das Glück liebte ihn wie Wenige und auch diesmal kam es ihm zu Hülfe.
Während in seinem Paläste die schönen abenteuerlichen Frauen, welche die Kriegstrompete herbeigelockt hatte, und ein Teil seiner Offiziere beim Spiele versammelt waren, erschien Besborodko totenbleich, eine Depesche in der Hand. »Sie haben Recht behalten,« sprach er mit bebender Stimme, »der an Choiseul abgesendete Courier ist unterwegs von den Türken ermordet worden, und die Pforte hat uns den Krieg erklärt!«
»Hurrah!« rief Potemkin, »Champagner her, wir haben Krieg, Kinder; auf Wiedersehen, Besborodko, heute übers Jahr in Konstantinopel!«
»Meine Mission ist zu Ende,« sagte der Staatssekretär, »die Ihre beginnt.«
»Reisen Sie mit Gott,« erwiderte Potemkin, »und sagen Sie Denen in Petersburg, daß sie bald von mir hören werden.«
Während im Palaste die Champagnergläser an einander klangen, und der Jubel sich durch die Stadt in das Lager fortpflanzte, wo einmalhundertfünfzigtausend Mann unter wildem Hurrahrufen ihre Hüte mit Eichenlaub schmückten, hatte Potemkin