Um so mehr beschäftigte sich die Welt mit denselben, und man nannte Fräulein von Narischkin längst die Braut des Kapitäns Koltoff, ja, man bezeichnete schon den Hochzeitstag, ehe die Liebenden über den ersten Kuß hinaus waren.
Das Gerücht drang natürlich auch zu der Fürstin Mentschikoff, und die schöne Frau entdeckte plötzlich, daß sie den Mann, den sie so raffiniert auf die Probe gestellt, den sie selbst von sich gestoßen, mit der heftigsten Leidenschaft liebte; sie verzehrte sich vor Eifersucht und war sofort entschlossen, alles aufzubieten, um ihn wieder zu ihren Füßen zurückzuführen. Er liebe sie noch immer, sagte sich ihre Eitelkeit, nur weil sie ihn so schlecht behandelt, habe er sich aus Verzweiflung in die Arme einer anderen geworfen. Welche Reize konnte das simple Landmädchen für ihn haben! Ein Wink von ihr, dem schönen, eleganten, geistvollen Weibe, und er war ihr Sklave wie zuvor.
Sie schrieb an ihn, indes noch immer hochmütig, wenige Zeilen nur, sie erlaube ihm zu kommen. Aber Koltoff war unartig genug, von der Erlaubnis keinen Gebrauch zu machen. Sie schrieb ein zweites mal, es klang schon wie Entschuldigung, und als Koltoff dennoch nicht kam, bat sie ihn um Vergebung und ersuchte ihn zu kommen. Koltoff gab noch immer kein Lebenszeichen. Da war der Stolz der schönen Kokette gebrochen; sie hatte den Mann, den sie liebte, dessen Besitz ihr zu ihrem Glücke unentbehrlich schien, für sich verloren und noch dazu verloren an eine andere, die ihn liebte und die er wieder liebte. Sie schrieb noch einmal, sie gestand ihre Liebe, sie verriet ihre Leidenschaft, ihre Eifersucht und sie flehte um eine Unterredung.
Koltoff erwiderte in ebenso höflicher wie entschiedener Weise, er habe der Fürstin nichts zu sagen, und nichts, was es auch sei, was sie ihm etwa mitzuteilen hätte, könne jetzt noch die Situation ändern. Wie sie über ihr Ideal längst enttäuscht sei, so sei er fern von seinen früheren Illusionen, fern davon, sie noch anzubeten. Er bitte sie also, auf die gewünschte Unterredung zu verzichten.
Eine Laune des Zufalls wollte es indes, daß Koltoff zwei Tage, nachdem die Fürstin seine Antwort empfangen hatte, ihrer Karosse in einer engen Gasse begegnen mußte, wo ein Ausweichen unmöglich war
Die Fürstin ließ halten und wartete nicht ab, bis der Lakai herabsprang; sie beeilte sich, den Schlag selbst zu öffnen und Koltoff beide Hände entgegenzustrecken.
Der Kapitän nahm sie jedoch nicht, sondern verneigte sich mit kalter Artigkeit, und nachdem er sich über das Befinden der Fürstin beruhigt hatte, entfernte er sich rasch mit einem ebenso ceremoniellen Gruße.
Die Fürstin aber warf sich in eine Ecke des goldverzierten Wagens und weinte.
Dem kurzen russischen Herbst war ein strenger Winter gefolgt; die nordische Kapitale hatte sich in ihren weißen Schneepelz gehüllt; die armen Leibeigenen, die Kleinbürger rückten in ihrem Isbi und in den Branntweinschenken zusammen, die Reichen und Großen an den Kaminen ihrer Paläste; Konzerte wechselten mit Theatervorstellungen, Gesellschaften mit Bällen ab. Die Fürstin Lubina Mentschikoff schien ihren flüchtigen Anbeter vergessen zu haben, und Koltoff und Fräulein von Narischkin waren noch immer kein Brautpaar Der Verfasser des Buches »Der Mensch und die Natur« hatte indes ein neues Buch »Betrachtungen über die Fortschritte des menschlichen Geistes« mit Hülfe des französischen Tanzmeisters Monsieur Perdrix vom Stapel gelassen und damit die Aufmerksamkeit der Petersburger Bureaux d’esprit und der Kaiserin Katharina der Zweiten in noch höherem Maße auf sich gezogen.
Auf dem ersten Hofballe dieses Winters erschien er denn auch mit einem ganz neuen Bewußtsein, mit dem, für einen kenntnisreichen und geistvollen Mann zu gelten, von der Gunst der Zarin wie von einer Glorie umgeben. Er verlor sich auch diesmal nicht wie sonst im glänzenden Schwarme der Kameraden, mit ihnen die Damen betrachtend, ihre Toiletten bewitzelnd und ihre Chronik rekapitulierend, sondern gesellte sich zu einigen gewiegten Diplomaten und gefeierten Gelehrten der Petersburger Akademie der Wissenschaften.
Die Stirn in tiefe Falten gelegt, hatte er sogar für Sophia von Narischkin, welche bald nach ihm eintrat, nur einen höflich kühlen Gruß und schien die Fürstin Mentschikoff, welche stolz an ihm vorüber rauschte, nicht einmal zu bemerken.
Im Gedränge fügte es sich, daß sich die beiden Nebenbuhlerinnen das erste mal gegenüberstanden und feindselige Blicke wechselten. So prächtig, ja berauschend die Erscheinung der Fürstin in ihrer schweren weißen, mit Rosenbouquets in farbiger Stickerei bedeckten Robe, ihrem blitzenden Diamantenschmuck war, so konnte Sophia doch den stechenden drohenden Blick ihrer schwarzen Augen ruhig aushalten und spöttisch lächeln, denn sie war ja Siegerin, und die Besiegte gestand es sich zu, daß dieses schlanke Mädchen mit den großen, treuen, naiv fragenden Augen bezaubernd war.
Das kurze Tête-à-Tête der Damen wurde durch den Eintritt der Zarin unterbrochen. Alle Blicke wandten sich der schönen genialen Monarchin zu welche in natürlicher, ungezwungener Majestät durch den Saal schritt.
Katharina die Zweite war noch immer schön, und sie verstand es, wie keine andere Frau, sich immer so zu kleiden, daß ihre Schönheit zur siegreichsten Geltung kam.
Sie trug ein veilchenblaues Samtkleid, dessen viereckiger, mit Hermelin besetzter Ausschnitt ihre herrliche Büste blendend hob. Streifen von Hermelin, durch Kokarden desselben Pelzwerkes unterbrochen, liefen bis zu dein Saum des Gewandes, der breit mit Hermelin ausgeschlagen in reicher Schleppe zurückfloß. Das hochaufgekämmte, schneeweiß gepuderte Haar trug eine kleine Nadel von Diamanten mit dem griechischen Kreuz, zwischen den Löckchen, welche auf der Stirne niederfielen, zitterten einzelne Diamanten gleich Thränen.
Die Kaiserin schien heute Abend in besonders guter Laune, sie erwiderte die ehrfurchtsvollen, beinahe demütigen Grüße ihres Hofes mit huldreicher Herablassung, lichtete, ein reizendes Lächeln um den kleinen Mund mit den vollen Lippen, an verschiedene Personen das Wort und begann endlich in liebenswürdig scherzendem Tone ein längeres Gespräch mit dem Zoologen Lagetschnikoff, welcher zu gleicher Zeit eines der bekanntesten Mitglieder der Petersburger Akademie der Wissenschaften und der schönste Mann Rußlands war.
Das Orchester eröffnete den Ball, wie es damals im slavischen Osten Sitte war, mit einer Polonäse. Die Kaiserin nahm den Arm des Grafen Panin und schritt mit ihm an der Spitze der Kolonne. Der zweite Tanz war die Menuette.
Die Fürstin Lubina Mentschikoff, durch den Anblick ihrer Nebenbuhlerin und die Gleichgültigkeit Koltoffs, welcher sie, die gefeierte Schöne, die stolze Herrin von viertausend Seelen, zu übersehen wagte, auf das äußerste aufgebracht und gereizt, griff jetzt zu dem letzten tyrannischen Mittel, um sich dem Manne zu nähern, der noch vor kurzem ihr unterwürfiger Sklave gewesen war, sie machte von ihrem Rechte als Hofdame und Fürstin Gebrauch und befahl den Kapitän zum Tanze.
Koltoff aber beging das Unerhörte, nie Dagewesene, diesem Befehl nicht Folge zu leisten, er entschuldigte sich bei dem Kammerherrn, welcher ihm denselben überbrachte, und – tanzte mit Sophia Narischkin, welche an diesem Abende alle Damen des Hofes in den Schatten stellte und der Gegenstand allgemeiner Bewunderung war. Dies war zu viel.
Das Orchester hatte nur wenige Takte der Menuette gespielt, als die Fürstin Mentschikoff, ihrer selbst nicht mehr mächtig, die Reihen der Tanzenden durchbrach, um Fräulein von Narischkin zu insultieren.
»Ich habe Sie zum Tanze befohlen, Kapitän,« sprach sie zuerst zu Koltoff gewendet, »und Sie wagen es –,« weiter kam sie nicht, die Wut erstickte ihre Stimme.
»Ich gehorche einem früheren Befehl des Fräulein von Narischkin,« erwiderte Koltoff kalt.
»Ah! die Prinzessin muß also vor Ihrer Dirne, vor einer Landstreicherin zurückstehen!« rief Lubina im höchsten Zorn.
»Sie vergessen sich,« fiel Koltoff ein, während Fräulein von Narischkin, bis in die