»Der Mensch und die Natur,« wiederholte er, »was haben Sie damit?«
»Bemitleiden Sie mich,« erwiderte Koltoff, »ich soll ein Buch schreiben über diesen Gegenstand, ein philosophisches Werk in der Art der französischen Encyklopädisten, und habe keinen Dunst davon.«
»Nun, so lassen Sie es bleiben,« meinte der kleine Franzose.
»Aber es hängt mein Lebensglück, ja, vielleicht mein Leben von diesem unseligen Buche ab!« rief Koltoff.
»Ihr Leben?« entgegnete der Tanzmeister lächelnd.
»Ich schwöre es Ihnen, mein Leben,« rief der Russe, und dabei sah er so verzweifelt aus, daß der kleine Franzose dadurch überzeugt wurde und mit ihm auf Rettung zu sinnen begann.
Als Koltoff ihn zum Vertrauten gemacht und in alle Umstände eingeweiht hatte, machte der kleine Franzose plötzlich einen Luftsprung und begann dann, seine alte verstimmte Geige mörderisch mit dem Bogen bearbeitend, in der Stube herumzutanzen, und zwar alle nur denkbaren Schritte und Takte durch einander, dann schlug er eine Pirouette und sagte, vor dem erstaunten Koltoff in einer graziösen Positur stehen bleibend:
»Ich rette Sie, ich schreibe Ihnen das Werk.«
»Wie,« schrie Koltoff, »Sie wollen, herrlicher, goldener Monsieur Perdrix?« Er umfaßte den kleinen Mann, hob ihn in die Luft und sprang mit ihm herum. »Nun, wie aber machen wir das?« sagte der Lieutenant, als er Monsieur Perdrix wieder der Erde zurückgegeben hatte; »denn ich für meinen Teil will lieber täglich zwei Mal den Bären frisieren und pudern, als eine Zeile daran schreiben.«
»Wie? wie ich das mache, junger Leonidas?« schmunzelte der alte durchtriebene Tanzmeister. »Sie bekommen das Werk, parole d’honneur, aber Sie fragen mich nie, wie ich es gemacht habe.«
Es vergingen einige Wochen.
Koltoff kam gegen Abend stets nur für Augenblicke zu der Fürstin, und war auch sonst wenig zu sehen, er gab sich ganz die Miene, in seinen Studien vergraben zu sein.
Indes war der Tanzmeister Monsieur Pertrix in der That in einem wahren Gebirge von Büchern vergraben, er hatte alles, was an philosophischer und naturhistorischer Litteratur in der Residenz Katharina’s der Zweiten aufzutreiben war, um sich angehäuft und schrieb, auf das Geratewohl in die Masse hineingreifend, und bald den, bald jenen Band, jetzt Aristoteles, jetzt Hippokrates, dann Voltaire, Quesnay, Baco, und wieder einmal Aristoteles amputierend – denn abschreiben oder bestellen ist kein Wort für die mörderische literarische Schlächterei, welche der Alte unter den Philosophen anrichtete – und schrieb und las und schrieb wieder und hatte in nicht vier Wochen ein ganz stattliches Manuskript beisammen. Allerdings gehörte davon kein Gedanke, keine Phrase, kaum eine Wendung ihm, aber er hatte mit der seinem Volke eigentümlichen Geschicklichkeit alles klar geordnet und – was nur in einer streng entwickelten, akademischen Sprache, wie die seine, dem Halbgebildeten möglich war – in gutem klarem, ja elegantem Französisch niedergeschrieben.
Koltoff war, als er das Manuskript las, auf dessen Titelblatt in schöner Frakturschrift die Worte: »Der Mensch und die Natur, ein philosophischer Versuch von J. Koltoff, Lieutenant in der Preobraschenstischen Garde,« standen, von seinem eigenen Werke so begeistert, ja gerührt, daß er Thränen vergoß, Monsieur Perdrix seinen Lebensretter nannte, ihn umarmte, küßte, in fünf Kneipen schleppte, in jeder auf Kosten Lapinski’s glänzend bewirtete und ihm endlich, gleichfalls aus Lapinski’s Tasche, ein Honorar von zehn Rubeln, damals in der That eine stolze Summe, einhändigte.
Lapinski, der von »dem Menschen und der Natur« kein Wort verstand, zeigte sich gleichfalls entzückt.
Koltoff konnte also mit dem Bewußtsein einer Leuchte der Wissenschaft vor die schöne Lubina treten. Noch denselben Abend las er die Schrift des Tanzmeisters, von der er jetzt schon selbst überzeugt war, daß es seine Schrift sei, der Fürstin vor, welche ihn von Zeit zu Zeit durch ein »wie geistreich!« oder »vortrefflich!« oder »in der That ganz neu, vollkommen neu!« unterbrach, so daß er zuletzt, mit gerechtem Stolz erfüllt, ihr und sich selbst das Wort gab, bei diesem ersten Schritt, den er so bescheiden einen »Versuch« genannt hatte, nicht stehen zu bleiben, sondern zu seinem und seines Vaterlandes Ruhme auf dem so glücklich betretenen Pfade fortzuschreiten.
»Der Mensch und die Natur« aber kam aus den Händen des schönen Majors in jene der Fürstin Daschkoff und wurde von dieser der Zarin vorgelegt. Und Katharina die Zweite, dieses geniale Weib mit dem kühnen Blicke eines großen Mannes, las es. Sie las es und sagte: »Es enthält nichts neues, aber es verrät umfassende Kenntnisse und ist sehr gut geschrieben.«
Damit war das Glück des jungen Offiziers gemacht.
Einige Tage nach der kaiserlichen Lektüre erhielt er das Patent eines Kapitäns im Regimente Tobolsk, welches damals gleichfalls eine Dame, die schöne Amazone Frau von Mellin, befehligte. Das Manuskript des französischen Tanzmeisters aber wurde auf Kosten der Petersburger Akademie gedruckt.
Der Siegesjubel des philosophischen Offiziers wurde nur dadurch ein wenig getrübt, daß auch der »Kapitän« Koltoff, der Verfasser des Buches »Der Mensch und die Natur,« die schöne Amazone mit nicht größerem Erfolg belagerte, als der Lieutenant Koltoff, der Friseur des Bären.
Die kokette Schöne wich mit ebensoviel Geschick als Ausdauer jeder Auseinandersetzung aus.
Und endlich geschah es, daß Koltoff eines Abends bei der liebenswürdigen Lubina einen Anderen fand. Dieser andere war ein schöner Pole Czartoristi, welcher den polnischen Gesandten nach Petersburg begleitet hatte; er zeichnete sich durch die seiner Nation nächst der französischen eigentümliche Eleganz und Feinheit des Benehmens aus, hatte in Paris die Modeschriftsteller kennen gelernt und verstand es, über das physiokratische System und die Rechte des Menschen ebenso blendend zu sprechen, wie über die Toilette der Marquise von Pompadour und die Einrichtungen des Hirschparkes.
Als er die Fürstin verließ, küßte er ihr mit einem mehr liebenswürdigen als ehrerbietigen Blick die Hand, und die Fürstin erwiderte diesen Blick mit einem Lächeln.
Koltoff, in dem längst alles wogte, begann zu fiebern. Kaum hatte der Pole das Gemach verlassen, so überhäufte er Lubina mit Vorwürfen, welche ihn ruhig, ja gleichgültig anhörte.
»Also dies ist Ihr neues Ideal?« rief der von Eifersucht entstellte wütende Kapitän endlich.
»Sie sind in der That ein Mann von Geist,« erwiderte die Fürstin. »Sie erraten, was andere kaum ahnen. Sie haben mich in diesem Augenblicke über meine eigenen Gefühle aufgeklärt. Ja, dieser Pole ist mein Ideal, er –«
»Für wie lange?« unterbrach sie Koltoff barsch, »es gab eine Zeit, wo Sie ein anderes Ideal hatten.«
»Ja wohl, ein anderes,« lispelte die Fürstin mit einem müden Lächeln, »ich habe schon viele Ideale gehabt.«
Koltoff ging mit großen ungeduldigen Schritten in dem duftigen Boudoir auf und ab, so daß sich die weißen Fenstervorhänge wie Segel aufblähten und die Porzellanchinesen auf dem Kamin mit den großen Köpfen zu nicken begannen. Jetzt blieb er vor der übermütigen Frau, welche er gegen seinen Willen köstlich unterhielt, stehen und sprach sehr ernst, beinahe feierlich: »Wir müssen zu einem Resultate kommen, Madame!«
»Also kommen wir zu einem Resultate,« spottete Lubina.
»Heute noch?«
»Heute noch!«
»Sie werden offen und ohne Rückhalt auf meine Fragen antworten!«
»Ja.«
»Offen und ohne Rückhalt?«
»Offen und ohne Rückhalt.«
»Lieben Sie mich noch?« begann Koltoff sein Verhör.
Die Fürstin schwieg.
»Ich bitte um Antwort,« rief Koltoff schon etwas unartig. »Lieben Sie mich noch?«
»Wie