Hann Klüth. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116545
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Bursche. Der Liebling der Eltern, der Liebling der Lehrer. Einer von denen, auf die alle Hoffnungen gesetzt werden, die dann die Zeit erfüllen soll!

      Die Zeit!

      »Paul,« sagte der Sekundaner mit seiner hellen, frischen Stimme, »gib doch das Buch. Wenn es nichts nützt, so schadet es doch auch nichts.«

      Der Theologe beugte sich über das Geländer, um Bruno besser sehen zu können.

      »Ja, ja, so bist du,« grollte er. »In jedem Wort sprichst du dich selbst aus. Immer nur auf den augenblicklichen Vorteil hin leben. Was man damit anrichtet und aufgibt, ganz gleich. Nein — aber es soll doch wenigstens einer hier in dem Hause existieren, der einen Willen und eine Meinung besitzt. Der Vater wird zu Gott berufen, die Mutter hat in ihrer Sanftmut nie gewußt, was Selbstbestimmung heißt. Du und dieses kleine Ding, die Line, ihr lebt wie in einem heidnischen Traum befangen, und Hann — Gott« — er zuckte die Achseln — »Hann ist es nicht so gegeben. Deshalb soll Vater noch beim Scheiden die Beruhigung empfinden, daß wenigstens eine Hand da ist, die alles zusammenhalten will.«

      In seinem Eifer hatte er auf das so fest an sich gepreßte Buch nicht mehr acht gegeben. Jetzt vermißte er es.

      Einen halblauten Ausruf der Überraschung stieß er aus.

      »Bruno — Hann — wo ist die Bibel? — Wo?«

      Ja, wo war sie?

      Wie ein Schatten, katzenhaft, leichtfüßig, in all ihrem Schrecken vor dem Tode da oben leicht kichernd, flog Line die Treppe in die Höhe.

      In ihren Händen etwas Schwarzes, Umfangreiches.

      »Line — Line,« rief der Student totenbleich hinter ihr her.

      Da zögerte sie an der Tür noch einen Moment. Als sie aber Schritte, Sprünge vernahm, duckte sie sich, und — — durch die entstehende Türspalte steckte sie etwas hindurch.

      »Da —«

      Ihr Atem pfiff.

      »Ich dank dich, mein Döchting,« tönte es von drinnen.

      Es war geschehen.

      Im gleichen Moment fühlte sie sich an den Schultern gepackt. Oh, wie heftig dieser große, schmale Mensch immer zugriff mit seinen Händen, die nichts als Sehnen und Knochen waren. Und doch empfand das wilde, kleine Wesen eine Art Ehrfurcht vor ihm.

      »Du — du Geschöpf,« keuchte er, »du bist wie solch' kleine, böse Hexe — aber warte, das muß anders werden. Und wenn ich mich dabei an dir vergreifen sollte. Diese schreckliche Unbildung muß aus dem Hause. Warte nur.«

      Wie wenn er gar nicht wüßte, was er tat, schüttelte er sie zornig hin und her.

      Das Kind gab keinen Laut von sich. Nur als Bruno, erschreckt über das dumpfe Geräusch dieses stummen Ringens, mit einem Lichtstümpfchen an die Treppe trat, da sah der Student, wie ihre Augen ununterbrochen und fest in die seinen blickten.

      Eine große, merkwürdige Ruhe wohnte in ihnen.

      Da ließ er von ihr ab, als habe er sich an einem Dorn gestochen.

      Tief seufzte er auf und wollte eben wieder hinuntersteigen, als die Tür des Krankenzimmers sich in ihren Angeln drehte. Und in dem breiten Lichtschein stand die kleine Frau Klüth und sagte mit ihrer ebenen Stimme: »Vating will euch alle noch eins sehen. Kommt!«

      Hierbei verlor ihre Stimme den ruhigen Klang. Aber den halbfertigen Strumpf hatte sie noch immer in den Händen.

      * * *

      »Ja, nun seid ihr alle da,« flüsterte der Lotse und hob sich weit aus den Kissen heraus, um die Anwesenden zu überzählen.

      Seine Hand schwankte dabei hin und her — —

      »Und Paul — und Bruno — und Line — und Hann — un Mudding — un der oll Schäfer — un mein Bootsmann Dietrich Siebenbrod — ihr seid alle da — ja, ja, das is mein Bootsmann. Mit dem zusammen hab' ich damals die kleine Line gerettet. Prösting Dietrich — — wann werden wir wieder eins von dem feinen Kognak trinken? — von dem feinen Kognak. — Ja, ja, Dietrich Siebenbrod — das mußt du nich tun, ümmer so viel trinken, sonst bist du 'n guter Kerl — und verstehst deine Sach! — Komm Mudding — komm her — gib mich deine Hand. Und Dietrich Siebenbrod gib mich auch deine. — Ich muß nu rauf — das nützt allens nichts — Schäfer Sturm, der doch sonst seine Sach versteht, nützt da auch nichts. — Hör', Dietrich Siebenbrod, da sollst du auf mein Haus aufpassen, denn du büst 'n anständiger Kerl und verstehst deine Sach'. Ja, Mudding, das is Dietrich Siebenbrod. — Du, Mudding und Siebenbrod, ihr bleibt zusammen. — Und wenn's mit der Lotsenanstellung nichts is, denn is es mit der Fischerei was. Ja, ja — da hat man dann auch weniger Zeit, dann trinkt man auch nich soviel. — Der verfluchtige Kognak, — Mudding, nu spür ich's. — Und du und Dietrich Siebenbrod, ihr bleibt zusammen. Und dann paßt ihr auf die Kinder auf, damit da was draus wird. — Und — und — Siebenbrod, klopf' mich auf den Rücken, mir ist's, wie wenn ich in der See läg. Weißt noch, wie wir das kleine Jöhr, die Line, von der schwedischen Bark gerettet haben, und keiner wußt, wie das Ding hieß? — — Lining, komm her — steh nich so in der Ecke — sterben muß jeder mal. — Du bist ümmer 'n drolliges Ding gewesen und hast mir viel Spaß gemacht. Ja, und Mudding, unser Ältester wird Paster — Paster — ja — denn er is 'n feiner Kopf. Und wenn's auch viel Geld gekostet hat — ja, Siebenbrod, gar zuviel Geld —'s freut mich doch. 'n Paster, — 'n wirklichen Herrn Paster, hab ich doch zustand' gebracht. Und was unser zweiter is, Bruno — der is klug, der is sehr, sehr anschlägig — hat auch was gelernt. — Da hat mich Konsul Hollander versprochen, er kommt zu ihm ins Kontor — Schiffsreeder — Bruno wird eins 'n reicher Mann werden — Hollander hat ja auch man so klein anfangen, na, man kann nie — nie wissen. — Und ja, paß auf — ich sag weiter nichts.

      »Und was soll nu aus Line werden? Line? — Line? Ja, das weiß ich nich, darauf versteh ich mich nich. Da wird schon einer kommen. — Aber nu — nu mit Hann. — Hann, wein' nich, du kannst da auch nichts für. Lernt nichts — und hat nichts gelernt — oh, Siebenbrod, den mußt du hier anbändigen. Is'n guter Jung, un 'n Boot regiert er auch ganz gut. Den müßt ihr hier so nebenher mit auffüttern. — O je, Hann, wein' nich, du kannst da auch nich für. — Siebenbrod, klopf' mich auf den Rücken. — Und nu, nu ruf mir die Lotsen mal her — du sagst doch, sie stehen hier an der Tür, die Kollegen. Na, denn soll'n sie raufkommen. Ja, 's is gut, Siebenbrod, ruf 'runter!

      »Je, da seid ihr ja, ihr zwei, oll Kusemann un Friedrich Pagels. —? — Je, nu nehmt man an, vor vier Wochen nu noch Dienst getan — und nu jetzt soll's losgehn. — Na, oll Kusemann — ich dank dir auch, daß du das mit Hann so gut meinst, dem armen Jung. Aber tu mich den Gefallen, mußt ihm auch nich mehr so viel dumm Zeug erzählen. Und du, Pagels — na, hast du auch wieder das verschnürte Bein? — Ja, ja, auf die Art geht das mal mit uns allen zu Ende. — Ich wollt dich fragen, ob du wohl mein zweites Boot kaufen willst. 's kann ein Zesner draus gemacht werden. Ganz bequem. Und du hast doch die Erbschaft getan und kannst gleich bezahlen. Und bei mir is das man — mit dem Begräbnis — verstehst du — es muß doch gleich Geld da sein. Und wir haben nu so viel eingebrockt durch die Krankheit und das alles. Und wenn du zweihundert Taler so geben würdest — — Weniger? — Na, einhundertachtzig. Aber dafür is 's halb umsonst, nich war, Siebenbrod? Also, 's is zwischen uns abgemacht, Friedrich Pagels — ihr habt's gehört. —

      »Und — und — Paul, komm her, du büst mein Paster, sing was Geistliches, ein schönes Gebet, du kannst ja — — Und, und Mudding, ich dank dich auch für alles — und — und der Kauf mit Friedrich Pagels ist abgemacht — — — und Lining — un — un Hann — un — abgemacht — is — allens!«

      »Nu 's vorbei,« murmelte der aufgeschwemmte Lotse mit dem verschnürten Bein, dem die Wassersucht deutlich anzumerken war.

      »Das is es,« flüsterte oll Kusemann und schlich zu Hann. Und nach einer Weile sagte er ganz leise: »Mich war's, als wenn ich so was