Hann Klüth. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116545
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etwas Unvorhergesehenes!

      Malljohann ließ plötzlich mit aller Macht den unterbrochenen Walzer ausklingen. Die Glöcklein klirrten, die Pfeifen brausten, und die Kleine begann sich graziös und sicher herumzudrehen, bis ihr rotes Röckchen um die nackten Beine flatterte und die beiden Schifferjungen begehrlich zu ihr hinüberglotzten. Und immer, wenn sie sich zur Kapitänin wandte, streckte sie drollig die Zunge heraus.

      »Jochen, willst du woll?« tobte diese noch einmal kirschbraun vor Zorn.

      Aber der Mann auf dem Kajütendach winkte mit dem Kopf zu Line herüber, und aus dem sonst so schweigsamen Munde brach ein merkwürdiges Knastern: »Gurr — gurr — Klabautermann.«

      Da erschrak Frau Dörthe und schwieg. Jetzt wußte sie es. Jochen hatte sich ebenfalls für den Seezwerg entschieden. Und Jochen war ein tiefer und gründlicher Geist.

      Und mit heimlichem Schauder sah sie mit an, wie Line sich röter und immer röter tanzte, gerade unter dem Fenster des gequälten, hinsterbenden Lotsen, der von Zeit zu Zeit dazwischenheulte.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Erwartete war gekommen.

      Hann hatte ihn mit der roten Jolle von der Landzunge herübergeholt.

      Es war der Schäfer von Ludwigsburg. Ein Heilkünstler, gegen den alle Professoren drin von der kleinen Universität zu lächerlichen Pfuschern herabsanken.

      Ein Mann im Besitz wunderbarer Naturkräfte und dabei von wirklich frommer Gesinnung.

      Menschen- und Tierarzt zugleich, der durch ein getragenes, feierliches Schweigen überall, wo er erschien, eine direkt priesterliche Stimmung erzeugte.

      Dieser war oben.

      Unten zu ebener Erde, dicht neben der Treppe, die zu dem Schlafzimmer hinaufführte, in einem kahlen Raum, der wie mit Waschblau gefärbt schien, warteten inzwischen die beiden ältesten Söhne des Lotsen, während Line auf der untersten Stufe der Treppe saß und gedankenvoll auf das leise Murmeln lauschte, das seit einiger Zeit aus der Krankenstube herunterquoll.

      Sie stützte den Kopf auf und schüttelte sich leicht wie im frostigen Winde.

      Dort oben trieb der Zauberer nun sein Wesen, denn hexen konnte er, daran zweifelte Line nicht einen Augenblick. Der Lügenlotse, oll Kusemann, hatte ihr ja auch erst neulich in seinem Wetterhäuschen an der See erzählt, wie Schäfer Sturm vor einiger Zeit kurz vor Mitternacht auf dem Moorluker Kirchhof aufgetaucht und dort zwischen allerlei Kreuzen suchend auf- und abgeschritten sei. Vor dem Grabe eines längst verstorbenen Fischers wäre er dann stehen geblieben und hätte einen Zettel auf dessen Hügel gelegt. — Einen Zettel. — »Denk' bloß, Lineken, einen Zettel mit wunderbaren Buchstaben beschrieben.« Der Tote aber sei der alte Glückspeter gewesen, der, solange er lebte, den unheimlichen Fischzug besessen und stets sein Netz mit Hunderten von Heringen ans Tageslicht gefördert habe. — Und richtig — Line zuckte in der Erinnerung förmlich in die Höhe und starrte mit weitgeöffneten Augen vor sich hin — als die Kirchhofsuhr Mitternacht schlug, da habe sich das Grab mit einem Schlag geöffnet und —

      Oben ächzte die Tür und fiel schallend wieder ins Schloß.

      »Tu mir nichts,« rief Line halblaut in ihrem Traum und streckte die Hände aus.

      Aber es war kein Gespenst, das da die Treppe herunterwehte, sondern Hann polterte herab und stieß mit seinem schweren Stiefel gegen ihren Rücken.

      »Au — dummer Junge — nimm dich doch in acht!«

      »O Lining, ich wollt ja nich — ich soll bloß — —« damit fiel der fünfzehnjährige, gedrungene Bursche bereits in den lichtblauen Raum hinein und hob vor seinem ältesten Bruder ordentlich bittend die Hände in die Höhe.

      »Was willst du, Hann?«

      »O Paul — Pauling — nich wieder böse sein.«

      »Nein, aber ich soll doch nicht etwa hinaufkommen, solange der da oben ist?«

      »Das nich, aber du sollst — —«

      »Was?« unterbrach der junge Theologe ungeduldig.

      »Du sollst mir das Buch geben.«

      »Welches Buch?«

      »Oh, die Bibel, Pauling.«

      »Die Bibel?«

      Für Schäfer Sturm!

      »Was will der mit ihr?«

      »Das darf ich dir nich sagen.«

      Der Student streckte die Hand aus. Wie er so dastand mit seiner mageren Gestalt und dem abgezehrten, verarbeiteten Kopf, hatte er etwas Hartes und Eckiges.

      »Hann —« Rasch und stoßend redete er, gleich einem, der die Sprache nicht recht meistert, und deshalb hatten seine Worte etwas Unbeholfenes, Stammelndes, das zum Herzen drang. »Hann — ich hab' dir nie was getan.«

      »Ne — ne,« schluckte der Junge.

      »Mir kannst du alles sagen.«

      In seiner Aufregung überfiel ihn wieder jenes verwünschte Stammeln. Und diesem hilflosen und doch fanatischen Klang gegenüber unterlag Hann widerstandslos.

      Der Junge zitterte: »Pauling, nich böse sein.«

      »Nein.«

      »Der Schäfer — will einen Spruch aus der Bibel reißen, und den soll Vating verschlucken.«

      »Verschlucken?«

      »Ja, verschlucken,« sagte Hann ernsthaft.

      »Und dazu soll ich ihm das heilige Buch überliefern?« entgegnete der Student entrüstet. Schon war er auf einen kleinen Schrank zugeeilt, auf dem oben ein paar Bücher standen, und nun riß er das umfangreichste an sich. Etwas Eckiges, Bäuerisches, Überzeugtes steckte in all seinen Bewegungen.

      »Das Tiefste, das uns geschenkt ward, soll ich so mißbrauchen lassen? So — so — Zu solch abergläubischem Betrug?« stammelte er von neuem. Er drückte das Buch an sich, daß ihm die Arme bebten. Dann machte er einen hastigen Schritt nach der Treppe zu und redete voller Zorn und Eifer weiter.

      Er sei kein Frömmler, aber das dürften die Eltern eines Gottesgelehrten nicht begehen. Solche Sünde. Solch heidnisches Hexenwerk. Gleich — gleich wolle er selbst in die Krankenstube hinauf und Schäfer Sturm vertreiben. Mit Gewalt, wenn es sein müßte.

      Dabei betrat er schon die erste Stufe.

      Allein, unbeweglich, mit aufgestütztem Haupt, aus dem nur die Augen wie glimmende Punkte herausfunkelten, so saß Line zu seinen Füßen und sperrte ihm den Weg.

      Er hätte über sie forttreten müssen.

      »Line, so geh doch zur Seite,« herrschte er sie an.

      »Nein — erst gib Hann das Buch.«

      »Was?« stotterte der Student.

      »Gib her,« flüsterte das Kind noch einmal mit seiner heißen Stimme und schlang trotzig die Arme um seine Beine, um ihn am Steigen zu hindern. »Du verstehst das nicht — der Schäfer kann hexen.«

      »Oh, das kommt davon, das kommt davon, daß du so gar nichts lernst,« kam es heiser von den Lippen des Studenten. — »Aber das muß anders werden. Und jetzt gleich laß los — ich muß — ich muß hinauf.«

      Er drängte sie mit seinem Fuß beiseite.

      Line fiel, im nächsten Moment wäre der Gereizte an ihr vorüber gestürmt.

      Da