»Nein«, unterbrach ihn Selmann gelassen, »ich will sie dadurch befestigen –«
»Befestigen? – umstürzen! sagen Sie! damit keine Wahrheit ist, die Sie fürchten! damit Sie Geist und Materie in eine Masse werfen können! damit keine Vorsehung, sondern ein blindes Fatum die Welt regieren soll! – Apage! Mit so einem Manne mag ich nicht unter einem Dache und –«
»Der Herr hat völlig Recht«, fiel ihm seine Frau hastig ins Wort, »und du willst ihm Unrecht geben? – einem Manne von so guter Lebensart? der uns so viele Höflichkeiten erweist?« – Hier machte sie ihm eine freundliche Verbeugung – »der unser Haus und unsern Tisch mit seiner Gegenwart beehrt?«
SOPHRON
»Den er nicht länger –«
»Der Herr hat Recht, sage ich, und du, Mann, willst es nicht erkennen? – Abbitten mußt du es ihm, daß du ihm so begegnet bist! – Ich ersuche Sie«, dies sagte sie mit dem ironischsten Tone, »Herr Sophronius, ihm auf der Stelle zuzugestehn, daß keine Gewißheit in der Welt ist.«
Selmann verbat sehr inständig diese Abbitte und Ehrenerklärung und versicherte, daß er über den Ungestüm ihres Mannes zwar erstaunt, aber im mindesten nicht durch ihn beleidigt wäre, allein sie bestand darauf. »Ich kann es nicht zugeben«, waren ihre Worte, »daß ein so liebenswürdiger Mann wie Sie auf eine so niedrige Art in meinem Hause gemißhandelt werden soll, daß er Unrecht behalten soll –«
Selmann legte noch eine Vorbitte ein, umsonst! Er wollte gehn. – »Um des Himmels willen, bleiben Sie!« rief sie und hielt ihn zurück. – »Muß ich meine Bitte wiederholen, Herr Gemahl? Sie geben zu, daß der Herr Recht und Sie Unrecht haben?«
Sophronius zitterte vor Ärger wie ein kleines Kind, das gern tobte, wenn es sich nur nicht vor der Rute fürchtete.
»So machen Sie doch!« war itzt ihr Befehl, der mit mehr Ungeduld als Ironie gegeben wurde. – »Nu, mein Herr? Sie räumen ein, daß keine Gewißheit in der Welt ist? Nu?« – Dieses Nu war mit einem fürchterlichen Drohen der Augen und der Miene begleitet, daß Sophronius, der das Übergewicht ihrer Macht fühlte, gehorsamte, ein bebendes Ja stammelte und aufstand. – »Quam mala res est mulier!« brummte er und ging in sein Kabinett.
16
Quam mala res est mulier! – Wenn Herr Sophronius mit diesem Komplimente nur seine liebe Ehegattin meinte, so gebe ich ihm völlig Recht; wenn er aber das ganze Geschlecht damit apostrophierte, dann –
Dann mögen Furien ihn plagen,
Mit Fackeln Tag und Nacht ihn schlagen
Und Gift und Feuer auf ihn sprühn!
Doch – die Furien mögen nur wieder ihren Weg gehn! Seine Frau gilt ihm statt Schlangen, Furien, Skorpionen und andern Ungeheuern, und es muß wahrhaftig ein weises Schicksal dabei obgewaltet haben, als ein so unbändiger Tiger wie Sophronius in ihre Ketten und unter ihren Befehl geriet. Sie ist die beständige Aufrechthalterin der Gerechtigkeit, die er sonst mit jedem Worte verletzen würde. Da seine Rechthaberei weder durch die Regeln des Wohlstandes noch der Menschenliebe eingeschränkt wird; da jeder, der ihm widerspricht, seine Meinung nur bezweifelt oder eine Meinung hegt, die er für falsch hält, bloß dadurch sein tödlicher Feind wird, den er mit allen möglichen Waffen in die Pfanne haut: so ist seine Frau die einzige, an welche der verletzte Teil appellieren muß, wenn er nicht selbst seine Sache ausfechten kann oder will; und niemals wurde eine Appellation verworfen. Dabei ist sie in ihrer richterlichen Amtsführung so strenge, daß sie ohne fernere Untersuchung sogleich zur Ausübung der Strafe schreitet; und es wird als ein Grundsatz vorausgesetzt, daß ihr Mann Unrecht hat. Er muß ihr durch ein vernehmliches Ja gestehen, daß er Unrecht habe, welches sie als eine hinreichende Genugtuung ansieht.
Sie hatte ihr System der häuslichen Politik auf ihre Herkunft gebaut: Man hat vorhin aus ihren Reden abnehmen können, daß sie eine geborne Fräulein war, und wer sich die Mühe nähme, sie zu sprechen, würde es in den ersten fünf Minuten mit größrer Umständlichkeit erfahren. – Ihre Herkunft war also der Hauptgrundsatz ihres Systems, aus welchem sie ungemein fruchtbare Folgen zog. Sie glaubte deswegen ein gegründetes natürliches Recht über einen Mann von höchst ungleicher Herkunft zu haben, der sie zwar aus der Armut gerettet, in leidliche Umstände versetzet, ihr zu hübschen Kleidern und einem Manne verholfen und dafür nichts als ihre werte Person mit allen dazugehörigen Gliedmaßen erhalten hatte; allein dies waren kleine Wohltaten, die die Aufopferung ihres Standes weit überwog und die schon dadurch reichlich vergolten wurden, daß sie ihm die Ehre erwies und sie von ihm annahm! Auf diese Weise räsonierte sie alle Verbindlichkeiten hinweg, die sie ihm noch außer jenen in großer Menge schuldig war.
Was ihr die Ausübung ihres Systems unendlich erleichterte, war die große Ehrfurcht, die Sophronius zum Anfange der Ehre gegen sie zeigte. – Sophronius' Ehrfurcht! Das ist freilich befremdend. Seine Rechthaberei war ihm wie aus dem Herze gerissen, wozu sie durch ihre Miene und ihr stolzes Betragen nicht wenig beitrug. Die Liebe hatte die Kurzweile mit ihm getrieben und ihren Pfeil gerade in die empfindlichsten Teile seines Körpers und seiner Seele gestoßen; denn seine ganze kleine Person war nur eine Glut, die seine Philosophie und seine Nieren versengte, weswegen er kurz nach seiner Vermählung einen heftigen Anfall von Nierenschmerzen und eine öftre Schwäche des Denkens bekam. Auch waren die äußern Wirkungen dieses Liebesfeuers sehr merklich; da er sonst, sooft er sich nicht erinnerte, daß er ein Philosoph war, höchstens in einem starken Schritte einherwandelte, so ging er während der Zeit, da seine Flammen noch nicht gelöscht waren, einen völligen Paß oder abwechselnd einen kleinen Galopp. Alle seine Zudringlichkeiten und Demütigungen pflegte seine Hochwohlgeborne Geliebte mit einem kalten Stolze zu billigen und anzunehmen; dadurch wurde er immer mehr angefeuert, bis zuletzt das Feuer mit einer solchen Stärke und Heftigkeit in ihm zu wüten anfing, daß er besorgen mußte, in Staub und Asche zu zerfallen, wenn er nicht schleunige Hülfe schaffte. Dies tat er; er hielt um ihre Hand an und erhielt sie – aber als eine Gnadenbezeugung.
Eigentlich war es ein geheimer unphilosophischer Stolz, der in Sophronius' Herze ein so brennendes Verlangen nach ihrem Besitze angefacht hatte, aber nicht Amor! – Bald hätte ich dem guten Knaben etwas Schuld gegeben, wobei er meistenteils so wenig tut und sich von tausend Leidenschaften ins Amt greifen lassen muß. Sophronius' Geliebte hatte nicht einen Zug, nicht ein Plätzchen an allen sichtbaren Teilen ihres Leibes, wo ein Amor oder eine Grazie hätte minutenlang verweilen mögen; ihre Manieren, Gedanken und Reden waren ganz nach dem allgemeinen Muster des Zerimoniells zugeschnitten; alles war alltäglich, alles gewöhnlich an ihr; kein Reiz, keine Annehmlichkeit, sondern vielmehr eine Menge Eigenschaften, die beide ausschlossen! Das kälteste stolzeste Betragen gegen jedermann, besonders gegen den Sophronius, den sie wie einen Ritter von der runden Tafel durch tausend Beschwerlichkeiten unter den erniedrigendsten Demütigungen ihr Ja erringen ließ! – Alles dies hätte einen Mann, den Venus selbst begeistert, nie auf die Gedanken kommen lassen, eine so kalte sandsteinerne Bildsäule in seine Arme schließen zu wollen; allein wie könnte sich die himmlische Venus die Mühe nehmen, in einen so unsaubern Winkel, wie Sophronius' Herz war, ihren Balsam auszuschütten?
Wer hätte das denken sollen? – Die Liebe wurde bei ihm die Nachtreterin des Stolzes. Nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur wäre zu vermuten gewesen, daß er, nachdem sein Stolz befriedigt war, die Rechte des Ehmannes anwenden würde, um sich wenigstens einigermaßen für die Mißhandlungen, die er als Liebhaber erlitten, zu entschädigen, doch nein! – Sein Stolz fing an zu vernünfteln; er überlegte, wie kitzelnd das Bewußtsein für ihn täglich sein müßte, eine Frau von ihrem Stande zu besitzen, was für tägliche Freuden er ihr also schuldig und wie liebenswürdig sie deswegen wäre; sogleich stieß dieser philosophierende Stolz den Perpendikel des Herzens