Tobias hatte sich nicht weit von der Haustür gestellt, um die Ankunft der Gäste zu erwarten. Kaum sahe er, was vorging, als er pfeilschnell auf die verunglückten Damen zulief, die, ohne sich im mindesten zu beklagen, mit ihrem Lager vorliebnahmen, als er eine nach der andern ergriff und, seiner Schwäche ungeachtet, diese zwo Maschinen wie ein paar Walfische, mit dem größten Teile des Leibes an das trockne Land zog. Doch wer war es, als er sie besah? – Niemand als seine großmütigen Beschützerinnen! – mit einem Worte, Fräulein Kunigunde und Fräulein Adelheid! – Wie fing dem gutherzigen Retter das Gesicht an zu glühen, da er sie erkannte. Er konnte zwar in dem Augenblicke seine Empfindungen nur fühlen, aber nicht unterscheiden; doch ich weiß gewiß, daß sie aus dankbarer Freude, vermischt mit einer kleinern Dosis von Bedaurung und einer größern von stolzer Selbstzufriedenheit zusammengesetzt waren. Soviel hatten schon seine eignen Widerwärtigkeiten seine vorher unterdrückte Empfindlichkeit unvermerkt angefacht!
Der Postillion saß noch immer in einer totenähnlichen Bestürzung auf seinem Pferde und blieb es, bis Selmann, der Wirt vom Hause, in vollem Galoppe sich daherstürzte und den unglücklichen Nymphen vollends auf die Beine half.
Wer sie noch vom Teichdamme her kennet und nur eine kleine Tinktur von Einbildungskraft hat, wird sich eine Menge Sachen zum voraus vorstellen, die diese empfindsamen Schönen in solchen kritischen Umständen wahrscheinlicherweise fühlen und sagen mußten. Doch der Schrecken hatte den ganzen Raum in ihrem kleinen Herzchen eingenommen und ließ weder Empfindungen noch Worten eine Handbreit übrig. Am ganzen Leibe zitternd, bleich wie ein Toter im Sarge, lehnten sie sich an die Wand und konnten kaum stehen. Sie hatten beide dem schönen Wetter zu Ehren ihren Lieblingsputz angezogen, ein Kleid, nach ihrer eignen Idee in einem so sinnreichen Geschmacke als die Laube auf dem Teichdamme, aus apfelgrünen Taffet geschaffen und mit blauen Bändchen garniert; aber wie garniert? – Jede männliche Beschreibung davon muß notwendig zu kurz kommen; – zum Besten wißbegieriger Leserinnen will ich eine Abbildung davon auf Subskription besorgen, und wer dieses Buch liest, soll sie von mir als einem Liebhaber und Beförderer der Freien Künste in den Kauf bekommen. – Doch das Vorzüglichste nicht zu vergessen, diese sinnreiche Kleidung empfing von ihren Besitzerinnen den Namen à l'Arcadienne. Itzt war, wie leicht zu erachten, die ganze Arcadienne nebst allem Zubehör mit einer Rinde von Schlamme wie ein versteinertes Apfelblatt überzogen.
Der erste empfindende Blick, nach ihrer Zurückkehr zu sich selbst, fiel auf die unglückliche Arcadienne, und der erste empfindungsvolle Ton war ein Klagelied über ihre Verunstaltung. Da es ein unwillkürlicher Ausdruck einer ebenso unwillkürlichen Empfindung war, so fiel es gerade so aus, als es in dem Munde des unbelesensten Kammermädchens ausgefallen sein würde.
Nachdem dieser größere Schmerz verdaut war und sie wieder Meister von sich selbst wurden, so fand sich ein geringrer ein. Es stiegen verschiedene Bedenklichkeiten über ihre kurz vorhergegangene Situation in ihnen auf. Es fiel ihnen bei, daß sie in einer höchst unanständigen, unzüchtigen Lage könnten hingeworfen worden sein – daß Mannspersonen sie in dieser Stellung herausgezogen und vielleicht gar, was sie in der Betäubung nicht hätten verhüten können – hier fuhren sie zusammen, als ihre Gedanken so weit kamen, und wollten hinter dem Fächer sich sittsam verstecken, da sie ihn zu ihrem Leidwesen vermißten. Ihrer Scham war weiter nichts übrig als – sie kehrten das Gesichte zur Wand und baten, daß jede männliche Kreatur sie verlassen und ihnen eine weibliche Bedienung zugeschickt werden möchte, um sie in ein Zimmer zu führen.
Man ging und machte Anstalten.
Indem –
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»Ha, ha, ha, ha, ha, ha,« – so trat der Herr Hauptmann V++ mit lautem Gelächter zum Tore herein, nachdem er eine kleine Weile über die Erscheinung gestutzt hatte.
»Ha, ha, ha, ha«, rief er, »seid ihr auf dem Schlamme zu Schiffe gegangen? ha, ha, ha, einen Staubmantel über die Arcadienne gezogen! ha, ha, ha – « etc. etc. etc.
Mitten unter diesen Konvilsionen des Gehirns und der Lunge wurde er die Trümmern seiner Kutsche gewahr. »Was?« schrie er mit der wildesten Miene und fluchte in so originalen Ausdrücken, daß meine Kopie davon nicht die Hälfte der Wirkung tun würde – »Was? – Mein Wagen ist zerbrochen! Wo ist der Kutscher? – Die Pferde haben doch keinen Schaden genommen? – Wo ist der –? Ich will ihn zerschlagen, daß kein Gebein am ganzen Leibe davonkommen soll.«
Auf diesen Lärm kam Selmann mit zitternder Besorgnis für das Leben des Postillions herzugeeilt, um durch seine Vorbitte wenigstens etwas von dem armen Unschuldigen zu retten. Mittlerweile war auch der Delinquent herbeigekrochen, hatte von hinten zu den Rockzipfel mit der einen Hand und mit der andern die Hand seines wütenden Herrn erwischt und küßte beides in der demütigsten Stellung, ohne ein Wort zu sagen, welches, dem Herkommen gemäß, das einzige Mittel war, ungestraft jeden Fehler begangen zu haben. Zum Zeichen, daß seine Reue für gültig erkannt wurde oder vielmehr damit der strafenden Gerechtigkeit von der Güte und Nachsicht nicht alles vergeben würde, bekam er zween leichte Hiebe mit dem spanischen Rohre auf den alten Rücken und mit einem »Geh zum T..., du alte B..!« seine völlige Absolution.
Hierauf umarmte der Hauptmann den Wirt, so beruhigt, als wenn er niemals gezürnt hätte, bat um Vergebung wegen des Getöses, das zur Aufrechthaltung seines Ansehns unvermeidlich gewesen wäre, und tat verschiedene andre Sachen, die jedermann ohne mein Zutun sich selbst denken kann.
Sie gingen in ein Zimmer. Der Hauptmann perorierte, und Selmann war durch den Anblick der vorher erzählten Wut und der so geschwind erfolgten Beruhigung mit seinen Gedanken auf den Weg einer psychologischen Spekulation geraten, welchem er stillschweigend nachging und deswegen nur halbgegenwärtig auf Fragen antwortete und verneinende oder bejahende Sätze meistens ohne Beifall und Widerspruch vor dem Ohre vorübergehn ließ.
»Es ist heute warm wie in der Hölle«, sagte der Hauptmann, als er über die Schwelle ins Zimmer schritt, und keuchte dazu.
»Ja, sehr warm!« antwortete Selmann mit träumenden Tone. »Die Felder müssen verschmachten. Das wird eine schöne Ernte werden!«
»– – – – – – – Vor dem Jahre ersoff alles, und dies Jahr verbrennt's.«
»Leicht möglich!«
»Da kann unser Gesindel wieder betteln gehn.«
»– – – – – – – – – – – – – – – –«
»Wie geht's bei Ihnen? Sind Sie glücklich dies Jahr?«
»Sehr! Noch gestern bin ich so glücklich gewesen, einen jungen Menschen zu finden, der mir die größten Erwartungen gibt. Ein Mensch, der ganz original ist vom Kopfe bis auf die Füße.«
Der Hauptmann stutzte. Selmann klingelte. Ein Bedienter trat herein und erhielt Befehl, unsern Tobias zu rufen.
»Ach«, rief jener, als er ihn erblickte, »das ist ja der Vogel, den ich aus meinem Hause habe fliegen lassen. – Bist du hier Flügelmann unter der Leibgarde?«
»Essen und Trinken ist genug da«, sagte Tobias trocken und ging zur Türe hinaus.
Sein Patron sahe ihm mit einem gefälligen Lächeln nach, und der Hauptmann nahm eine Prise.
So ernsthaft kann keine spanische Friedensunterhandlung