Mir darf man eine Sache nicht zweimal sagen. Der Herr liebt das Volle, dachte ich, das willst du dir merken! Nach Tische wollte er Kaffe haben. Meine Frau machte ihn, ich trug ihn hinauf und schenkte ein – die Tasse so voll! so voll, daß kein Tröpfchen mehr Platz hatte. Das wird ihm recht gut schmecken! dachte ich. Da er's sahe – ›pfui!‹ rief er, ›so schweinisch voll! wer kann das trinken?‹ – und goß mir das liebe Gut vor die Füße. Ich wußte nicht, was ich denken sollte, so verwundert war ich. Endlich sagte ich zu ihm, daß ja die Schüssel hätte gestrichen voll sein müssen. ›Ja‹, antwortete er, ›die Schüsseln müssen ganz voll sein, aber die Kaffetassen nur zur Hälfte, wenn es gut schmecken soll.‹«
Herr B. fand das Grillenhafte in dem Betragen dieses Mannes so merkwürdig, daß seine ganze Neubegierde dadurch gereizt wurde, und nichts schien ihm gewisser, als daß es ein Originalkopf wäre, der zu seltsam scheinenden Handlungen Ursachen haben könnte, die ein gewöhnlichdenkender Mensch nicht zu ergründen wüßte. Sein Gesellschafter, der unter allen menschlichen Schwachheiten, am wenigsten den Schwachheiten eines räsonnierenden Geistes ausgesetzt war, fand in eben diesem Betragen nichts als alberne Ungereimtheiten, und der Mann, der sie getan hatte, war nach seinem Ausspruche – ein Narr. Ob er gleich keinen Augenblick an einen Grund gedacht hatte, warum er ein Narr sein müsse, und jener hingegen durch eine lange Spekulation bei sich auf seine Vermutung gebracht worden war, so sprach er doch sein Anathem mit einem viel positivern Tone als Herr B. und war, ohne Grund, viel fester überzeugt als dieser mit allen seinen schönen Gründen. Auch für den Frost an dem heißesten Sommertage stund diesem spekulativischen Kopfe eine sehr scharfsinnige Erklärung zu Gebote. Er entstund nach seiner Meinung durch eine übermäßige Reizbarkeit der Organe und eine zu übereilte Flüchtigkeit der Lebensgeister, die, durch die Stärke der Hitze in eine heftige Bewegung gesetzt, ein frostähnliches Zittern in den Nerven hervorgebracht und der Seele zu empfinden gegeben hätte. – O ihr spekulativen Sterblichen! daß euch doch euer Scharfsinn so viele Schlingen legt!
Auf Verlangen dieses Weltweisen fuhr der Wirt, als er diese Erklärungen gaffend angehört hatte, ohne die erklärte Sache deutlicher zu verstehen, in seiner Erzählung fort.
»Das beste Stückchen«, fing er lachend an, »folgt noch. Da meine Frau dachte, daß er den Kaffe ausgetrunken haben möchte, ging sie und wollte Kanne und Tassen wieder abholen, um sie auf den Morgen rein zu machen. Ich gehe meiner Frau immer nach, wenn sie zu den Gästen auf die Stube geht. Man weiß nicht, was so einem schwachen Werkzeuge begegnen kann, und der Mann ist doch einmal des Weibes Haupt und muß sie also auf allen Schritten und Tritten bewachen. Unsereins hat Herz im Leibe; das hat so eine furchtsame Kreatur nicht. – Genug, ich gehe ihr nach. Da ich in die Stube trete – was denken Sie wohl? – da sitzt der Fremde am Fenster und zittert am ganzen Leibe. Meine Frau, die sehr mitleidig ist – mannichmal mehr als zu sehr! das gottlose Weib« – bei diesen Worten sahe er sich schüchtern um, ob sie vielleicht zugegen sein möchte – »meine Frau glaubte, es würde ihm schlimm, und ging auf ihn zu, um ihn zu halten, wenn er in Ohnmacht sinken sollte. Da sie ihn angreifen wollte, da sprang er auf wie ein Beseßner und lärmte und schrie: ›Vom Leibe! vom Leibe! zur Stube hinaus! fort! oder ich komme um!‹
Was ich erschrak! Ich dachte, bei meiner Ehre! er wäre besessen, und wenn ich furchtsam gewesen wäre, so weiß ich nicht, was ich getan hätte. Es wurde mir aber doch ein bißchen bange ums Herze – der Henker! dachte ich, wenn er nun besessen wäre! – Ich faßte meine Frau bei dem Arme und lief mit ihr die Treppe hinunter. Sie ließ hernach gern das Kaffezeug im Stiche. Des Nachts konnte ich kein Auge zutun. Vor ordentlichen Menschen fürchte ich mich nicht und wenn ihrer tausend wären; aber vor Beseßnen habe ich eine Scheu wie vor dem bösen Feinde selbst.
Des Morgens wollte keines aus dem Bette. Ich stieß meine Frau an und sagte ihr, daß sie aufstehen sollte. ›Geh du!‹ sagte sie und wickelte sich in das Deckbette. ›Steh du nur auf‹, sagte ich wieder; und so ging das – steh du auf! steh du auf! – lange Zeit herüber und hinüber; nicht als wenn ich mich gefürchtet hätte; bei meiner Frau mochte es wohl nicht richtig sein. Mir ging es nur im Kopfe herum, daß er vielleicht ein Beseßner sein möchte. Was zu tun? Einmal mußten wir doch aufstehn; ich fasse mir ein Herz und steige aus dem Bette. Meine Frau kriecht hinter mir drein. Nun ging eine neue Not an. Es wollte niemand zu ihm auf die Stube. Endlich geh ich, aber da war nicht ein Haar mehr von dem Fremden zu sehn. Ich geh in den Stall, sein Klepper war auch weg. Kurz, sie waren alle beide fort und hatten meine Bezahlung mitgenommen. Aber ich entbehrte sie gern, daß ich nur die Sorge aus dem Hause los wurde. – Um des Himmels willen! Einen Beseßnen im Hause zu haben, und wenn er mir ein Fürstentum geben wollte, möcht ich ihn nicht eine Minute wieder beherbergen.«
»Den Mann möcht ich kennen!« rief Herr B., als wenn er von einem nachdenkenden Erstaunen erwachte. »Schaffe Er mir ihn zur Stelle! und ich will seine Zeche vierfach bezahlen.«
»Und wenn Sie es fünffach tun wollten«, erwiderte der Wirt, »so möcht ich nicht – einen Beseßnen in seinem Hause zu haben! – wenn er nur nicht vielleicht wiederkömmt! – Rose! die Türe ist doch zugeriegelt?«
Herr A. gab nunmehr bei dem letzten Schlucke, der in seinem Kruge war, das Definitivurteil von sich: »Er ist verrückt!« – und Herr B. beteuerte, indem er mit der Hand auf die Brust schlug: »Das ist der größte Originalkopf, den Deutschland jemals gesehn hat!« – und Tobias? – urteilte, als ein weiser Skeptiker, gar nicht.
Herr B. stund auf, tat ein paar Gänge die Stube auf und nieder, und die Kette des Gesprächs war auf einige Zeit so gut als mitten entzweigerissen.
26
In dieser Zwischenpause richtete sich Tobias auf, als eben Herr B. ihm gegenüber stillstund, stemmte den Arm in die Seite und sagte mit dem erhabnem Ernste eines Lacedämoniers: »Mich hungert!« legte sich mit dem Rücken an die Lehne seiner Bank, wie – – – wie – – – gütiger Himmel! ich kann keine Vergleichung finden; wie das schade ist!
»Ich will deinen Hunger stillen!« rief Herr B., eilte auf ihn zu und faßte ihn bei der Hand. – »Der Himmel hat mir heute das Glück bestimmt, lauter Charaktere zu finden, wie ich sie wünsche«, setzte er hinzu.
Darauf erkundigte er sich nach den Lebensumständen meines Helden, der ihm in den lakonischsten Ausdrücken, soviel er selbst davon wußte, ohne Weigerung berichtete.
Als jener seinen Bericht, der bei Erzählung des Soldaten-Projektes am weitläufigsten war, mit dem Vergnügen eines Beobachters angehört hatte, so wandte er sich zum Herrn A., bat ihn, den Abend und die Nacht in seinem Hause zuzubringen, und ließ nicht eher nach, als bis er ihn dazu bewegt hatte. Tobias empfing ebendieselbe Einladung und machte sich auch gleich marschfertig, ihn dahin zu begleiten.
Herr B. machte alsdann dem Wirte ein kleines Geschenk an Gelde, doch ohne daß es jemand gewahr wurde, und zwar zum Ersatze desjenigen, was er ihm durch seine Beherbergung der beiden Reisenden entzog. Nach diesem sagte er ihm eine gute Nacht und ging mit seinen beiden Gästen fort.
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Wenn drei Leute zur Tür hinausgehen, so ist es wohl der Mühe wert, einen neuen Absatz zu machen – also noch einmal!
Der 27. Absatz.