Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Karl Wezel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222193
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Größe ablegen ließen? Konnte er bei dem Beifalle, den die gnädige Mama ihm nach jedem seiner verliebten Kinderstreiche zuklatschte, jeden derselben für etwas anders als einen Beweis einer Vollkommenheit und eines Vorzuges vor den übrigen ihm bekannten Menschenkindern ansehen?

      Würde Friedrich wohl der langsame, schläfrige Knabe geworden sein, wenn man ihn nicht von aller Gesellschaft hinweg auf die Stube seines melancholischen Hofmeisters relegiert hätte? wenn man nicht jedes seiner Worte durch verachtende Unachtsamkeit erstickt und mit lautem Gelächter jedem, auch dem unbesonnensten Einfalle des Bruders hervorgeholfen hätte? – Hatte die Natur, da sie dem einen elastische Nerven, rasche Lebensgeister und flüchtige Teile in seine Säfte gab, eine weitre Absicht, als daß er zu den Verrichtungen des menschlichen Lebens geschickt sein sollte, die eine plötzliche Entschließung, schnelle Ausführung und einen gewissen Grad von Verwegenheit verlangen? Da sie dem andern Bindfaden statt der Nerven, Lebensgeister, die nicht anders als im Schritte gehen konnten, und dicke Säfte gab, was wollte sie mehr, als ihn zu einem Manne bestimmen, der durch Behutsamkeit, Überlegung, Ernsthaftigkeit sich um die langsamem Geschäfte des Lebens verdient machen sollte?

       Inhaltsverzeichnis

      Glaubt mir, ihr lieben Eltern, ihr seid die Eltern eurer Kinder in jedem Verstande: Eltern ihres Körpers – Eltern ihres Charakters, ihres Glücks.

      Nur noch ein klein wenig Geduld, meine lieben Leser, wenn ich bitten darf! In etlichen Minuten haben meine Lebensgeister den moralischen Kanal durchlaufen, und alsdenn will ich gleich wieder etwas erzählen, um den allmählich heranschleichenden Schlummer zu verjagen – oder noch besser! ich will Sie schon aufwecken, wenn es Zeit ist.

      Eure Reden und Handlungen, ihr Eltern und die ihr nebst diesen die erste Gesellschaft ihrer Kinder seid, machen sie zu Bösewichtern und zu rechtschaffnen Männern; die Natur gibt euch in eurem Kinde nichts als einen Guckkasten oder eine Zauberlaterne mit weniger oder mehr gut geschliffnen Gläsern und einer halb angezündeten Lampe, weiter nichts! Ihr müßt Öl zuschütten; ihr müßt Bilder hinter die Gläser stellen. Kann der Mechanikus dazu, wenn ihr ein beschmiertes oder gar ein leeres Blatt dahinterstellt oder die Lampe dunkel brennen laßt? – Hütet euch also – – –

      Nun waren sie durch! Ich wäre selber so froh, als es meine Leser nur immer sein könnten, wenn die Erzählungskanäle in meinem Kopfe häufiger oder doch wenigstens länger wären; aber so sind die Lebensgeister kaum darinnen – husch! sind sie wieder heraus und gleich in eine moralische Röhre hinein – und nun könnte ein Schiff durch den königlichen Kanal in Languedoc gehen, in Toulouse seinen Zoll bezahlen, die Garonne durchlaufen, bei Bordeaux seine Schiffsfahrer aussteigen und sich ihren übelverdauenden Magen mit so vielen Flaschen, als sie bezahlen können, kurieren lassen und wohl gar noch ins abendländische Meer hinausfahren, ehe meine Lebensgeister mit ihrem Wege durch den moralischen Kanal fertig sind. Aber was ist zu tun? Ich werde ein paar Röhren zustopfen müssen, wenn ich nicht will, daß sich meine Leser die Köpfe schwindlicht schlafen.

       Inhaltsverzeichnis

      Aufgewacht meine Herren und Damen! – ich hab's wohl gedacht; was kann ich dafür, daß Sie nicht zeitiger zu schlafen angefangen haben?

      Sie werden sich zu entsinnen wissen, daß ich in dem – gern zitiere ich zwar nicht, aber weil Sie geschlafen haben, so ist es doch nicht zu verlangen –, daß ich in dem – sechsten Absatze gegen das Ende und – im siebenten zu Anfange gemeldet habe, wie wenig die Frau Knaut die ersten natürlichen Regungen von dem doppelten Berufe ihres Sohns begünstigte. Warum? das wird sich gleich offenbaren.

      Wie in Staaten, so in kleinen Familien, und wie in kleinen Familien, so in Staaten. Wie mancher ehrliche General mußte Kränkungen und Verdrießlichkeiten erdulden, weil er von seinen zum besten seines Fürsten geführten Kriegen erzählte, wenn Ihre Majestät, die Frau ++, neugierig waren, die Beschreibung der neuangekommenen Palatine von der gegenüber sitzenden Dame zu hören, und vor dem unhöflichen Manne nicht zum Worte kommen konnte! – Mußte nicht Saboutier vor Ärgernis sterben, weil er die Ehre des hohen Geburtsfestes beleidigt und in einem schlechten Tuchkleide erschienen war, als jedermann soviel Gold und Seide trug, als er selbst wog?

      Tausend dergleichen Beispiele könnten einem ehrlichen Manne beifallen, wo in verfloßnen Zeiten Leute – elevés au rang des Dieux – in dem goldgestickten Schleppkleide nicht anders und aus keinen andern Gründen handelten als Frau Knaut, die Schulmeisterin, im kamlottnen Unterrocke.

      Recht hatte sie allerdings, wenn sie ungehalten war, daß der Naturtrieb ihres Tobias in so schmutzigen Materialien arbeitete und daher die Reinlichkeit der Kleidung nicht sehr befördern konnte. – »Wie du aussiehst, da –? Glaubst du, daß die Kleider vom Himmel fallen?« etc. etc.

      Tobias, ohne im geringsten den Beweis seines Unrechtes abzuwarten, schleppte seine Figur mit der gewöhnlichen Langsamkeit in die Stube, legte ernsthaft, wie ein Prälat, seinen ganzen Ornat ab, der meistenteils mit so vielerlei Erdarten bekleckt war, daß sich zu seiner Erläuterung ein ganzer Quartband amoenitatum physicarum oder curiositatum physico-oeconomicarum oder auch Selectorum ex historia naturali mit einem großen Titelkupfer in Imperialfolio, den Ornat meines Helden vorstellend, hätte drucken lassen; und alsdann ging er im bloßen Hemde, in puris naturalibus, ebenso langsam zu seiner Berufsarbeit zurück, als er sie verlassen hatte. »Tobias, hast du denn keine Ehre im Leibe? Vergißt du denn ganz, wer deine Mutter und dein Vater ist? Willst du –« etc. etc.

      Nun stand also der arme Junge zwischen Ökonomie und Ehre eingeklemmt da und wußte nicht, wie er herauskommen sollte, und noch viel weniger, wie er hineingekommen war. Mitleidig sahe er seine unbarmherzige Mutter die schönen Schlösser, die ihn mehr Arbeit und Schweiß gekostet hatten als den ägyptischen Königen ihre Pyramiden, mit Sturm erobern, zerstören und in den elenden Leimhaufen verwandeln, aus dem sie entstanden waren. Ohne Waffen, im bloßen Hemde, wie konnte er da seine Festungen wider einen so erbitterten Feind verteidigen? Geduldig – denn Ungeduld oder Widersetzlichkeit, dachte der philosophische Tobias, baut meine Schlösser doch nicht wieder auf– ein weiser Gedanke! –, geduldig ging er, legte seinen getrockneten Ornat wieder an und – predigte.

      Zuweilen strömte seine Beredsamkeit, gleich der Beredsamkeit des Ulysses,

      Wenn die mächtige Stimm aus der Brust gewaltig hervorbrach,

      Und die Worte sich stark, wie ein Winterregen, ergossen

      und zwar ungehindert fort; doch zuweilen wurde ihr Fluß plötzlich, wenn er im besten Laufe war, gehemmt. Wer hätte glauben sollen, daß ein Gegenstrom, der eigentlich, zwanzig Schritte von ihm, in der Küche sich ergoß, bis in die Schulstube auf ihn wirken könnte? – So entfernt können Ursachen ihre Wirkungen hervorbringen!

      Mittags und abends, wenn in den Magen der Hunger und auf dem Herde das Wasser zu poltern anfing, versammelte sich auf dieses Signal das Parlement des Dorfs in der Küche der Frau Knaut. Die Mitglieder desselben waren die Frau Knaut, als Sprecherin eine alte Frau, die, eigentlich zu reden, weder die Besoldung noch den Titel einer Magd bei der Frau Schulmeisterin hatte, sondern für eine Erkenntlichkeit die schmutzigen Verrichtungen, die für ihren Stand zu niedrig waren, über sich nehmen mußte und, die Nachricht vollständig zu machen, von ihrer Mutter den Namen Anne Heimberten empfangen hatte; denn, soviel man wußte, war sie ohne Vater Anne Heimberten geworden. Meistenteils, wenigstens doch einmal des Tags, kam auch die Frau Pastorin herbeigehinkt – das werden ihr meine Leser nicht übelnehmen, wenn sie sich an den großen Schwamm erinnern, der ihr, bei der beständigen feuchten Witterung ihres alten Wohnhauses, aus dem rechten Beine gewachsen war. – Das vierte Mitglied war die Kammerjungfer der gnädigen Frau, die aber sehr oft, wenn ihre Gebieterin zu lange geschlafen hatte oder die Morgenandacht bei dem Putztische zu lange dauerte, in eigner Person nicht erscheinen konnte; doch bei wichtigen Angelegenheiten tat die dicke Hanne, die Hausmagd, als ihre freiwillige Agentin statt ihrer den Vortrag. Ohne