Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Karl Wezel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222193
Скачать книгу
darstellen als dieser Sturm auf dem festen Lande. Die gnädige Frau, die kaum vorher in ihrem Kabinett über dem Netzknüpfen mit ihrem geliebten Joli auf dem Schoße eingeschlummert war, fuhr bei dem entsetzlichen Krachen plötzlich auf, ließ ihren Joli fallen, und Joli – zerbrach ein Bein.

      Dieser traurige Vorfall ließ nichts als eine unangenehme dreifache Wahl übrig: Entweder mußte das Pfarrhaus neu gebaut und der Schießstand zugleich ausgebessert werden – oder jenes wurde wieder mit einem neuen Giebel ausgeflickt, und bei dem nächsten Sturmwinde mußte wieder die ganze Gesellschaft gequetscht, beschunden, gedruckt werden, Joli mußte noch ein Bein zerbrechen usw. – oder endlich mußte der Herr Major zu Hause bleiben, die Rechnungen seines Verwalters durchlesen, ein Buch zur Hand nehmen und verschiedene Sachen daraus lernen, die Ihre Gnaden Ehre gemacht hätten, denn spielen war ihm ein zu langweiliger Zeitvertreib. Von diesem dreifachen Entweder und Oder kam ihm das letzte gar nicht in den Kopf – das zweite schlug sogleich die Frau Majorin nieder – und das erste wählte der Herr Major sogleich, als ihm das erste Stück Gips von der Decke des Schießhauses auf den Kopf fiel, ohne an einen andern möglichen Fall zu denken.

      Das Haus wurde also gebaut, und zwar auf Unkosten der Kirche. Die Kirchenvorsteher hatten nichts als die kleine unmaßgebliche Bedenklichkeit dawider, daß die Kirche sich schon vor etlichen Jahren ganz und gar ausgegeben hätte und dahero ihr ganzes Hab und Gut gegenwärtig in nichts als einem abgerißnen silbernen großen Schloßbleche bestünde, das ehemals ihr Vermögen in einem eichnen Kasten verwahrt hätte und nunmehr in dem vernagelten Kasten selbst verwahrt würde, weil der Fall sobald nicht vorkommen möchte, daß der Kasten geöffnet zu werden brauchte und doch leicht jemand, es zu stehlen, hätte verleitet werden können. Die Bedenklichkeit war freilich ziemlich gegründet; allein der Herr Major wollte – und es geschah. Ein Kapital wurde aufgekündigt; es machten wohl verschiedene Gläubiger Ansprüche darauf und wären unverschämt genug gewesen, sich in das ganze aufgekündigte Kapital zu teilen und die Hand immer noch offen zu behalten – die Unmenschen! Konnte denn der Herr Pfarr unter freiem Himmel wohnen? War er nicht so schon elend genug geworden? Sollte denn der Herr Major in täglicher Lebensgefahr sein? Oder sollte er gar nicht schießen? Sollte Joli noch ein Bein zerbrechen? – Alle diese Gründe beherzigten zuletzt diese unbilligen Leute, nachdem sie ihnen der Herr Major sehr einleuchtend vorgestellt hatte.

       Inhaltsverzeichnis

      Diesem ganzen Baue, von dem Legen des ersten Grundsteins bis auf das Einschlagen des letzten Nagels, hatte der junge Tobias so unermüdet, so aufmerksam beigewohnt, als wenn ohne seinen Beistand die Vollendung des Gebäudes sich noch Jahrhunderte verzögern würde; und er konnte um soviel leichter diese freiwillige Arbeit über sich nehmen, da er schon frühzeitig das Leere und Eitle der menschlichen Wissenschaften in einem so vorzüglichen Grade kannte, daß er sogar die Buchstaben, weil sie Elemente der Wissenschaft sind, nicht zu lernen würdigte und also nichts bessers zu tun wußte. In drei Vierteljahren war der Bau geendet und folglich auch diese Gelegenheit vorüber, seine Nerven in Wirksamkeit zu setzen – denn einmal ist es nun nicht anders; solange wir Menschen sind, so fühlen wir ein unvermeidliches Verlangen darnach. Unsre Lebensgeister laufen auf und nieder wie ein geschäftiges Mädchen, das nichts zu tun hat – und wenn sie auch so dick wie meine Dinte und ihre Kanäle nicht elastischer als Eichenholz wären, sie ruhen doch nicht eher, als bis ihr ihnen etwas zu tun gebt, und solltet ihr auch nur Papierchen drehen oder Fliegen an einen hölzernen Griffel spießen oder ein Drehkreuzchen auf dem Tische herumlaufen lassen – Beschäftigungen, die kaiserliche Majestäten in Rom ihrer nicht unwürdig achteten. – Ebendiese Notwendigkeit brachte meinen Helden auf den Einfall, einen neuen Bau nach seinem eignen Plane anzufangen und darinne so lange fortzufahren, als seine Laune diese Beschäftigung unterhaltend finden würde. War diese Laune vorüber – und das mußte doch bei einem menschlichen Körper selbst von der knautischen Komplexion wenigstens zweimal in einem Tage sich zutragen –, was nun zu tun? Alle Begriffe, womit die Sinne seine Einbildungskraft versorgt hatten, waren innerhalb des Distriktes aufgelesen worden, worauf die Kirche, die neuerbaute Pfarrwohnung und das Schulhaus stunden. Unter allen diesen Vorstellungen hatte ihn keine so lebhaft gerührt als der Pfarr auf der Kanzel, wie er mit offnem Munde und mit hin und her sich bewegenden Händen, mit herumflatternden Ärmeln, undantibus manicis, und dem übrigen geistlichen Ornate auf die Zuhörer keuchend herabschreit. Da er zum ersten Male seiner Baumeisterrolle überdrüssig geworden war, siehe da! – ein Pfarr mit einer gepuderten Parücke, auf der Kanzel predigend, trat in dem Guckkasten seiner Einbildungskraft hervor, und der Maurer mit dem Schurzfelle nebst den Häusern, die vorher da gewesen waren, verschwanden. – Warum aber gerade der Pfarr? nach dem Maurer? – das weiß ich euch ebensowenig zu sagen, ihr lieben Leute, als warum ihr in der Karte spielt, wenn ihr Kegel zu schieben aufgehört, oder warum ihr an den Tambourrahmen geht, wenn ihr das Filet weggelegt habt; ebensowenig, als warum ihr auf dem Braunen reitet, wenn ihr von dem Schimmel gestiegen seid. – In Tobias' Guckkasten konnte ebensogut der Vater, wie er seine Schulkinder prügelt, hervortreten, oder die Mutter, wie sie die Kuh melkt, oder – wie viele Oder sind noch möglich! Der Pfarr kam nun – was kann ich dafür? – und kam allzeit, sooft der Maurer wegging.

       Inhaltsverzeichnis

      Um diese Erklärung zu finden, brauchte man kein einziges Werkchen de regulis interpretandi gelesen zu haben; wenigstens konnte sie doch in der Gestalt in dem Verstande der Frau Knaut hervortreten: Tobias hat bauen sehn, und weil er gern einen Zeitvertreib haben will, so tut er's nach, weil er den Pfarr hat predigen sehn, so tut er's aus dem nämlichen Grunde nach. – Das bloße Faktum und eine gewöhnliche Dosis gemeinen Menschenverstand – und die Erklärung ist da!

      Aber die Seelen, die in Menschenköpfen wohnen, gehen nun nicht allezeit den geradesten Weg. – Frau Knaut! der grüne Rock hängt ja hier vor der Nase! der ist ja gut genug! – Aber nein, lieber langt sie über den ganzen Kleiderschrank hin und holt den braunen; und warum denn? – Je, wer wird denn heute einen grünen Rock anziehn?

      Geradeso und nicht anders kam die Frau Knaut dazu, daß sie, um sich die Zeitvertreibe ihres Sohns zu erklären, die Natur herholte. – Je, wer wird ihm denn die Lust dazu gegeben haben außer der Natur? – Die gute Großmutter Natur! Was für wunderliches Zeug werden die Menschen nicht endlich ihren alten Schultern zu tragen geben! Die Menschen begehen Torheiten über Torheiten, und wie die Schulknaben, wenn der Präzeptor fragt: wer hat's getan? – einer wälzt die Schuld auf den andern, bis sie zuletzt auf einem armen, unschuldigen Abwesenden liegenbleibt –, so lassen wir die Natur die Schuld aller unsrer Fehltritte tragen, weil sie sich nicht so gut verantworten kann als wir.

      Eudox küßt alle Mädchen, greift ihnen an das Knie, und wenn sich gar eine von seinen kleinen Händen in einen Busen hineinstehlen kann, so grinst der kleine Bube wie ein Tiger vor Freuden. – Ein schnakischer Junge! sagt die Frau Mutter. Ja, wie doch die Natur ihre Gaben wunderlich austeilt! Eudoxen trägt sein Naturell dahin, sich bei dem Frauenzimmer beliebt zu machen. Er wird einmal in Assembleen und auf Bällen ein unentbehrlicher Mensch werden. Hingegen Friedrich – ist ein stiller, gesitteter Knabe, fleißig, ordentlich, zwar etwas schläfrig. – O unerträglich! Weiter kann er nichts tun als studieren und einmal ein Amt zu bekommen suchen, wo er seine Person nicht sehr zu zeigen braucht. Soviel Ehre wird er unserm Hause nicht machen als Eudox; er hat nun einmal das Naturell nicht dazu.

      Heißt das etwas anders, als die Natur machte Eudoxen zu einem Gecken und Friedrichen zu einem klugen Manne? – Aber wenn hatte denn die Natur ihr geheimes Tagebuch verloren? und wenn haben es denn Ihre Gnaden gefunden? – Denn anderswoher konnten Sie wohl diese Absichten der Natur nicht so entscheidend vorzutragen wissen. Würde Eudox wohl auf den Einfall gekommen sein, wie ein kleiner Habicht auf den Busen und den Schoß der Mädchen loszuschießen, wenn er nicht seinen würdigen Herrn Vater soviel galante Komödien hätte spielen sehn, so viele galante Unternehmungen seines vergangnen Lebens hätte erzählen hören? Konnten bei Eudoxen nach einem solchen Beispiele, mit einer solchen Anlage zum Witz und bei dem täglichen Anhören verliebter