Ich stehe wie vom Donner gerührt, ich kann im ersten Augenblick kein Wort über die Lippen bringen. ›Dies kann kein Ernst sein‹, denke ich fieberhaft. ›Sie wollen dich nur schrecken. Mordversuch an Magda …?‹ Endlich kann ich sprechen, ich sage mit zitternder Stimme: »Mordversuch an meiner Frau, das ist doch lächerlich! Ich habe Magda doch nie ermorden wollen!«
Der Herr Staatsanwalt sieht mich vernichtend an und stößt scharf hervor: »Wir werden Ihnen schon beibringen, wie lächerlich das ist, Sommer!« Und: »Kommen Sie, Herr Doktor!« Noch einmal zu dem städtischen Wachtmeister: »Sie wissen also Bescheid, Wachtmeister. Führen Sie den Mann ab!«
»Herr Dr. Mansfeld!«, rufe ich aufgeregt, maßlos verzweifelt hinter den Fortgehenden drein. »Herr Dr. Mansfeld, Sie wissen doch, wie sehr ich Magda geliebt …«
Die Tür schlägt hinter den beiden Zivilisten zu, ich bin mit den beiden Uniformierten allein. Fassungslos hocke ich mich auf meinen Strohsack und verberge das Gesicht in den Händen.
27
Nachdem ich eine Weile bewegungslos so dagesessen hatte und immer wieder die gegen mich erhobene Anklage »Mordversuch an der eigenen Frau« qualvoll hin und her gewälzt hatte, legte der Wachtmeister aus meiner Vaterstadt, Herr Schulze, seine Hand auf meine Schulter und sagte, milde mahnend: »Wir müssen jetzt gehen, Sommer!«
»Sommer«, wie mich das anrührte, dieses einfache »Sommer« ohne »Herr«; so von einem ganz einfachen Mann mit einem Jahreseinkommen von kaum mehr als zweitausendvierhundert Mark angeredet zu werden, das machte mir die Veränderung meiner Lebensumstände aufs Deutlichste begreiflich. Seit ich aus der Lehre entlassen worden war, hatte mich noch kein Mensch ohne »Herr« angeredet, und nun … Ich nahm die Hände vom Gesicht und fragte, mit Tränen in den Augen: »Wohin bringen Sie mich, Herr Schulze?«
Ich betonte das »Herr«, aber er achtete nicht darauf, solch einfacher Mann hatte für so feine Schattierungen wohl kein Gefühl. »Nur zum Amtsgericht, Sommer«, sagte er. »Nur zum Amtsgericht.« Und er fuhr fort: »Sehen Sie, Sommer, Sie sind doch ein gebildeter Mann, Sie werden mir doch keine Schwierigkeiten machen? Ich müsste Sie wohl eigentlich an die Kette nehmen, aber wenn Sie mir versprechen, keine Schwierigkeiten zu machen …«
»Ich verspreche es Ihnen, Herr Schulze«, sagte ich eifrig und jetzt fast fröhlich. »Ich verspreche es Ihnen auf Ehre und Gewissen.«
»Schön«, antwortete er. »Ich will mich auf Sie verlassen. Ziehen Sie Ihren Mantel an, da liegt noch Ihr Hut, sonst haben Sie nichts? Also kommen Sie!«
Er ging mit mir aus der Zelle, wir stiegen eine Treppe hinunter und standen auf der Dorfstraße. Ich war erst ein paar Stunden in dem halbdunklen Gefängnis gewesen, und doch überwältigten mich schon Weite und Helle ringsum. Mein Herz klopfte schneller bei diesem Gruß der Freiheit.
›Wenn du jetzt‹, dachte ich schnell, ›über den Zaun dort springen und durch den buschigen Garten laufen würdest, über die Wiesen in den Wald hinein – ob Schulze sich wohl sehr viel Mühe geben würde, dich wieder einzufangen? Ob er gar hinter dir herschießen würde wie hinter einem richtigen Verbrecher? Ach nein‹, dachte ich mit einem schwachen Lächeln, ›das würde er nie tun. Wir haben doch öfter Skat miteinander gespielt, und er weiß, wer ich bin und was ich vorstelle. Aber ich will ihm ja gar nicht weglaufen‹, dachte ich schnell. ›Ich habe ihm versprochen, keine Schwierigkeiten zu machen, und ich bin ein Mann von Wort. Aber etwas anderes will ich von ihm …‹ Als Schulze vorhin davon gesprochen hatte, dass er mich zum Amtsgericht bringen müsste, war diese Möglichkeit hoffnungsvoll vor mir aufgetaucht. »Herr Schulze«, sagte ich sehr höflich, »ich habe eine Bitte an Sie …«
»Nun, was ist denn noch, Sommer?«, fragte er. »Gehe ich zu schnell? Wir können ruhig auch langsamer gehen, der Zug fährt erst in zwanzig Minuten.«
»Sehen Sie, Herr Schulze«, fing ich an. »Ich habe so furchtbare Zahnschmerzen, und da drüben sehe ich gerade einen Gasthof. Darf ich nicht schnell einmal hineingehen und einen Kognak oder Rum trinken? Das hilft mir sofort gegen die Zahnschmerzen. Sie können«, fuhr ich schnell fort, »ruhig neben mir an der Theke stehen, wenn Sie Angst haben, ich laufe Ihnen fort. Ich laufe Ihnen bestimmt nicht fort, es ist nur wegen meiner grässlichen Zahnschmerzen.«
»Das schlagen Sie sich nur ruhig aus dem Kopf!«, sagte der Wachtmeister bestimmt. »Da müsste ich ja wohl meinen Rock ausziehen, wenn bekannt würde, ich habe mit einem Gefangenen Schnaps an der Theke getrunken. Daraus wird nichts, Sommer.«
»Aber es kennt mich hier doch kein Mensch, Herr Schulze«, rief ich bittend. »Es kommt bestimmt nie heraus!«
»Da!«, rief der Wachtmeister und legte grüßend die Hand an den Tschako. Das Auto des Arztes, in dem neben Dr. Mansfeld der Staatsanwalt saß, war an uns vorübergefahren. »Wenn die beiden uns hätten in den Gasthof reingehen sehen, ich wäre schon ›drin‹ gewesen! Also, kommen Sie jetzt weiter, Sommer.«
»Herr Schulze«, sagte ich flehend und ging keinen Schritt von diesem Platz am Gasthof, meiner letzten Chance. »Nun ist aber wirklich kein Einziger mehr hier, der mich kennt. Tun Sie mir doch den Gefallen! Nur ein einziger Schnaps! Ich will meiner Frau auch sagen, sie soll Ihnen hundert Mark …«
»Nun wird es mir aber doch zu bunt!«, schrie der Wachtmeister und war rot vor Zorn. »Sind Sie denn ganz verrückt geworden, Sommer? Das ist ja eine Beamtenbestechung, die Sie da versucht haben! Das müsste ich ja eigentlich auf der Stelle anzeigen! Sofort kommen Sie jetzt mit, oder ich nehme Sie an die Kette!«
Völlig verschüchtert, gänzlich niedergeschmettert, der letzten Hoffnung beraubt, folgte ich dem aufgebrachten Herrn Schulze. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinanderher, er ärgerlich vor sich hin murmelnd, ich mit gesenktem Kopf und schleppenden Gliedern.
Dann sagte der Wachtmeister ruhiger: »Ich verstehe Sie nicht, Sommer. Sie waren sonst doch ein ganz ordentlicher, solider Mann, und nun machen Sie solche Zicken! Haben Sie denn noch immer nicht genug von der ollen Sauferei? Hat Sie die nicht schon weit genug ins Unglück gestürzt? Jedenfalls will ich Ihre Lage nicht noch schlimmer machen, als sie schon ist. Ich habe nichts gehört. Aber nun seien Sie auch ein Kerl, Sommer, und reißen Sie sich zusammen. In ein paar Tagen sind Sie aus dem Keller raus und haben wieder einen klaren Kopf, und dass Sie den gewaltig brauchen werden, das müssten Sie nach den Worten des Herrn Staatsanwaltes doch eigentlich wissen!«
Ich hörte