Ich stand ganz still, rührte mich nicht, wie ein ertappter Einbrecher.
»Wollen Sie wohl machen, dass Sie fortkommen!«, rief es wieder von oben ärgerlich. »Ich seh Sie ja da ganz deutlich stehen! Hier wird nichts mehr ausgeschenkt, hier ist geschlossen!« Damit flog das Fenster oben wieder zu, und ich stand allein im Dunkeln, noch immer ausgeschlossen.
Eine Weile verharrte ich bewegungslos, dann schlich ich auf Zehenspitzen zurück in den Hintergarten und fing leise an, meine Habseligkeiten vom Schuppendach fort- und vorne zum Eingang hinzutragen, wo ich sie wieder pedantisch ordentlich auf einem Eisentisch aufbaute. (Dass ich bei dieser Beschäftigung nicht das Trinken vergaß, versteht sich von selbst.) Kaum hatte ich dieses Werk, das wegen meiner Zerfahrenheit und meines unsicheren Ganges viel Zeit beanspruchte, vollendet, fing ich wieder mein idiotisches Spiel mit Schlüsselbund und Schlüsselloch an.
Ich hatte noch nicht lange gearbeitet, so flog oben mit einem Krach wieder das Fenster auf, und die Frauenstimme rief jetzt sehr zornig: »Das wird mir jetzt aber doch zu bunt. Wollen Sie jetzt machen, dass Sie wegkommen? Oder soll ich die Polizei holen?!«
Das Wort »Polizei« löste meine schwer gewordene Zunge. »Ach bitte«, rief ich verwirrt nach oben, »wollen Sie mich denn nicht hereinlassen? Ich bin nämlich der Professor …!« Wie ich dazu kam, mir den Titel »Professor« beizulegen, ahne ich nicht, es war eine höhere Eingebung.
»Der Professor …?«, fragte es von oben im Tone höchsten Erstaunens. »Welcher Professor denn? Der hier vorigen Sommer Bilder gemalt hat?«
»Ja, natürlich«, sagte ich im selbstverständlichsten Tone von der Welt, als sei es ganz normal, dass ein bildermalender Professor zur Nachtzeit fremde Türen mit seinen Schlüsseln aufschließen will. »Lassen Sie mich doch rein! Ich stehe hier schon zwei Stunden!«
»Hätten Sie doch eine Postkarte geschrieben, Herr Professor!«, sagte die Stimme von oben, noch nicht gerade sehr freundlich, aber doch milder. »Warten Sie einen Augenblick, ich schließe Ihnen dann gleich auf.«
Erleichtert setzte ich mich auf einen Eisenstuhl, trank schnell noch einmal und schloss dann die Augen. Ich war sehr müde, fast betäubt, und doch ahnte ich, dass hinter dieser Ruhe in mir etwas Gefährliches steckte: ein wilder unbändiger Zorn, der jeden Augenblick hervorbrechen konnte. Es fehlte nur der Anlass, und Anlass konnte eigentlich alles sein. Dieses Zwetschgenwasser war viel gefährlicher als der vergleichsweise harmlose Korn, es ging tiefer ins Blut, führte zu ungeahnten Abgründen.
Schließlich drehte sich der Schlüssel in der Tür, ein Lichtschein fiel heraus zu mir. »Na, dann kommen Sie man rein«, sagte die Frauenstimme. »Aber nett ist das nicht, Herr Professor, dass Sie uns so die Nachtruhe stören.«
Ich stand auf und folgte meiner Führerin in die Gaststube, die jetzt im Schein nur einer Glühbirne mit den auf die Tische gestellten Stühlen höchst unwirtlich aussah. Meine Begleiterin drehte sich jetzt nach mir um, es war die weißhaarige Wirtin, die ich schon einmal einen Augenblick gesehen hatte.
Sie musterte mich erstaunt. »Aber Sie sind ja gar nicht der Professor!«, rief sie ärgerlich. »Sie sind ja der Herr, der neulich hier die große Zecherei gemacht hat und den der Kreisarzt weggeholt hat. Das ist doch eine Unverschämtheit, mir hier vorzulügen …« Sie verstummte unter meinem drohenden Blick.
Ich fühlte eine ungeheure Wut in mir. Ich wusste, ich würde jeden Widerstand brechen, der sich mir jetzt noch entgegenstellte; ich war imstande, das wusste ich, diese Frau zu schlagen, zu Boden zu werfen, zu töten gar, wenn ich es für notwendig befand, wenn es der Teufel in mir für notwendig hielt. Ich sah diese Frau an und befahl: »Rufen Sie Elinor!« Und als sie eine Bewegung des Widerspruchs machte: »Auf der Stelle rufen Sie Elinor, oder«, meine Stimme wurde leise und drohend, »es passiert was!«
Die Frau machte eine hilflose Gebärde und sagte dann rasch und bittend: »Mein Herr, machen Sie mir doch keine Schwierigkeiten. Es ist jetzt Nacht, und das Mädchen schläft. Ich will Ihnen hier gerne auf dem Sofa ein Bett zurechtmachen. Sehen Sie, jetzt haben Sie einen kleinen Rausch.« Sie versuchte zu lächeln, aber es war Angst in ihrem Lächeln, ich erkannte es wohl. »Schlafen Sie Ihren Rausch aus, und morgen soll Elinor so viel mit Ihnen zusammen sein, wie Sie nur wollen. Sie sind doch ein gebildeter Mann, mein Herr!«
»Sie rufen das Mädchen!«, sagte ich hartnäckig, und als sie wieder dagegenreden wollte: »Nun gut, dann gehe ich selbst zu ihr hinauf!« Ich schob die Wirtin beiseite.
»Ich werde die Elinor rufen«, sagte die Wirtin rasch. »Bitte setzen Sie sich einen Augenblick dort in das Sofa, Elinor wird sofort kommen.«
»Halt!«, rief ich, als die Wirtin treppauf gehen wollte. »Sie rufen von hier unten, Sie verlassen diese Gaststube nicht. Wer diese Stube verlässt, wird erschossen!« Ich griff in die Tasche, als hätte ich eine Schusswaffe bei mir.
Die Wirtin kreischte leise auf.
»Sie wissen Bescheid«, sagte ich finster. »Also jetzt rufen Sie!«
Die Wirtin rief, sie musste viele Male rufen, ehe Antwort von oben kam, Elinor hatte einen festen Schlaf. »Sollst runterkommen, Elinor!«, rief die Wirtin. »Mach ein bisschen schnell, du!«
»So«, sagte ich mit der Miene eines Untersuchungsrichters, »und nun eine Frage: Haben Sie Schwarzwälder Zwetschgenwasser?«
»Das nicht«, sagte die Wirtin, und als sie meine zornige Miene sah, »aber ich habe ein Kirschwasser, das noch besser ist.«
»Besser als Zwetschgenwasser ist nichts«, erwiderte ich, »aber bringen Sie immerhin Ihren Kirsch.«
Sie brachte ihn; Flasche und Glas zitterten in ihrer Hand.
»So«, sagte ich und trank. Meine Stimmung hellte sich auf; dies war wirklich beinahe noch besser. »So, und nun setzen Sie sich dorthin und sagen Sie mir, wer außer Ihnen noch hier im Haus ist.«
»Nur die Elinor, wirklich, außer mir nur die Elinor!«
»Sie lügen!«, rief ich wütend. »Lassen Sie sich nicht einfallen, mich noch einmal anzulügen, oder es passiert was.« Und wieder griff ich in meine Tasche.
Die Wirtin kreischte wieder leise.
»Ich habe«, fuhr ich unerbittlich fort, »das letzte Mal hier noch ein Mädchen gesehen, mit Zottelhaaren und einer