Im Schalterraum waren, wie mich ein Blick belehrte, zu dieser Zeit direkt nach Öffnung erst ein paar belanglose Bürojünglinge und -mädchen, mit Papieren in den Händen. Ich setzte den Koffer ab, hängte meinen Hut an den Haken und ging zu dem noch freien Schalter, an dem der Buchhalter saß, der mein Konto führte. Ich sagte ihm lächelnd »Guten Morgen«, teilte mit, dass ich eben von einer längeren Reise zurückgekehrt sei (wobei ich auf meinen Koffer an der Tür deutete) und dass ich mich gerne über den Stand meines Kontokorrent-Guthabens unterrichtet hätte. Und während ich das alles leichthin, ohne jedes Stocken sagte, prüfte ich, innerlich zitternd, sein Gesicht, suchte nach irgendeinem Anzeichen von Misstrauen, Argwohn, Zweifel.
Aber nichts von alledem war dem jungen Menschen anzusehen, willig schlug er das Buch auf, rechnete einen Augenblick mit dem Bleistift einige Zahlen zusammen und sagte dann ganz gleichgültig, dass der Stand meines Guthabens sich augenblicklich auf Siebentausendachthundert und einige Mark und Pfennige belaufe.
Kaum konnte ich eine Gebärde freudiger Überraschung verbergen. So viel hatte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Wie Magda das fertiggebracht hatte, war mir einigermaßen rätselhaft; wahrscheinlich war bereits die Zahlung der Gefängnisverwaltung für geliefertes Tauwerk eingegangen, aber auch sie konnte nicht annähernd so viel ausmachen. Nun, jedenfalls war, sagte ich mir, meine freudige Erregung unterdrückend, Geld genug da, genug für das Geschäft und genug vor allem für mich und meine Pläne. Einen Augenblick kämpfte ich mit der Versuchung, den ganzen Betrag abzuheben. Aber ich bezwang mich. Ich wollte doch nicht gemein gegen Magda und das Geschäft handeln, so gemein sie sich auch gegen mich benommen hatte. Außerdem wäre eine so vollständige Entnahme, die einer Auflösung meines Kontos gleichsah, doch wohl auffällig gewesen.
All das war blitzschnell durch meinen Kopf gegangen, nun sagte ich fast beiläufig, dass ich heute eine größere Zahlung zu leisten habe, und bat um Tinte und Feder. Am Schalter stehenbleibend, schrieb ich in dem Scheckbuch, das ich aus meiner Tasche gezogen, einen Überbringerscheck auf fünftausend Mark aus und reichte ihn dem Buchhalter. Mit einem letzten Rest von Furcht prüfte ich wieder sein Gesicht, aber ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, machte er die nötigen Buchungen, stempelte den Scheck und brachte ihn persönlich zum Kassenschalter. Auch ich ging dorthin.
Ein Gefühl unendlicher Freude, ein stolzer Triumph beseligte mich. Da hatte ich Magda bildschön hereingelegt! Dass sie so dumm gewesen war, dass sie der Bank nicht einen kleinen Wink gegeben hatte, das ließ erst meine grenzenlose Überlegenheit im rechten Lichte erscheinen. Ich hätte tanzen und schreien mögen vor Freude, nur mit Mühe bezwang ich eine Art Lachkrampf, der mich ankam.
»Wie möchten Sie das Geld, Herr Sommer?«, fragte der Kassierer mich.
»Groß, groß«, sagte ich eilig. »Das heißt in Fünfzig- und Hundertmarkscheinen. Etwa zweihundert Mark dann in kleineren Scheinen.«
In zwei Minuten hatte ich mein Geld, verwahrte es sorgfältig in meiner Brusttasche, nahm den Koffer und trat als stolzer Sieger wieder auf den Marktplatz. Gerade während ich durch die Drehtür ging, kam mir der Einfall, dass dieser Triumph unbedingt gefeiert werden müsste. Ich wollte trotz der frühen Morgenstunde in eine kleine Weinstube am Marktplatz gehen und dort zu einer oder zwei Flaschen Burgunder einen Hummer essen oder Austern oder was Rohloff eben der Jahreszeit entsprechend dahatte. Ich trete aus der Tür, und vor mir steht der unvermeidliche, der widerliche Polakowski, diese Pest meines Lebens, und sieht mich schleimig lächelnd an.
20
Wenn es nicht der offene Marktplatz gewesen wäre, ich hätte diesen Kerl erwürgt! So sah ich ihn nur einen Augenblick finster drohend an, fasste dann meinen Koffer fester und schlug, ohne ihn zu beachten, den Weg zum Bahnhof ein. Aber ich hörte wohl, dass er hinter mir herging, und nun vernahm ich auch schon seine verhasste schmeichelnde und flüsternde Stimme: »Lassen Sie mich doch den Koffer tragen, Herr! – Bitte, lassen Sie mich doch den Koffer tragen, Herr!«
Ich tat, als habe ich ihn nicht gehört, und schritt schneller aus. Aber plötzlich fühlte ich eine Hand neben der meinen am Koffergriff, und nun hatte schon am hellen Tage auf offener Straße Polakowski mir den Koffer aus der Hand genommen! Wütend drehte ich mich um und schrie: »Wollen Sie mir auf der Stelle den Koffer wiedergeben, Polakowski!!«
Er lächelte demütig. »Nicht so laut, Herr«, bat er flüsternd. »Die Leute gucken ja schon, das ist für Sie peinlich, Herr. Nicht für einen armen Arbeiter, wie ich es bin, aber für Sie, Herr …«
»Sie werden mir sofort den Koffer zurückgeben, Polakowski«, wiederholte ich, aber leiser, denn die Leute guckten wirklich schon.
»Nachher, nachher«, sagte er beruhigend. »Ich trage ihn gerne, Herr. Zur Bahn, nicht wahr?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, ging er an mir vorbei und jetzt mir voraus, dem Bahnhof zu.
Mit einem Gefühl hilfloser Ohnmacht folgte ich ihm. Mit einem Hass sah ich auf die leicht vornübergebeugte Gestalt in einem dunkelblauen Jackett und auf das schlicht zurückgekämmte, leicht goldige Haar, das einen rötlich goldenen Schimmer hatte. Wie einem Mörder direkt vor seiner Tat zumute ist, das weiß ich seit jenen Minuten, die ich hinter Polakowski zum Bahnhof gegangen bin. Und ich konnte ihm nichts tun, gar nichts, er war stärker als ich, sowohl physisch wie moralisch. Er brauchte nur den nächsten Polizisten anzurufen, und ich war verloren, das ahnte er gut, der Schurke.
Wäre ich in jenen Minuten ein wenig kaltblütiger und überlegter gewesen, ich hätte Polakowski ruhig im Besitz meines Koffers gelassen und hätte mich leise in eine Seitenstraße verdrückt. Im Besitz einer so großen Geldsumme, wie ich sie in der Tasche hatte, war der Verlust des Koffers schon zu verschmerzen, er war das Lösegeld, durch das ich mich von diesem elenden Kerl freikaufte. Aber ich kam gar nicht auf diesen Gedanken, mein Blut kochte, es war nicht kalt, ich konnte nicht überlegen.
Auf dem Platz vor dem Bahnhof angekommen, ging Polakowski nicht in ihn hinein, sondern, ohne sich nach mir umzusehen, sicher, dass ich ihm wie ein Hündlein folgen würde, in die Bedürfnisanstalt, die linker Hand, etwas von Büschen versteckt, daliegt. In ihr angekommen, setzte er den Koffer nieder, zog an den Fingern, dass die Knöchel knackten, und sagte: »So, Herr, hier können wir