Автор: | Wilhelm Raabe |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9783962816056 |
wohl kaum etwas gespürt haben mögt. Es war, als ob der Welt nach den politischen Aufregungen der jüngstvergangenen Jahre das Deckbett für einen gesunden Schlaf von einem halben Säkulum aufgelegt werden sollte. Acht Tage hindurch währte der Spaß, und das ist dann die rechte Zeit für unsereinen, welcher der Menschheit die Wege offenhalten soll und selber nicht durchkann. Herrgott, und nachher will einen die Tante Schnödler und die Cousine Mauser und die ganze übrige Verwandtschaft an seiner roten Nase zupfen und die eigene rümpfen! Tag und Nacht bis an den Hals im Schnee oder im Wasser – Tag und Nacht keine Ruhe – Herr Inspektor vorn, Herr Inspektor hinten – von der hohen vorgesetzten Behörde Tritte, Knüffe und Püffe, dass einem der Kopf summt und man seine Seele mit Vergnügen auf dem ersten besten trockenen Bund Stroh ausächzen möchte. Na, du hast ja auch mancherlei erlebt, Leonhard, und wirst dir eine Vorstellung davon machen können! – Bei so bewandten Umständen rief mich nun damals meine Amtspflicht auch in das Eichental hinter Fliegenhausen, wo die Poststraße durch die Schneemassen vollständig verschüttet war und die Bauernschaft mit Aufbietung aller Kräfte den ganzen Tag über an der Aufräumung derselben gearbeitet, aber für jede Schaufel voll, die sie zur Seite warf, drei Scheffel voll über die Köpfe bekommen hatte. Der Wind wurde mit zunehmender Dämmerung immer boshafter und tat nach bestem Vermögen das Seinige, um unsere Mühen vergeblich zu machen; es konnte in der Tat keine bessere Gelegenheit geben, eine angenehme Bekanntschaft zu machen, und so ließ mich denn auch der Himmel die Madam Klaudine auf meiner Chaussee finden. Trotz allen Hindernissen und Schrecken des Wetters hatte eine von der Residenz kommende Extrapost sich Bahn gebrochen bis zum Eingang des Fliegenhäuser Tales, wo sie denn aber doch endlich steckenblieb. Ein junger, stattlicher, sehr aufgeregter Mann – ein Offizier in Zivilkleidung, arbeitete sich durch die Schneewehen, um uns zu Hilfe zu rufen. Ich hielt ihn im Anfang für betrunken, er war’s aber nicht, und ich erfuhr bald, dass er Grund zu seiner Aufregung hatte. Sein Kutscher war ohne allen weiteren Zweifel betrunken, eines der Pferde zusammengebrochen und der Wagen selbst so tief versunken, dass er kaum noch aufzufinden war. Die Dame im Wagen lag ohnmächtig – im Fieber – dem Tode nahe; und mit gerungenen Händen schrie mir der junge Herr zu: ›Es ist meine Mutter! Helfen Sie mir, o helfen Sie uns! Es ist meine Mutter, welche stirbt; wo können wir sie, wenn auch nur für einige Stunden, unter Dach bringen?‹ – Ganz Fliegenhausen stand nunmehr im Kreise um den versunkenen Wagen und kratzte sich hinter den Ohren, und mir für mein Teil erschien die Geschichte kurios und verwunderlich genug. Die Leute sahen anständig und vornehm aus; aber auf den ersten Blick musste man erkennen, dass der Unfall und das arge Wetter sie nicht allein bedrängten. Sie erschienen wie Menschen, die von einem plötzlich ausbrechenden Feuer aus dem Schlafe aufgeschreckt und aus ihrem brennenden Hause gejagt wurden; eine wilde, hastige und doch stumpfsinnige Verzweiflung sprach aus jedem Wort, jeder Gebärde des jungen Mannes, und der stupideste meiner Arbeiter und Bauern wich betroffen vor seiner krankhaften Heftigkeit zurück. An einem solchen ärgerlichen, mühevollen Tage hat man jedoch genug zu tun, wenn man auf das Nächste und Nötigste achtet und, wenigstens für den Augenblick, zur Seite liegenlässt, was einen für den Augenblick nichts angeht. Das nächste Obdach bot die Katzenmühle, und dorthin brachten wir, nicht ohne Anstrengung, die erschöpfte Frau. Wir hatten lange zu pochen und zu klopfen, ehe man uns die Tür öffnete; die beiden Alten waren nicht in der Stimmung, barmherzig und milde gegen die Welt zu sein, und man konnte es ihnen auch kaum verdenken. Das Elend suchte bei dem Elend Schutz, und das ist immer und allewege ein ander Ding, als wenn das Glück mit Lachen das Glück zum Tanz auffordert. Die Müllerin war natürlich noch widerborstiger und grimmiger als der Müller und wehrte sich am längsten gegen unser Eindringen in ihren dunkeln Jammerwinkel. Endlich wich auch sie halb der Gewalt, halb der Überredung und verkroch sich grollend zu ihrem Mann hinter den Ofen. Wir legten die kranke Dame auf ihrem Bette nieder und konnten nunmehr kaum noch etwas für sie tun. Ich versprach, wo möglich den Arzt von Nippenburg herüberzuschicken, aber die Kranke wies, ebenfalls mit großer Heftigkeit, diesen Dienst zurück. So nahm ich denn Abschied und zog mich mit meinen Bauern und Straßenknechten nach Fliegenhausen zurück. Wir waren gleich einem geschlagenen Heer; der Sturm und der Schnee hatten das Feld siegreich behauptet; den Wagen der Fremden mussten wir lassen, wo wir ihn gefunden hatten, und froh sein, dass wir noch die Gäule und den Kutscher retteten. Wenn ich den festen Entschluss hatte, schon am folgenden Tage die Katzenmühle wieder zu besuchen, so lag es nicht an mir, wenn ich ihn nicht zur Ausführung brachte. Ich hatte mir aus dem Schnee der letzten Tage ebenfalls ein Fieber geholt, welches mich unsern Herrgott in seinem Zorn erkennen ließ, mich in einem Federbett halb erstickte und halb mich in Strömen von Kamillentee ersäufte. Erst nach Wochen ritt ich wieder durch Fliegenhausen und dachte dann zum ersten Mal wieder an jene Begegnung im Unwetter, welche ich dir beschrieb. Der Schnee war jetzt längst zu Wasser geworden, und der Frühling regte sich schon überall in den Büschen und unter den Büschen. Mir war recht wohl zumute, und in solcher sehr glücklichen und leichtherzigen Gemütsstimmung trabte ich denn auch zur Katzenmühle und rief mit lautem Hallo nach dem Müller, um mich nach seinen Gästen und ihren fernern Schicksalen in seiner Behausung zu erkundigen. Der Mensch soll aber ja nicht meinen, dass die Welt auf ihn wartet, während er, mit über die Ohren gezogener Nachtmütze im Bett liegend, schwitzt und Tee trinkt. Die Katzenmühle fand ich noch vor, aber den Katzenmüller und die Katzenmüllerin nicht mehr; sie waren abgezogen nach Amerika, und an ihrer Stelle saß die Madam Klaudine in der Katzenmühle, und die Madam Klaudine war jene ohnmächtige Dame, welche ich mit Hilfe der Fliegenhäuser Bauernschaft aus dem Schnee aufgrub. Eine Magd wies mich zuerst von der Tür fort, wie uns an jenem stürmischen Abend der Müller abgewiesen hatte. Der Herr Leutnant sei in die Fremde gegangen und Madam Klaudine sei unwohl und nicht zu sprechen, hieß es. Der Vetter Wassertreter aber hat sich nicht umsonst dem Wegebau gewidmet, er fand seinen Weg zu der geheimnisvollen Frau, und nicht zu ihrem Schaden; denn die frommen Hirten und biedern Ackerbebauer der Gemeinde Fliegenhausen machten ihr bereits das Leben sauer genug. Ich fand häufig Gelegenheit, mich der Frau nützlich zu machen und ihre Ruhe und Behaglichkeit gegen die Nachbarschaft, der das ›Wesen‹ gar nicht gefiel, in Schutz zu nehmen. Dass ich etwas Vertrauenerweckendes in und an mir habe, hat die Base Klementine mir noch nie abgestritten, und so bin ich denn im Laufe der Jahre ein guter Freund der Madam Klaudine geworden, und wir wissen, was wir aneinander haben. Sie sitzt still in einem großen Schmerze und würde ihr Geschick gewiss gern um deine Gefangenschaft zu Abu Telfan vertauscht haben; aber ihr Leid ist ebenfalls nicht neu, ihre Historie ist sowenig zum ersten Mal auf Erden passiert wie die der schönen Müllerin. Diese