»Sehn Sie, meine Herre?!«
Das einundzwanzigste Kapitel.
Sie hatten es gesehen und gehört. Der Engländer sagte vor Erstaunen gar nichts; aber der Lammwirt gab viel weniger seinem Erstaunen als einem gewissen Unmut Ausdruck, indem er brummte:
»Was hätt’s denn au gemacht, wann sie mir no a Paar Fenschter demoliert hätte? ’s wär do in der Kundschaft gebliebe, und s’ hätten’s morge schon hitzig g’nug bei mir abgesoffa, – Sakerment!«
Und damit drehte er sich kurz um und ging in das Haus, während der Exstiftler an den Baronet sich wendend, kleinlaut bemerkte:
»Recht hat er! Man kann sich auch zu sehr mäßigen. Das kommt davon, wenn man noch von Tübingen her zu gut Bescheid weiß. Aber die Damen! Die Damen! Sakerment, i möcht nur wisse, weshalb gerad sie immer d’ Lust des Daseins schtöre müsse?! Recht hat der Lammwirt g’wiss.«
In der Wirtsstube aber blickte Christabel gerade in diesem Moment, nachdem sie kurz vorher noch aus dem Fenster in die bewegte Finsternis hinausgesehen hatte, mit großen und ganz eigentümlich leuchtenden Augen erst auf die Balkendecke und sodann auf die Baronin von Rippgen und sprach, sich ganz in ihrem vorigen, herben und holdruhigen Selbst wieder und wieder zurecht findend:
»Lucy, das ist ein Mann! O Lucy, dear, dieses ist in der Tat ein Mann!«
Das war er; – nämlich ein Mann, und nicht nur das, sondern außerdem auch noch ein ganz sonderbarer Kerl, und als solcher wendete er sich von neuem zu seinem eben gefundenen englischen Freunde, dem Kapitän Sir Hugh Sliddery, und sagte:
»Lieber Mann, jetzt sind Sie so gütig und lassen sich gefälligst bei Lichte besehen.«
»Wha – what?« fragte der Engländer, und:
»Yes«, erwiderte Pechle. »Bei Lichte; denn nach dem was Sie mir vorhin mitgeteilt haben, wird das sehr notwendig sein. Seien Sie ganz ruhig, man kennt das, man ist auch seinerzeit aus manchem Wirtshaus herausgeworfen worden und weiß ziemlich genau, wie man nachher ausschaut. Die Damen! Die Damen! Herr von Schlidderich! Bedenken Sie die Damen!«
»Oh die Ladies! Ja, Sie sind recht, Sir!« rief der Kapitän und ließ sich durch das Gedränge in dem Hausflur unter die Lampe auf dem Hausflur ziehen. Kopfschüttelnd besah ihn Pechlin sich daselbst und nahm mit tiefstem Ernst wiederum das Wort:
»Ganz mein Ebenbild nach manchem heißen Kampfe! Herr, a priori und a posteriori schließe ich, dass unterwendig ein blaugefleckter Tiger gar nichts gegen Sie ist. Wisse Se, jetzt schtelle ich Sie dem Riekele vor, und das bringt Sie in unseren Schlafsaal und bringt Ihne frisches Wasser und a reines Handtuch. Ihre Reisescharteken werde ich währenddem im Ochsen und vor demselbigen zusammensuchen lassen, und dann kommen Sie gleich frisch und rosig herunter, ich stelle Sie, wie gesagt, den Damen vor und streiche Sie nach Kräften als Ritter und Menschen heraus. Na, es wird noch eine recht vergnügte Nacht, und Sie werden sehen, dass Ihr Schicksal Sie in bessere Hände gar nicht hätte fallen lassen können, Herr Hauptmann.«
»Oh well«, ächzte der Engländer, »das muerken ouich jetzt schon. Well, ouich uill mir verlassen auf Sie, und ouich uill mir waschen, und Sie werden mir vuorstellen die Ladies.«
»Natürlich! Marschieren Sie nur mit dem Riekele ab. Da, Mädele, leucht dem Herrn, zünd ihm d’ Stiege ’nauf. Auf Wiedersehen! Wisse Se, vielleicht bringe mer mit Gottes Hilfe und gnädigem Beistand auch noch meinen intimen Freund, den Baron dazu, dass er sich endlich einmal des Lebens freut. Ja, so wolle mer’s mache: Sie mache sich der Baronin interessant, und i werd mi zu Ihrer Landsmännin halte.«
»Lands – män – nin?« rief der Kapitän Sir Hugh Sliddery stutzig.
»Yes! Aber a Fräulein, a Miss, a a’g’nehme Miss!« antwortete Pechle enthusiastisch, drängte den zögernden Fremden mit dem Riekele gegen die Treppe, schickte einen Boten nach dem Ochsen, um die Reiseeffekten des Engländers, soweit sie noch nicht auf seinem oder anderer Leute Rücken zerschlagen waren, zu sammeln, und ins Lamm herüberzuschaffen, und begab sich sodann munter und heiter, seines guten Gewissens nach allen Richtungen hin sicher – – – zu den Damen! – – –
»Grüß Gott, meine Herrschaften!« sprach er freundlich beim Hereintreten.
»Da ist er!« stöhnte der Baron von Rippgen, in grundlosester Tiefe seines Ichs, soweit ihm dasselbe von seiner Frau noch gelassen war. Diese, seine Frau wendete sich auf ihrem Sitze ohne von dem Freunde ihres Gatten Notiz zu nehmen, und nur Christabel erwiderte den Gruß, indem sie Virginy mit zierlicher Energie von sich abschob und mit einem langen Blick auf den Exstiftler das Haupt neigte.
»Es ist mir lieb, dass ich die Herrschaften noch wach und außer Bett finde. Nicht wahr, die Damen haben sich nicht durch die harmlose Heiterkeit des Abends erschrecken lassen?! Das ist eben das Gewürz in der Suppe des Daseins, und nicht nur bei uns nennt man das so. Gnädige Frau, das kleine Abenteuer gehört sowohl der Form wie dem Inhalt nach gleichfalls zu einem Ausfluge nach dem Hohenstaufen; – o ja, noch schweben die Geister der Ahnen um den hehren Gipfel, und so lange das deutsche Volk existiert, wird es sich auch prügeln, nicht wahr, Ferdinand? Gnädiges Fräulein befinden sich hoffentlich wohl?«
»Ich danke, Sir«, sprach Miss Christabel Eddish, »ich empfinde mich wenigstens nun besser.« Und sie sprach das mit einem Tone und einem Gesichtsausdruck, die zwar noch mancherlei für Herrn Christoph Pechlin zu wünschen übrig ließen, aber doch sehr verschieden waren von ihrem Gebärdenspiel im Abendsonnenschein auf der Höhe des Staufenberges. Sie setzte ihre Freundin dadurch in Verwunderung, und noch mehr dadurch, dass sie noch einige Worte mehr für den – den – den »gar nicht aus–zu–denkenden Menschen« fand.
»Mr. Pichlin«, sagte sie, »Sie haben dem Mob imponiert, ich habe das vernommen vom Fenster, und wir, meine Freundin und ich, sind Ihnen sehr verbunden für