»Es ist unerträglich!« seufzte die Baronin, fügte hinzu: »Sehen wir nicht hin!« – und blickte zum Himmel empor, den Kampf mit den irdischen Mücken notgedrungen ohne Unterbrechung fortsetzend.
Christabel neigte das Haupt und lehnte sich von neuem an die zärtliche Freundin und wandte ebenfalls die Augen von der schlechten, gemeinen, verdrießlichen Erde ab und den Rosenwolken des Sonnenuntergangs zu. Beide Damen hatten die feste Absicht, sich nicht im mindesten um die zwei heransteigenden atembegabten Erdklöße männlichen Geschlechts zu kümmern, sie nicht anzusehen, ihnen den Rücken zu wenden, kurz, gar nicht für sie da zu sein. Es kam nur darauf an, ob die Freifrau Lucie von Rippgen oder die britische Jungfrau Miss Christabel Eddish diesem, der Stunde und der Stimmung so sehr angemessenen, echt weiblichen und idealischen Vorsatz zuerst untreu werde.
»Richtig, da sind sie, und zwar für jeden eine!« sagte Pechle, auf die zwei Sonnenschirme deutend. »Mit dem irdischen Jammertal scheinen sie fertig zu sein; aber den Speisezettel im Lamm haben sie sich doch herzählen lassen, ehe sie zu Berg stiegen. Ich habe es in der Küche in Erfahrung gebracht, als ich mich ebenfalls nach ihm umsah. Ach, ein himmlischer A–bend –«
Es ist zwar ein großer, längst nicht genug gewürdigter Vorzug des Menschengeschlechts, aufrechten Hauptes das Firmament betrachten zu können; allein lange hält es niemand aus, vorzüglich wenn er, um über die Erde wegzusehen, den Zenit ansieht.
In ein und demselben Moment wurden die beiden holden Schwärmerinnen des doch Schwindel erregenden Blickes ins Blaue müde und sahen geradeaus. Und die Baronin stieß natürlich einen Ruf aus, der mehr als Überraschung und weniger als Entzücken war, aber einem Durcheinander von Seelenregungen Ausdruck gab, welches die weiten Grenzen unserer Darstellungsgabe nach allen Richtungen hin zersprengend, durchbrechend und überflutend, sich – einfach Luft machte in den zwei Worten:
»Mein Mann!«
»Dein Mann?!« rief Miss Christabel Eddish mit aller Hast das Augenglas auf die Nase drückend, und – zwanzig Schritte abwärts am Hohenstaufenberge fasste der Baron Ferdinand von Rippgen, mit beiden Händen krampfig einkneifend, den Arm seines Begleiters, stand, riss den Exstiftler gleichfalls rückwärts, starrte aufwärts und sagte tonlos:
»Meine Frau!«…
»Was? Herrgott, deine Frau?« schrie Christoph Pechlin höchlichst verwundert, und setzte sofort äußerst gefasst, ruhig und gemütlich hinzu: »Richtig, sie ist es, und das Lange da neben ihr wird also wohl die andere sein!«
Die beiden Leonoren auf dem Gipfel des Berges rührten sich nicht weiter, nachdem sie gesehen hatten und ein Zweifel an der Wirklichkeit des Gesehenen nicht mehr möglich war. Sie standen wie angewurzelt, statuenhaft, im Abendsonnenglanz und überließen es den beiden Herren, näher zu kommen.
Und sie kamen näher; der Baron, da er nicht anders konnte, Pechle vergnügt wie ein Iltis auf dem Wege in den Hühnerstall.
»Was zögerst du denn? So geh doch! Freu di doch!« rief er, kräftig dem Freunde den Ellenbogen in die Seite setzend und zu gleicher Zeit als ein höflicher Mann den Hut lächelnd gegen die Damen lüftend.
»Ja, ja, Sechserle, wir sitzen drin«, flüsterte er im Voransteigen, »da ischt kei’ Zweifel, also – Mut! Courage! Manneskraft! Tu wenigstens, als ob dir ungemein leicht zumute sei, Rippgen! Lächle sie an und besiege, überwinde, stürze sie um durch heitere, fröhliche Unbefangenheit. Donnerwetter, die Engländerin ist gar so übel nicht! weiß Gott, das ischt ja a recht nettes, a ganz sauberes Mädle! Meine Damen, wir haben die Ehre – Grüß Gott, meine Damen.«
Sie waren oben, und da, wie gesagt, die beiden überraschten schönen Schwärmerinnen nicht zurückgewichen waren, so standen sie sich alle vier gegenüber, und das war unserer Meinung nach das merkwürdigste Zusammentreffen, welches der Hohenstaufengipfel je erlebt hatte!
Das zwölfte Kapitel.
Man hatte auf dem Berggipfel Platz zu allen gegenseitigen Vorstellungen. Sämtliche historischen Bauhindernisse schienen nur dieser gegenwärtigen großen Begegnung Raum gegeben zu haben, und – kein Hohenstaufenpaar, welches zwei zu Kreuze kriechende Rebellen-Gesandte von Mailand vor sich ließ, konnte sie kühler und zu gleicher Zeit im Innersten frohlockender empfangen, als Miss Christabel Eddish und die Baronin Lucie den Baron und den Freund des Barons, Herrn Christoph Pechle an sich herankommen ließen.
Dafür aber auch konnten wahrlich zwei um gutes Wetter bittende Abgeordnete der Stadt Mediolanum nicht vorsichtiger auftreten, und beim leisesten Fächerwehen und Stirnrunzeln scheuer und diplomatisch-bänglicher zurücktreten, als der Baron und sein Freund – ja auch sein Freund jetzt! – auf der Stelle, wo vielleicht vordem die Thronsessel des grimmigen Salzsäers Barbarossa und seiner kaiserlichen Hausehre standen.
O, die Reichsfreifrau Lucie von Rippgen verstand es gleichfalls, Salz auf eine Stelle zu säen, die sie vorher durch jegliches Hausmittelchen und Regierungsmittel gründlichst verheert hatte, und Miss Christabel sah auch an diesem Orte nicht aus, als ob sie es für ihren irdischen Beruf halte, bei derartigen Gelegenheiten als begütigende Vermittlerin einzutreten.
Pechle, selbst Pechle fühlte sich immer mehr eingeschüchtert, je mehr er sich den Damen näherte und je länger er, mit dem Hute in der Hand, vor ihnen stand. Verstohlene Seitenblicke, die immer länger wurden, warf er auf die britische Jungfrau, – Miss Christabel machte unbedingt einen Eindruck auf ihn und zwar einen tiefen. Eben noch hatte er sie ein »sauberes Mädle« genannt; dieses zierliche Wort nahm er sofort zurück, nachdem er die Totalität ihrer Erscheinung vollkommen in sich aufgenommen hatte.
»Sauber? Die ließ ich mir um die Hälfte wüschter als Hausfreundin gern gefallen! Das ischt a Pallas Athene, und der Rippgen ischt a Esel! Ein wenig voller wäre besser; aber zu voll ist auch nicht hübsch, – bei Gott, das Mädle muss Geischt haben, – bei den unsterblichen Göttern, sie imponiert mir, und was mir imponiert, das lass ich gerne gelten!« sagte er, jedoch nicht laut.
Dass die Baronin ihm nicht imponierte,