»Bei Baphomet! wird der imperatorische Fuchs jedes Mal gesagt haben, wenn er irgendwo in Apulien das Anstellungspatent seines hiesigen schwäbischen Hairle unterschrieb. Ich wüsste nicht, was er sonst gesagt haben könnte, Rippgen!« brummte Christoph Pechle im Bergaufsteigen.
Gründlicher als diese Staufenburg ist wohl nie ein Feudalsitz vom Erdboden weggefegt worden. Man hat auf dem Gipfel des Berges den schrankenlosesten Spielraum für Erinnerung, Gefühl und Einbildungskraft; denn er ist vollständig kahl. Und in unserem besondern Falle kann uns das nur im höchsten Grade angenehm sein, denn im höchsten Grade verdrießlich wäre es, wenn irgendein zertrümmertes Gemäuer von Palas, Wall oder Turm die Aussicht nach irgendeiner Seite hin hinderte. Aber die Aussicht ist frei nach allen Seiten, sowohl von oben den Kegel hinunter, wie von unten den Berg hinauf. Das wenige, kunstgärtnerisch angepflanzte Gebüsch hält sich bescheiden am Boden, und man braucht sich keineswegs auf die Zehen zu stellen, um über es weg den Hohenzollern, das Stammhaus jenes anderen freigeistigen zweiten Friedrichs zu erblicken.
Um diesen König und jenen Kaiser kümmerten sich die beiden, in diesem Augenblick in tiefer Einsamkeit auf dem Gipfel des Zuckerhutes stehenden Damen natürlich nicht. Ohne sich eingehend mit Philosophie der Geschichte zu befassen, standen sie aufeinandergestützt, wie die beiden Leonoren auf dem bekannten Düsseldorfer Bilde und fanden schon daran allein ihr seelisches Genügen; – doch daran nicht allein, wie wir sogleich aus ihrer Unterhaltung erfahren werden.
Sie standen, die eine schlank und die andere in etwas üppiger Beleibtheit, vor allem in der sicheren Gewissheit, dass die ganze Herrlichkeit der Hohenstaufen von Konrad bis zu Konradin ihnen und ihren Reizen Platz gemacht habe; und im letzten Grunde war dem auch so. Selbst die Abendsonne, welche glänzend auf der schönen Landschaft, über Tälern und Gebirgen lag, schien einzig und allein ihretwegen sich so holdselig gegen die Berge im Westen zu senken, und auch diese Meinung hatte ihre unumstößliche Berechtigung. Die goldene Sonne hielt es mit Vergnügen für ihre Ehrenpflicht, die beiden schönen Frauen auf dem romantischen Bergesgipfel vor allem übrigen zu verklären und sie in die rechte Beleuchtung zu stellen. Wie sie auch sonst dann und wann dem unbefangenen Betrachter erscheinen mochten, in diesem Moment und in diesem wundervollen Scheine repräsentierten sie doch das Wirkungsvollste in aller Nähe und Ferne und mussten jedem vom Dorfe her den Berg Erklimmenden als solches ins Auge fallen.
Weich schmiegte sich der Schatten der beiden Damen – nämlich der Freifrau Lucia von Rippgen und der englischen Miss Christabel Eddish an den weichen Grasteppich unter und zu ihren Füßen.
Sie waren es! Ja, sie waren es, die Baronin und Miss Christabel! Da waren sie, da standen sie im goldenen Abendsonnenschein auf dem Gipfel des Hohenstaufenberges und blickten hin auf das Herzogtum Schwaben: das englische Fräulein still und ziemlich unangefochten, die Baronin aber im heftigen Kampf mit den unendlichen Mückenschwärmen, welche sich vorzugsweise an sie, die deutsche Frau und Heldin hielten, sie immer näher und näher umtanzten und immer unverschämter ihren Reizen huldigten!
Die beiden Damen blickten augenblicklich nicht auf den nach dem Dorfe hinabführenden Fußweg, sondern, wie gesagt, auf die in abgestuftem Blau sich hindehnende Kette der Alb.
»Sieh, Teure, wie schön, wie herrlich, wie erhaben – o diese entsetzlichen Mücken!« rief die Baronin. »Welch ein Eden ist diese Welt – könnte diese Welt sein, ohne so vieles, vieles – diese Mücken sind unerträglich! was nicht hineinpassen will! Christabel, fassest du mich denn? Ja, ja, wir fühlen uns vollkommen eins in diesen unaussprechlichen Gefühlen! Schau doch jene Gebirge, wie sie uns hold lächelnd zuwinken! Erregen sie dir auch dieses süße, namenlose Heimweh nach einer noch bessern Welt – nach unserer Welt, unserer eigenen wirklichen, wahren Welt?«
»O yes, it is very fine, indeed!« seufzte die Engländerin, ohne ihr intensives Anstarren der Landschaft zu unterbrechen.
»Ach, diese Berge, diese herrlichen Berge«, fuhr die Baronin fort, mit dem duftenden Taschentuch den vergeblichen Kampf gegen die Scharen ihrer geflügelten Feinde fortsetzend, »diese herrlichen Berge, mit ihren lieblichen, von hier nur geahnten, idyllischen Tälern; welch einen tieferen, objektiveren, ruhigeren, wonnigeren Eindruck würden sie auf mein Herz machen, ohne die bedrückende Vorstellung, dass augenblicklich jene beiden herzlosen, seelenlosen Menschen auf und in ihnen umherschweifen! Ich weiß es ja, Christabel, du siehst alles nicht nur mit meinen Augen, sondern auch mit meiner Seele; aber es ist doch – mein Mann, den dort in jener duftig entzückenden Ferne der widerliche Mensch, dieser – Pech–le, die–ser Ver–führer hinter sich herschleppt! Hinter sich herschleppt? O Gott nein, aus freien Stücken ist er mitgegangen und läuft er vielleicht ihm voraus, der Abscheuliche – mein Ferdinand!«
»Welches ich doch nicht glaube«, sagte die Engländerin.
»Du glaubst es nicht?!«
»No! Weil ich es ihm nicht zutraue, dass er vorgeht dem anderen. Es ist nicht sein Charakter.«
»Vielleicht! Aber das ist doch gleichgültig und entschuldigt ihn gar nicht – die Mücken sind fürchterlich! – und wer weiß, ob nicht vielleicht gerade in diesem Augenblick, dort auf jenem mir dem Namen nach nicht bekannten Gipfel im Abendduft die beiden harten Ungeheuer wie wir hier Arm in Arm stehen und hierher herüberschauen, wie wir dorthin. O, ungezählte Schätze für ein einziges Zucken aus unserer Gemütswelt durch die rohen Gemüter jener beiden! Ach, Christabel, Christabel, du kennst die zwei Patrone nicht! Ach Süße, was ist doch der Mensch, wenn ihm für das Bewusstwerden der eigenen Nichtigkeit, – und wenn ihm für – unser Sehnen nach der ewigen, ungestörten Sabbatsruhe des Lebens jegliches Organ fehlt?!«
»O–i, Sabbatsruhe!« murmelte die Engländerin, die Augenbrauen zusammenziehend und mit einem schaudernden