»Freilich!« meinte die Leb, »ein Kind in die Welt setzen ist keine Kleinigkeit. Wenn die Männer über schwere Arbeit klagen, sag ich immer: Ihr solltet ein Kind zur Welt bringen, da würdet ihr wissen, was Arbeit heißt; das ist schwerer als Holz spalten und pflügen. Nun, schlafen Sie, mein Engelchen!«
Rosa schloss die Augen und sagte leise: »Bitte, Frau Leb, schieben Sie die Stühle näher an mein Bett«, und als die Frau Leb die Stühle mit dem Kinde näher an das Bett gerückt hatte, lächelte Rosa und meinte: »So ist es gut. danke, Frau Leb.«
Die Schwäche in allen Gliedern brachte einen wohligen Frieden über sie und einen süßen, traumlosen Schlummer. Die Leb setzte sich mit ihrem Strickstrumpf an das Fenster, und tiefe Ruhe herrschte wieder im Krankenzimmer.
Zweites Kapitel
Im engen Giebelstübchen lagen Rosa und ihr Kind nebeneinander und warteten, dass das mächtige Band, mit dem eins an das andere geknüpft werden sollte, sich fühlbar mache. Rosas Blicke ruhten unausgesetzt auf dem weißen Paket wie auf einem Gegenstande, von dem sie eine große Wirkung auf sich erwartete. Sie ließ zwar die Leb für das Kind sorgen, beobachtete es jedoch eifersüchtig, als sei es ein Geschenk, das ihr noch nicht feierlich übergeben worden war, von dem sie aber wusste, dass es ihr gehören sollte. Erst als Frau Böhk ihr das Kind zum ersten Male an die Brust legte, empfand Rosa voll ihren Besitz. Sie nahm das Kind in ihre Arme, fühlte den Pulsschlag dieses zarten Lebens, fühlte, wie die warmen Lippen sich an ihre Brust festsogen, und ein heißes, tiefinneres Behagen durchwallte sie. Ihre Glieder bebten leicht. Am liebsten hätte sie mit all ihrer Kraft das Kind an sich gedrückt, hätte sie nicht gefürchtet, ihm Schaden zuzufügen. So hielt sie denn ganz still, das sonst so erregte, wechselvolle Mädchengesicht nahm einen Ausdruck milden Ernstes an, der ihm bisher fremd gewesen war. Dieser Augenblick hatte für Rosa soviel Feierliches, dass die Gegenwart der Hebamme sie störte. »Sie sehen, Frau Böhk«, sagte sie errötend, »nun kann ich’s schon. Unten ging die Haustüre, vielleicht hat der Briefträger mir einen Brief gebracht.«
»Gut, ich gehe schon«, sagte Frau Böhk, die doch etwas von dem wahren Sachverhalt zu ahnen schien, »in zehn Minuten bin ich wieder bei Ihnen.«
Nun war Rosa mit ihrem Kinde allein und durfte sich ganz dem Anblick des kleinen, sorgenvollen Gesichtes widmen, konnte ungestört der wonnigen Aufregung Raum geben, die in ihr zitterte. Nicht Gedanken beschäftigten sie, es war ein nie empfundenes Überwallen ihres Gefühles, das sie verklärte. Ihr ganzes Wesen versenkte und verlor sich in das junge Leben an ihrer Brust. Der Bund erwachender Mutterliebe, der dort in dem Tiglauer Giebelstübchen geschlossen ward, bestand in einem plötzlichen und vollständigen Ausliefern des eigenen Daseins an das Kind. Zum ersten Male trat Rosas Seele aus ihrer Einsamkeit heraus, um sich mit einem anderen Wesen eins zu fühlen.
Als Rosa sich ihrer Zusammengehörigkeit mit dem Kinde bewusst ward, begann sie in ruhiger Vertraulichkeit sich mit ihm zu schaffen zu machen, mit ihm leise zu sprechen: »Wie? Du willst nicht mehr trinken? Nein, lass es nur, schlafe, ich halte dich. So, lehn dich an mich. Hier darf niemand dir etwas tun. Niemand darf dich fortnehmen. Hier kannst du ruhig schlafen.«
Das Kind schien sie zu verstehen. Es weinte nicht mehr, sondern lehnte seine weiche Wange an die Brust seiner Mutter, und der kleine Körper zog sich in sich selbst zusammen, wie es Menschen tun, die sich behaglich fühlen. – Von jetzt an trug Rosa ihre Krankheit mit Ungeduld. Sie wäre gern kräftig und Herr ihrer Bewegungen gewesen, um ganz allein ihrem Kinde dienen zu dürfen. Mit misstrauischer Eifersucht betrachtete sie es, wie die Leb und Frau Böhk das Kleine umbetteten und bepflegten. Sie sehnte sich nach der Zeit, da sie allein das Kind würde berühren dürfen. Solche Ungeduld glaubte Rosa nur als ganz kleines Mädchen schon empfunden zu haben. In der Nacht, die dem Christabend folgt, pflegte sie in ihrem Bett zu liegen und vor Ungeduld mit den Füßen zu zappeln, wünschend, die Nacht wäre vorüber, und sie dürfte wieder bei den neuen, blanken Sachen sein.
Drittes Kapitel
Dürre, schwüle Julitage waren angebrochen. Den Tag über musste man die Fenster des Giebelstübchens dicht verhängen, um der Sonne und der Hitze zu wehren. Dort saß Rosa an der Wiege ihres Kindes. Sie durfte schon das Bett verlassen, sich regen und frei schaffen. Das Gesicht war noch von überzarter Blässe, zeigte jedoch einen ruhig befriedigten Ausdruck. Rosa fühlte das wohl. Das stete Ringen, das qualvoll verwickelte Grübeln, mit dem sie doch nimmer ins reine kam, waren fort, waren von dem Interesse an den kleinen Vorkommnissen der Kinderstube verdrängt. Die Vorhänge, die das Fenster verhüllten, verhüllten für Rosa auch die ganze übrige Welt. Nur das Giebelstübchen blieb, dessen Mittelpunkt die Wiege bildete.
Lange Stunden einsamen Stillsitzens kamen auch jetzt zuweilen. Das Kleine schlief. Rosa saß ihm zu Häupten und wehrte mit einem Erlenzweig den Fliegen. Aber nie – nie ward sie mehr von dem nagenden Sehnen nach Freuden und Glück, von dem bittern Bedauern der Vergangenheit gequält. Farblos und fern erschien ihr die Zeit, da das Kleine noch nicht war. Natürlich war sie damals unglücklich gewesen; jetzt verstand sie das, denn sie blickte auf jene Zeit mit ruhiger Überlegenheit zurück.
Nach Liebe hatte dieses leidenschaftliche Mädchenherz verlangt. Es war ihm in ihrer Abgeschlossenheit zu eng geworden, es hatte die Liebe beschleunigen, erzwingen, sich zu ihr überreden wollen. Jetzt, da sich die Liebe in ihrer ganzen Wirklichkeit und Reinheit nahte, jetzt gab sich ihr dieses Herz rückhaltlos hin und war tief beruhigt. Dass der Gedanken- und Wirkungskreis sich eng um das kleine nackte Kindeshaupt zusammenzog, übersehbar, verständlich und ganz mit Liebe ausgefüllt, das brachte den Frieden über Rosa.
Allzuviel Zeit zum Nachdenken fand sie ohnehin nicht. Das Kleine war unruhig, weinte viel. Oft musste Rosa es die ganze Nacht über auf ihren Armen wiegen. Dann studierte sie eifrig dieses kleine Wesen, das da schrie und nicht still sein wollte. Wo fehlt es ihm? Was will es? Sie wandte es hin und her – sie fragte, untersuchte es, legte es an die Brust, und half alles nichts, dann weinte Rosa über das unerbittliche kleine Rätsel.
»Wie kann ich dir denn helfen, wenn du mir nicht sagst, wo es dich schmerzt? Ich will ja nicht, dass du leiden sollst. Alles, nur das nicht! Aber, wie kann ich’s ändern? So weine doch nicht, mein Engel, bitte, weine nicht. Sei vernünftig. Zeige mir, was du willst.«
Eines Tages, da Rosa wie gewohnt neben ihrem schlummernden Kinde saß, lächelte dieses im Schlaf. Die schmalen roten Linien der Lippen verzogen sich und zuckten. Rosa beugte sich