– Es ist eine grausenvolle Geschichte, sagte der Kaplan, höchst bestürzt, und ich weiß gar nicht, woher sie Graf Albert erfahren haben kann.
– Aus der Überlieferung des Landes, versetzte Albert, und vielleicht … aus einer noch zuverlässigeren Quelle. Denn wenn man auch die Familienarchive und die historische Dokumente verbrennt, mein Herr Kaplan! wenn man auch die Kinder in Unwissenheit über die frühere Geschichte aufwachsen lässt; wenn man auch den Einfältigen Wind vormacht und den Schwachen Furcht macht, damit sie schweigen – es hilft alles nicht, die Furcht weder vor Gewalt noch vor der Hölle ist imstande, die tausend Stimmen der Vergangenheit, die sich überall erheben, stumm zu machen. Nein nein, sie schreien zu laut, diese schrecklichen Stimmen, sie schreien zu laut, als dass die Stimme eines Priesters sie überschreien könnte! Sie reden zu uns im Schlafe, sie reden zu uns durch den Mund der Geister, welche aufsteigen uns zu mahnen und zu warnen, sie reden zu uns durch alle Laute der Natur, sie schallen aus den Bäumen wie vordem die Stimme der Götter in den heiligen Hainen, und geben uns von den Verbrechen, von den Leiden, von den Heldentaten unserer Väter Kunde.
– Was soll es nur, du armes Kind! sagte das Fräulein, dass du deinen Geist mit so bitteren Gedanken und so traurigen Erinnerungen nährst?
– Ihre Genealogien, Tante! Ihre Reise in die Vorzeit, die Sie noch jetzt eben machten, hat in mir das Andenken jener fünfzehn Mönche aufgeweckt, die einer meiner Ahnen eigenhändig an den Ästen jenes Eichbaums henkte – o, der größte, wildeste, standhafteste von allen, er, den sie den furchtbaren Blinden nannten, der unüberwindliche Johann Ziska4 vom Kelche.
Der gewaltige und verabscheute Namen des Hauptes der Taboriten, jener Sektirer, die im Hussitenkriege an Tapferkeit, Kraft und Barbareien alle anderen Religionsparteien übertrafen, fiel wie ein Blitzstrahl auf den Abbé und auf den Kaplan. Der letztere machte ein großes Kreuz, die Tante fuhr mit ihrem Stuhle zurück, welcher dicht neben Albert’s Stuhle stand.
– Gott in Gnaden! rief sie; von was und von wem redet das Kind! Hören Sie nicht auf ihn, Herr Abbé. Nie, nein nie hat unsere Familie irgend einen Zusammenhang mit dem Verworfenen gehabt, dessen grässlichen Namen er soeben aussprach.
– Reden Sie für sich, gute Tante! antwortete Albert mit Nachdruck. Sie sind eine Rudolstadt in Ihrer Gesinnung, obgleich Sie tatsächlich eine Podiebrad sind. Ich aber, ich habe ein Blut in den Adern, das mit etlichen Tropfen mehr des böhmischen Blutes gefärbt und mit etlichen Tropfen weniger des fremden geläutert ist. Meine Mutter hatte weder Sachsen, noch Baiern, noch sonst etwas fremdes in ihrem Stammbaum, sie war von reinem böhmischen Schlage, und wie Sie sich nicht viel zu machen scheinen aus einem Adel, auf den Sie keinen Anspruch haben, so will ich, der ich auf meinen persönlichen Adel halte, Ihnen sagen, wenn Sie es nicht wissen, Ihnen ins Gedächtnis rufen, wenn Sie es vergessen haben, dass Johann Ziska eine Tochter hinterließ, die einen Herrn von Prachatitz5 ehelichte und dass meine Mutter, die eine Prachatitz war, in weiblicher Linie von Johann Ziska abstammte, wie Sie von den Rudolstadt, meine Tante.
– Ein Traum, ein Irrtum ist das, Albert!
– Nein, liebe Tante! ich berufe mich auf den Herrn Kaplan, der ein wahrheitliebender und gottesfürchtiger Mann ist. Er hat die Pergamente, welche es bewiesen, in Händen gehabt.
– Ich! rief der Kaplan bleich wie der Tod.
– Sie dürfen es vor dem Herrn Abbé ohne Erröten gestehen, versetzte Albert mit bitterer Ironie, da Sie Ihre Pflicht als katholischer Priester und österreichischer Untertan erfüllt haben, indem Sie sie am Tage nach dem Tode meiner Mutter verbrannten!
– Diese Handlung, die mir mein Gewissen gebot, rief der Kaplan noch bleicher, hat niemanden als Gott zum Zeugen gehabt. Graf Albert, wer hat Ihnen das entdecken können?
– Ich habe es Ihnen gesagt, Herr Kaplan! Die Stimme, welche lauter ruft als die des Priesters!
– Was für eine Stimme, Albert? fragte ich, im höchsten Grade gespannt.
– Die Stimme, welche zu uns im Schlafe redet, entgegnete Albert.
– Aber das erklärt die Sache nicht, mein Sohn! sagte Graf Christian ganz nachdenklich und traurig.
– Der Schrei des Blutes, Vaters erwiderte Albert mit einem Tone, der uns alle zittern machte.
– Mein Gott, mein Gott! rief mein Onkel, die Hände faltend; das sind dieselben Träume, dieselben Einbildungen, die seine arme Mutter peinigten. Sie muss in ihrer Krankheit vor unserem Kinde von dem allen gesprochen haben, fügte er hinzu, indem er sich zu meiner Tante beugte, und es muss frühzeitig einen Eindruck auf seinen Geist gemacht haben.
– Unmöglich, Bruder! erwiderte das Stiftsfräulein; Albert war erst drei Jahre alt, als er seine Mutter verlor.
– Es muss vielmehr, sagte der Kaplan leise, etwas von diesen verruchten, ganz mit Lügen und mit einem Gewebe von Gottlosigkeiten angefüllten Schriften, die sie als Familienandenken aufbewahrt hatte, in ihrer letzten Stunde aber so fromm war, mir Preis zu geben, irgendwo im Hause zurückgeblieben sein.
– Nein! es ist nichts zurückgeblieben, antwortete Albert, der kein Wort des Kaplans verloren hatte, ungeachtet dieser sehr leise sprach und Albert, der mit starken Schritten auf- und niederging, sich in diesem Augenblicke am anderen Ende des großen Saales befand. Sie wissen seht wohl, Herr Kaplan! dass Sie alles vernichtet haben, und dass Sie am Tage nach ihrem Tode noch alle Winkel ihres Zimmers durchstöbert und durchsucht haben.
– Wer hat dein Gedächtnis so aufgefrischt oder verwirrt, Albert? fragte Graf Christian mit strengem Tone. Welcher ungetreue oder unvorsichtige Diener hat sich unterstanden, deinen jugendlichen Geist durch eine, sicherlich übertriebene Schilderung dieser häuslichen Vorgänge zu beunruhigen?
– Keiner, mein Vater! Ich schwöre es Ihnen bei allem was mir heilig ist.
– Der Feind, der böse Feind ist dabei im Spiele, rief der erschrockene Kaplan.
– Es wäre doch wahrscheinlicher und christlicher anzunehmen, bemerkte der Abbé,