Gesammelte Werke. George Sand. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962816148
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teu­re Tan­te), der letz­te, der un­sern Na­men trug, mit sei­nem Blu­te den Schre­cken­stein ge­rötet hat­te? Ich will wet­ten, Sie ha­ben Ihre Auf­füh­rung bei die­ser Ge­le­gen­heit ver­ges­sen, mein Herr Abbé.

      – Ich habe sie in der Tat rein ver­ges­sen, ant­wor­te­te der Abbé mit ei­nem spöt­ti­schen Lä­cheln, wel­ches ge­wiss in ei­nem Au­gen­blick sehr un­zei­tig war, wo es uns al­len deut­lich wur­de, dass Al­bert völ­lig irre re­de­te.

      – Nun wohl! ich will sie Euch ins Ge­dächt­nis ru­fen, Herr Abbé, ent­geg­ne­te Al­bert, ohne aus sei­ner Fas­sung zu kom­men. Ihr lie­fet sehr ei­lig, den kai­ser­li­chen Sol­da­ten Rat zu ge­ben, de­nen es ge­lun­gen war, sich zu ret­ten oder zu ver­ste­cken, weil die Bür­ger von Pil­sen, die den Mut hat­ten sich als Pro­tes­tan­ten zu be­ken­nen und dem Wi­thold sehr zu­ge­tan wa­ren, her­bei­eil­ten, um sei­nen Tod zu rä­chen und sei­ne Mör­der in Stücke zu hau­en. Hier­auf eil­tet Ihr zu mei­ner Ur­groß­mut­ter Ul­ri­ke, der zit­tern­den, er­schreck­ten Witt­we Wi­tholds, und ver­hie­ßet ihr, sie mit Kai­ser Fer­di­nand II. aus­zu­söh­nen, ihre Gü­ter, ihre Ti­tel, ihre Frei­heit und das Le­ben ih­rer Kin­der zu ret­ten, wenn sie Eu­e­rem Rate fol­gen und Euch Eue­re Diens­te mit gu­tem Gol­de be­zah­len woll­te: sie sag­te Ja, ihr Mut­ter­herz mach­te sie so schwach. Sie sah das Mar­tyr­tum ih­res ed­len Ge­mah­les nicht an. Sie war eine ge­bo­re­ne Ka­tho­li­kin und hat­te nur aus Lie­be zu ihm ih­rem Glau­ben ab­ge­sagt. Sie fühl­te sich nicht stark ge­nug, Elend, Acht und Ver­fol­gung auf sich zu neh­men, um ihre Kin­der dem Glau­ben, den Wi­thold mit sei­nem Blu­te be­sie­gelt hat­te, um ih­nen den Na­men zu er­hal­ten, den er noch herr­li­cher ge­macht hat­te als alle sei­ne Vor­fah­ren, was sie im­mer wa­ren, Hus­si­ten, Ca­lix­ti­ner, Ta­bo­ri­ten, Wai­sen, böh­mi­sche Brü­der, Luthe­ra­ner.

      Ge­nug, so sprach Al­bert wei­ter, die Säch­sin fürch­te­te sich und gab nach. Ihr nah­met Be­sitz vom Schlos­se, Ihr schick­tet die kai­ser­li­chen Hau­fen weg, Ihr stell­tet ein un­ge­heu­e­res Au­to­dafé von un­se­ren Ur­kun­den, un­se­ren Archi­ven an. Das ist die Ur­sa­che, wes­halb mei­ne Tan­te, zu ih­rem Glücke, den Stamm­baum der Po­dieb­rad nicht hat wie­der­her­stel­len kön­nen, und sich ganz und gar dar­auf ge­legt hat, den der Ru­dol­stadt ab­zu­wei­den, was frei­lich we­ni­ger schwer zu ver­dau­en­de Kost ist. Zum Lohn für Eue­re Diens­te wur­det Ihr reich, ge­wal­tig reich. Drei Mo­na­te da­nach er­hielt Ul­ri­ke Er­laub­nis, in Wien die Knie des Kai­sers zu um­fas­sen, der ihr in Gna­den ver­gönn­te, ihre Kin­der zu de­na­tio­na­li­sie­ren, sie durch Euch in der rö­mi­schen Re­li­gi­on er­zie­hen zu las­sen und sie zu­letzt un­ter die Fah­nen zu stel­len, ge­gen wel­che ihr Va­ter und ihre Vor­fah­ren so tap­fer ge­strit­ten hat­ten. So wur­den wir ös­ter­rei­chisch, ich und mei­ne Söh­ne …

      – Du und dei­ne Söh­ne! … rief mei­ne Tan­te voll Verzweif­lung, da sie ihn so fan­ta­sie­ren hör­te.

      – Ja mei­ne Söh­ne, Si­gis­mund und Ru­dolph, er­wi­der­te Al­bert mit der größ­ten Ernst­haf­tig­keit.

      – Er nennt mei­nen Va­ter und mei­nen Oheim, sag­te Graf Chris­ti­an. Al­bert, bist du von Sin­nen? Komm zu dir, mein Sohn, mehr als ein Jahr­hun­dert trennt uns von die­sen schmerz­li­chen Er­eig­nis­sen, wel­che die Vor­se­hung über uns ver­hängt hat­te.

      Al­bert ließ nicht los. Er stand in der Ein­bil­dung und woll­te uns ein­bil­den, dass er eben je­ner Wra­tis­law, Wi­tholds Sohn wäre, der ers­te Po­dieb­rad, wel­cher von sei­ner Mut­ter den Na­men Ru­dol­stadt trug. Er schil­der­te uns sei­ne Kind­heit, die deut­li­che Erin­ne­rung, wel­che er von dem Tode des Gra­fen Wi­thold hät­te, und die­sen Tod bür­de­te er dem Je­sui­ten Dith­mar auf, der kein an­de­rer ge­we­sen wäre als der jet­zi­ge Abbé; er schil­der­te uns den tie­fen Hass, den er in sei­ner Kind­heit ge­gen die­sen Dith­mar, ge­gen Ös­ter­reich, ge­gen die Kai­ser­li­chen und die Ka­tho­li­ken ein­ge­so­gen hät­te. Als­dann schie­nen sei­ne Erin­ne­run­gen sich zu ver­wir­ren und er sag­te tau­send un­be­greif­li­che Din­ge über das ewi­ge und un­ver­gäng­li­che Le­ben, über die Wie­der­kunft der Men­schen auf Er­den, und be­zog sich in Be­treff die­ser Leh­re auf den un­ter den Hus­si­ten ver­brei­te­ten Glau­ben, dass Jo­hann Huß hun­dert Jah­re nach sei­nem Tode wie­der er­schei­nen und sein Werk vollen­den wür­de, was sich dann auch er­füllt habe, in­dem er in Luther wie­der auf­ge­stan­den sei. Kurz, sei­ne Re­den wa­ren ein Ge­misch von ket­ze­ri­schen Mei­nun­gen, aber­gläu­bi­schen Vor­stel­lun­gen, dunklen me­ta­phy­si­schen Sät­zen und poe­ti­schen Ra­se­rei­en, und al­les dies trug er mit ei­ner sol­chen Über­zeu­gung vor, mit so vie­len ge­nau ge­schil­der­ten und merk­wür­di­gen Ein­zel­hei­ten über al­les, was er nicht nur als Wra­tis­law, son­dern auch als Jo­hann Zis­ka selbst und ich weiß nicht wer noch sonst von Ver­stor­be­nen in sei­nen vor­ma­li­gen Le­ben­s­pha­sen ge­se­hen ha­ben woll­te, dass wir ihn starr vor Er­stau­nen an­hör­ten und dass nie­mand das Herz hat­te, ihn zu un­ter­bre­chen oder ihm zu wi­der­spre­chen. Mein On­kel und mei­ne Tan­te, de­nen die­se ih­rer Mei­nung nach gott­lo­sen Fan­tasi­en höchst schmerz­lich wa­ren, woll­ten we­nigs­tens sei­nem Wahn­witz ganz auf den Grund kom­men, denn es war das ers­te Mal, dass der­sel­be sich so un­ver­ho­len aus­sprach, und wenn man ver­su­chen woll­te, ihn zu be­kämp­fen, muss­te man sei­ne Quel­le ka­men. Der Abbé gab sich alle Mühe, die Sa­che ins Lus­ti­ge zu keh­ren und uns glau­ben zu ma­chen, Graf Al­bert wäre spaß­haft und scha­den­froh ge­nug, uns durch sei­ne Be­kannt­schaft mit der un­gläu­bi­gen Ge­schich­te in Schre­cken zu ja­gen.

      – Er hat so viel ge­le­sen, sag­te er, dass er uns die Ge­schich­te al­ler Jahr­hun­der­te Ka­pi­tel für Ka­pi­tel auf die­se Wei­se er­zäh­len könn­te, so ins Ein­zel­ne ein­ge­hend und so um­ständ­lich, dass ein et­was wun­der­gläu­bi­ges Ge­müt ver­mei­nen soll­te, er müss­te in Wahr­heit den Auf­trit­ten, die er schil­dert, bei­ge­wohnt ha­ben. Mei­ne Tan­te, de­ren brüns­ti­ge Re­li­gio­si­tät nicht sehr weit vom Aber­glau­ben ent­fernt ist und die schon an­fing, ih­rem Nef­fen aufs Wort zu glau­ben, nahm die Be­mer­kun­gen des Abbé sehr übel und riet ihm, sei­ne spaß­haf­te Er­klä­rung für eine fro­he­re Ge­le­gen­heit auf­zu­spa­ren, dann mach­te sie jede An­stren­gung, um Al­bert von dem Wahn, der sei­nen Kopf an­füll­te, zu­rück­zu­brin­gen.

      – Neh­men Sie sich in Acht, Tan­te! rief Al­bert un­ge­dul­dig, dass ich Ih­nen nicht auch sage, wer Sie sind. Bis jetzt habe ich es nicht wis­sen mö­gen, aber es ist Et­was, was mir in die­sem Au­gen­bli­cke an­zeigt, dass die Säch­sin Ul­ri­ke vor mir steht.

      – Wie, mein Kind! ant­wor­te­te sie, die­se klu­ge und from­me Äl­ter­mut­ter, die ih­ren Kin­dern das Le­ben und ih­ren Nach­kom­men Frei­heit, Gut und Ehren ret­te­te, glaubst du in mir wie­der auf­ge­lebt zu se­hen? Nun sieh, Al­bert. In der Tat lie­be ich dich so, dass ich für dich noch mehr täte, ich wür­de mein Le­ben hin­ge­ben, wenn ich da­mit dei­nem ver­wirr­ten Geis­te die Ruhe er­kau­fen könn­te.

      Al­bert sah sie