Das erste was mir an Albert auffiel war sein schönes Gesicht und seine würdevolle Haltung. Ich will Ihnen gestehen, liebe Nina, dass mein Herz hoch schlug, als er mir die Hand küsste und dass ich eine Reihe von Tagen ganz entzückt von seinem Blick und von jedem seiner Worte war. Sein ernstes Wesen missfiel mir nicht, er schien sich völlig ungezwungen gegen mich zu benehmen. Er dutzte mich wie in unserer Kindheit, und als er sich verbessern wollte, aus Furcht gegen die Schicklichkeit verstoßen zu haben, erlaubten ihm meine Eltern und baten ihn gewissermaßen, seine alte Vertraulichkeit mit mir beizubehalten. Meine Fröhlichkeit entlockte ihm manchmal ein ungezwungenes Lächeln, und meine gute Tante, die ganz entzückt darüber war, tat mir die Ehre an, eine Heilung, die sie schon für ganz radical hielt, mir beizumessen.
Genug, er behandelte mich mit der Freundlichkeit und Güte, die man einem Kinde bezeigt, und ich begnügte mich damit in der Meinung, dass er meinem munteren Gesichtchen und den hübschen Toiletten, die ich ihm zu gefallen verschwendete, schon noch mehr Aufmerksamkeit schenken würde.
Ich sah aber bald mit Verdruss, dass er sich aus dem ersteren sehr wenig machte und die letzteren gar nicht einmal bemerkte. Eines Tages wollte ihn meine gute Tante auf ein hübsches lasurblaues Kleid aufmerksam machen, das meine Taille zum Entzücken hervorhob. Da behauptete er, das Kleid wäre sehr schön rot. Der Abbé, sein Gouverneur, der allezeit zuckersüße Komplimente auf den Lippen hatte und ihn auf eine Galanterie hinleiten wollte, rief, er verstünde ganz gut, dass Graf Albert es nicht auf die Farbe meines Kleides abgesehen hätte. Dies war nun eine Gelegenheit für Albert, mir etwas Schönes über meine rosigen Wangen oder mein goldenes Haar zu sagen. Allein er tat nichts weiter, als dass er dem Abbé ganz trocken zur Antwort gab, er könnte ebenso gut wie jener die Farben unterscheiden, und mein Kleid wäre in der Tat rot wie Blut.
Diese Ungeschliffenheiten und die besondere Wahl des Ausdrucks machten, dass es mich kalt überlief, ich weiß selbst nicht warum. Ich sah Albert an und bemerkte nun einen Blick an ihm, der mir Grauen erregte. Ich fing an, ihn mehr zu fürchten als zu lieben. Bald liebte ich ihn gar nicht mehr und jetzt fürchte ich ihn weder, noch liebe ich ihn. Ich bedauere ihn, das ist alles. Sie werden nach und nach schon sehen weshalb, und werden es natürlich finden.
Tages darauf sollten wir einiger Einkäufe wegen nach der nächsten Stadt, Tauß. Ich versprach mir viel Annehmlichkeit von dieser Tour, Albert sollte mich zu Pferde begleiten. Ich war fertig und wartete, dass er käme, mir den Arm zu bieten. Die Wagen warteten auch schon auf dem Hofe. Er erschien noch immer nicht. Sein Kammerdiener sagte, er hätte zur gewöhnlichen Zeit an seine Tür geklopft. Man ließ nachsehen, ob er sich fertig machte. Albert hatte nämlich die Grille, sich immer selbst anzukleiden und nie zu leiden, dass ein Bedienter sein Zimmer beträte, bis er hinaus war. Man klopfte vergeblich, er gab keine Antwort. Sein Vater, den dieses Stillschweigen beunruhigte, ging hinauf nach Albert’s Zimmer und konnte weder die Tür öffnen, welche von innen verriegelt war, noch eine Antwort erlangen. Man fing an sich beunruhigt zu fühlen, als der Abbé ganz trocken bemerkte, Albert hätte manchmal Anfälle von Schlafsucht, in denen er wie starr läge, und wenn man ihn gewaltsam herausrisse, so wäre er hernach Tagelang unruhig und wie leidend.
– Aber das ist ja eine Krankheit, sagte das Stiftsfräulein äußerst besorgt.
– Ich glaube nicht, entgegnete der Abbé. Ich habe ihn nie über irgend etwas klagen hören. Die Ärzte, welche ich während solcher Anfälle von Schlaf kommen ließ, fanden an ihm kein Fiebersymptom und erklärten es für eine Erschöpfung, welche eine Folge übermäßiger Anstrengung durch Arbeit oder Denken sein müsste. Sie rieten mir angelegentlich, diesem Bedürfnis der Ruhe und Erholung nichts in den Weg zu legen.
– Und kommt das häufig? fragte mein Oheim.
– Ich habe das Phänomen, antwortete der Abbé, nur fünf oder sechs Male während der acht Jahre beobachtet, und da ich ihn nie durch unzeitige Beflissenheit störte, so hat es auch niemals schlimme Folgen gehabt.
– Und dauert es lange? fragte ich meinerseits sehr ungeduldig.
– Je nachdem! entgegnete der Abbé. Es hängt von der Dauer der Schlaflosigkeit ab, welche dieser Abspannung vorangegangen ist oder sie verursacht hat; aber wissen kann man es nicht, denn der Herr Graf erinnert sich niemals der Veranlassung oder will sie wenigstens nicht sagen. Er arbeitet äußerst angestrengt, verbirgt sich aber damit in seltener Bescheidenheit.
– Er weiß also wohl sehr viel? fragte ich.
– Außerordentlich viel.
– Und er zeigt es niemals?
– Er hält damit zurück, und gibt sich auch wohl selbst keine Rechenschaft darüber.
– Aber wozu hilft es ihm alsdann?
– Mit den geistigen Gaben, versetzte der höfische Jesuit, mich süßlich anblickend, ist es wie mit der Schönheit. Es sind Geschenke des Himmels, sie machen diejenigen, welche sie besitzen, nicht stolz und dünken ihnen nichts Besonderes.
Ich verstand die Lektion und wurde darüber nur noch verdrießlicher, wie Sie leicht denken können. Man beschloss die Abfahrt zu verschieben, bis mein Cousin aufgewacht sein würde; da aber zwei Stunden hingingen, ohne dass er sich rührte, zog ich mein prächtiges Reitkleid aus und setzte mich an den Stickrahmen, wo ich alle Augenblicke den Faden zerriss oder falsche Stiche machte. Ich war außer mir über Albert’s Ungezogenheit, dass er sich am Abend vor einem Spazierritt mit mir, über seinen Büchern vergessen und dann, während ich warten musste, ganz süß und ruhig schlafen konnte. Es wurde endlich zu spät, um noch an die Ausführung unseres Planes zu denken. Mein Vater, der durch die Versicherung des Abbé zufrieden gestellt war, nahm seine Flinte und ging in den Wald um etwas Hase zu schießen. Meine Tante traute weniger und ging mehr als zwanzigmal hinaus, um an Albert’s Türe zu horchen, ohne dass sie ihn auch nur atmen hörte. Die arme Frau war ganz unglücklich über meine ärgerliche Laune. Mein Onkel dagegen nahm ein Gebetbuch, um seine Besorgnisse zu zerstreuen, setzte sich in einen Winkel und las mit einer Ergebung und Ruhe, dass ich hätte aus dem Fenster springen mögen.
Endlich