Was sollten auf so schöne Worte der Graf, das Stiftsfräulein, der Kaplan antworten, sie, die den Jungen Mann in so eifrigen und strengen Lehren aufgezogen hatten! Sie waren auch wirklich in großer Verlegenheit, als sie ihn die Sachen so buchstäblich nehmen und keines der Zugeständnisse anerkennen sahen, welche man dem Geiste der Zeit macht, worauf aber doch, wie mir scheint, das ganze Gebäude unseres geselligen Lebens ruht.
In politischen Fragen war es umgekehrt. Die menschlichen Gesetze, welche den Herrschern die Macht geben, Millionen Menschen ermorden und ungeheuere Gebiete verwüsten zu lassen, um ihren Hochmut oder ihre Eitelkeit zu befriedigen, fand Albert ganz verkehrt. Seine Unduldsamkeit in dieser Hinsicht wurde gefährlich, und die Seinigen wagten nicht mehr, ihn mit nach Wien oder Prag oder einer anderen großen Stadt zu nehmen, wo sein Tugendfanatismus ihnen böse Händel zuziehen konnte.
Sie wurden auch bedenklich in Ansehung seiner Rechtgläubigkeit, denn in seiner übertriebenen Religiosität lag alles, was nötig ist, um einen Ketzer, der den Galgen und das Feuer verdient, zu liefern. Er hasste die Päpste, diese Statthalter Christi, die sich mit den Königen verbänden gegen den Frieden und die Würde der Völker. Er tadelte den Pomp der Bischöfe und den weltlichen Sinn der Prälaten und den Ehrgeiz der gesamten Geistlichkeit. Er hielt dem armen Kaplan Strafpredigten, in denen er Luther und Huß wieder belebte. Und doch verbrachte Albert ganze Stunden kniend vor den Kapellen und versenkt in Betrachtungen und frommen Verzückungen eines Heiligen würdig. Er beobachtete die Fasten und die Abstinenz und ging darin noch über die Vorschriften der Kirche hinaus; man erzählt sich sogar, dass er ein härenes Hemd trug und dass der Graf sein ganzes väterliches Ansehn und die Tante ihre ganze Zärtlichkeit aufbieten mussten, um ihn von diesen Kasteiungen abzubringen, die nicht wenig dazu beitrugen, seinen armen Kopf zu überreizen.
Da die Seinigen sahen, dass er auf dem Wege war, all sein Vatergut in wenigen Jahren zu zerstreuen und sich als Empörer gegen die heilige Kirche und das heilige Reich einsperren zu lassen, entschlossen sie sich endlich, obwohl mit Schmerz, ihn auf Reisen zu schicken, denn sie hofften, wenn er die Menschen und die so ziemlich in der ganzen zivilisierten Welt herrschende Gleichförmigkeit der wesentlichen Gesetze ihres geselligen Lebens kennen lernte, so würde er sich gewöhnen nach ihrer Weise und mit ihnen zu leben. Sie vertrauten ihn daher einem Gouverneur an, einem feinen Jesuiten, einem Mann von Welt und von Verstand, der seine Aufgabe mit halbem Worte begriff und es sich zur Gewissenssache machte, alles über sich zu nehmen, was man sich nicht getraute ihm aufzutragen.
Um es deutlich zu sagen, es handelte sich darum, diese ungestüme Seele zu brechen und mürbe zu machen, sie an das gesellige Joch zu gewöhnen, indem man ihr tropfenweise das so süße und so nötige Gift des Ehrgeizes, der Eitelkeit, der religiösen, politischen und moralischen Indifferenz einflößte.
Runzeln Sie nicht so die Stirne, liebe Porporina! Mein würdiger Oheim ist ein guter, schlichter Mann, der von Jugend auf das alles, wie es ihm geboten wurde, angenommen hat, und der sein Leben lang, ohne zu heucheln und ohne zu prüfen, Toleranz und Religion, Christenpflicht und Standespflichten miteinander zu versöhnen gewusst hat. In einer Welt und in einer Zeit, wo man unter Millionen unseres Gleichen einen wie Albert findet, ist der, welcher mit der Zeit und der Welt geht, weise, und der, welcher zweitausend Jahre in die Vergangenheit zurücksteigen will, ein Narr, der seinen Nebenmenschen Ärgernis gibt, ohne jemanden zu bessern.
Albert war acht Jahre auf Reisen. Er hat Italien, Frankreich, England, Preußen, Polen, Russland und selbst die Türkei besucht; durch Ungarn, Süddeutschland, Baiern ist er heimgekommen. Er führte sich während seiner langen Abwesenheit verständig auf, gab nicht mehr aus, als ihm zu ehrenvollem Auskommen angewiesen war, schrieb sehr liebreiche und freundliche Briefe nach Hause, worin er immer nur von dem, was er gesehen hatte, Rechenschaft gab, und sich niemals auf tiefe Betrachtungen einließ, und gab dem Abbé, seinem Gouverneur, keinerlei Ursache zu Klagen oder Beschwerden.
Als er im Anfange des vorigen Jahres hier wieder angelangt war, zog er sich, nach den ersten Umarmungen, in das Zimmer, sagt man, das seine Mutter bewohnt hatte, zurück, blieb dort mehre Stunden eingeschlossen und kam endlich sehr blass wieder heraus, um allein einen Spaziergang auf die Berge zu machen.
Der Abbé hatte inzwischen eine vertrauliche Unterredung mit dem Stiftsfräulein und dem Kaplan, die von ihm eine unbedingt offene Erklärung über den geistigen und leiblichen Zustand des jungen Grafen verlangt hatten.
– Graf Albert, hob dieser an, ich weiß nicht, ob der Gedanke auf Reisen zu gehen, ihn plötzlich umgewandelt hat, oder ob ich mir nach dem, was mir Ew. Gnaden über seine Kindheit erzählt hatten, eine falsche Vorstellung von ihm gemacht habe, Graf Albert hat sich mir von dem ersten Tage unseres Zusammenseins an so gezeigt, wie Sie ihn noch jetzt finden werden, sanft, friedfertig, langmütig, geduldig und überaus höflich. Dieses vortreffliche Betragen hat er keinen Augenblick verleugnet und ich würde der ungerechteste Mensch sein, wenn ich mich im Mindesten über ihn beschwerte. Nichts von allem, was ich fürchtete, nichts von tollen Verschwendungen, von hochfahrender Begegnung, von Deklamationen, von ausschweifender Ascetik ist vorgekommen. Er hat mir nicht ein einziges Mal die Zumutung, gemacht, selbst die Verwaltung des kleinen Kapitals, das s Sie mir anvertraut hatten, zu übernehmen, und hat sich mit Nichts unzufrieden bezeigt. Es ist wahr, dass ich seinen Wünschen stets zuvorgekommen bin, und mich beeiferte, jeden Armen, den ich auf unsern Wagen zukommen sah, zufrieden zu stellen, noch ehe er die Hand ausgestreckt hatte. Diese Verfahrungsart hatte vollkommnen Erfolg, und ich kann sagen, dass der gnädige Herr, da das Schauspiel des Elends und der Hinfälligkeit fast nie seine Blicke schmerzhaft berühren konnte, mir kein einziges Mal auf seine alten Vorurteile in dieser Hinsicht wieder zu verfallen schien. Nie habe ich ihn jemanden ausschelten, nie ihn eine Lebensgewohnheit tadeln, nie ihn nachteilig über eine öffentliche Einrichtung sich äußern hören. Die brünstige Frömmigkeit, deren Übermaß Sie mich fürchten ließen, hatte, wie es schien, einem vollkommen geregelten Betragen, ganz wie es dem Weltmanne zukommt, Platz gemacht. Er hat die glänzendsten Höfe Europas gesehen und die vornehmsten Gesellschaften, ohne sich von irgend Etwas eingenommen, oder im Gegenteile von irgend Etwas unangenehm berührt zu zeigen. Überall hat seine Schönheit, seine edle Haltung, seine ungezwungene Höflichkeit, seine gewählte