– Das lässt sich wohl auch in einem Tage machen?
– Nein! aber in etlichen Monaten allerhöchstens.
– Und unterdessen spiele ich morgen! unterdessen fahre ich fort, vor einem Publikum zu debütieren, das mich weit mehr nach meinen Mängeln als nach meinen guten Eigenschaften richtet.
– Das aber deine Fortschritte bemerken wird.
– Wer weiß! Wenn es mich einmal nicht leiden mag?
– Es hat dir das Gegenteil bewiesen.
– O ja! du meinst, es bat Nachsicht gehabt.
– Ja! Auch das, mein Freund! Wo du dich schwach zeigtest, hat es dir Wohlwollen bewiesen, wo du dich stark zeigtest, hat es dir Gerechtigkeit widerfahren lassen.
– Und inzwischen werde ich nach dem allen ein erbärmliches Engagement erhalten.
– Der Graf liebt den Glanz in allem und spart kein Geld. Und hat er übrigens nicht mir mehr angeboten, als wir beide brauchen, um in Überfluss zu leben?
– Das ist die Sache. Ich würde von deinem Glück mitleben.
– Habe ich nicht lange genug von deiner Gunst mitgelebt?
– Es handelt sich nicht um das Geld. Möge er mir wenig Gage geben, danach frage ich nichts. Aber er wird mich für die zweiten oder dritten Partien engagieren.
– Er hat keinen anderen primo uomo zur Hand. Seit langer Zeit rechnet er auf dich und denkt nur an dich. Und übrigens ist er ganz und gar für dich eingenommen. Du sagtest auch, er würde unserer Verheiratung entgegen sein. Keinesweges! er scheint sie eher zu wünschen, und fragt mich oft, wann ich ihn zu meiner Hochzeit bitten würde.
– Ah, in der Tat? Vortrefflich! Ei, großen Dank, mein Herr Graf!
– Was meinst du?
– Nichts. Nur, Consuelo, war es sehr unrecht von dir, dass du mich nicht abgehalten hast zu debütieren, bis meine Fehler, die du so gut kennst, durch bessere Studien beseitigt waren. Denn du kennst sie, meine Fehler, ich sage es noch einmal.
– Habe ich es an Offenheit fehlen lassen? Habe ich dich nicht häufig gewarnt? Du aber gabst mir stets zur Antwort, das Publikum verstünde sich nicht darauf; und als ich hörte, was für eine günstige Aufnahme dein erstes Debüt im Salon des Grafen gefunden hatte, da dachte ich …
– Dass sich die vornehme Welt nicht besser darauf versteht als das gewöhnliche Publikum?
– Ich dachte, dass deine Vorzüge mehr hervorstechen werden als deine Mängel; und so, scheint mir, ist es auch in beiden Fällen gewesen.
– Im Grunde, dachte Anzoleto, hat sie Recht, und wenn ich meine Debüts aufschieben könnte … Allein da liefe ich Gefahr, dass man einen anderen Tenor an meiner statt beriefe, der mir nachher nicht wieder weichen würde. Höre! sagte er, nachdem er mehrmals im Zimmer auf und nieder gegangen, welche Fehler habe ich eigentlich?
– Was ich dir schon oft sagte: zu viel Keckheit und zu wenig Vorbereitung, ein Feuer, das mehr aus Fieberhitze als aus Gefühl entsprungen scheint, dramatische Effekte, welche weniger die Empfindung als die Absicht verraten. Du hast dich nicht in das Ganze deiner Parthie hineingelebt. Du hast sie bruchstückweise gelernt. Du hast nichts darin gesehen als eine Reihe von mehr oder weniger brillanten Effekten. Du hast ihre Entwicklung, Steigerung und Abstufung nicht begriffen. Voll Ungeduld, deine schöne Stimme und die Fertigkeit, die dir in Einigem zu Gebote steht, zu zeigen, hast du, kaum aufgetreten, schon dein Äußerstes getan. Bei jeder Gelegenheit hast du nach einem Effekte gehascht und der eine Effekt ist immer genau wie der andere gewesen. Am Ende des ersten Aktes kannte man dich schon, wusste man dich schon auswendig; man dachte aber nicht, dass das nun alles wäre und rechnete auf etwas ganz Erstaunliches für den Schluss. Dieses Etwas besaßest du nicht. Deine innere Kraft war erschöpft und deine Stimme hatte nicht mehr dieselbe Frische. Das fühltest du und wolltest beides erzwingen; das wurde nun auch gefühlt, und man blieb, zu deiner Verwunderung, gerade in dem Augenblicke kalt, wo du die höchste Leidenschaft entwickelt zu haben meintest. In diesem Augenblicke sah man nicht den von Leidenschaft hingerissenen Künstler, sondern den Akteur, der auf Beifall Jagd macht.
– Und wie machen es denn die anderen? schrie Anzoleto mit dem Fuße stampfend, habe ich sie nicht gehört, nicht alle gehört, die man seit zehn Jahren in Venedig beklatscht hat? Hat nicht der alte Stefanini geschrien, wenn ihm die Stimme ausging? Und dennoch wurde er wütend beklatscht.
– Es ist wahr, und ich habe es nie begriffen, wie das Publikum sich so täuschen konnte. Vermutlich hatten sie die Zeit im Sinne, wo er mehr vermocht hat und wollten ihn nicht das Unglück seines Alters fühlen lassen.
– Und die Corilla, dieses Götzenbild, das du umstürzest, forzierte sie nicht die Situationen? Griff sie sich nicht an, um einem angst und bange zu machen? War sie wohl wirklich begeistert, wenn das Publikum sie bis in die Wolken hob?
– Eben weil ich ihre Mittel trüglich, ihre Effekte abscheulich, ihr Spiel und ihren Gesang von Geschmack und Adel entblößt fand, deshalb trat ich so furchtlos auf die Bühne, denn ich glaubte wie du, dass sich das Publikum nicht darauf verstünde.
– Ach, sagte Anzoleto mit einem tiefen Seufzer, du berührst meine Wunde, arme Consuelo.
– Wie das, mein geliebtes Herz?
– Wie das, du fragst noch? Wir haben uns getäuscht, Consuelo. Das Publikum versteht sich wohl darauf. Sein Herz entdeckt ihm was seine Unwissenheit ihm verbirgt. Es ist ein großes Kind, das belustigt und aufgereizt sein will. Es begnügt sich so lange, bis man ihm Besseres zeigt, dann aber stellt es Vergleichungen an und weiß zu unterscheiden. Die Corilla konnte es in der vorigen Woche noch entzücken, obgleich sie falsch sang und keinen Atem hatte. Du trittst auf und verloren ist die Corilla, ausgelöscht, begraben. Lass sie wieder auftreten, und man wird sie auszischen. Wenn ich neben ihr debütiert hätte, so würde ich einen vollständigen Erfolg gehabt haben, wie damals, wie das erstemal beim Grafen, wo ich neben ihr sang. Aber neben dir bin ich verdunkelt worden. Es konnte nicht anders sein, und es wird immer so sein. Das Publikum war in Flittern verliebt. Es sah Glas und Rauschgold für Edelgesteine an und war geblendet. Nun zeigt man ihm einen ächten Diamant und siehe, es begreift schon nicht mehr,