Ich strengte also noch einmal meine Lungen an. ,Paul Werner!’ rief ich. ,Warte, ich habe mit dir zu reden!’
Jetzt blieb er stehen. ,Ich kenne Sie nicht, Herr’, sagte er; – übrigens, dank seinem alten Schulmeister, in reinem Hochdeutsch.
,Aber ich möchte dich kennenlernen’, erwiderte ich.
,Mich?’ fragte er befremdet.
,Dich, Paul!’ versetzte ich, ,denn ich höre, du willst Maler werden.’
,Ich will kein Maler werden, Herr.’
,Aber der Schulmeister sagt es doch.’
Er schüttelte den Kopf. ,Das ist vorbei’, sagte er.
Ich nahm nun die erhandelten Bilderchen aus meinem Skizzenbuch. ,Sind das deine Malereien?’ fragte ich.
Er nickte.
,Wie hast du denn das zustande gebracht?’
,Ich habe es so gesehen’, erwiderte er.
,Recht so!’ rief ich. ,Und es ist auch so; es ist nur seltsam, daß nicht auch die andern – fast hätte ich gesagt: wir andern – es so sehen.’
Er blickte mich fragend an, er verstand das nicht. Aber ich schrie ihm zu: ,Und du willst kein Maler werden, Junge? Was in aller Welt denn sonst?’
Eine Weile zupfte er schweigend an seinen Fingern; dann sagte er: ,Ich werde ein Bauer, wie mein Vater.’
,Und doch, Paul’, begann ich noch einmal, ,hast du nicht leben wollen, weil du nicht malen durftest.’
Eine jähe Röte schoß über das blasse Antlitz. ,Weshalb sagen Sie mir das?’ sagte er zitternd.
,Weil ich dir helfen möchte, Paul’, erwiderte ich; ,denn bei den Toten ist nun einmal keine Hülfe.’
Er schlug langsam die Augen zu mir auf und blickte mich fast angstvoll an. ,Ich suche einen tüchtigen Schüler’, fuhr ich fort. ,Was meinst du, willst du es mit mir versuchen?’ Dabei gab ich ihm das Skizzenbüchlein aufgeschlagen in die Hand.
Es war doch, als wenn es plötzlich in den dunklen Augen blitzte; wie auf eine Offenbarung schaute er auf die kleine Aquarellskizze. – Und doch, sage ich dir, ist die Zeit nicht fern, daß meine Augen ebenso an seinen Blättern haften werden; denn er ist einer von jenen, nach deren Tode man noch die Papierschnitzel aus dem Kehricht sammelt, auf welchen ihre Hand einmal gekritzelt hat.«
Mein Freund war aufgestanden und stützte sich mit beiden Händen auf den vor uns stehenden Gartentisch; auch in seinen Augen blitzte es jetzt von Liebe und Begeisterung.
»Doch«, fuhr er fort, »damals war er noch ein Bauerbursche und konnte sich nicht satt staunen an meinem Machwerk. – Was soll ich dir das lange noch erzählen! Als ich ihm alles, was ich beabsichtigte und was ich tags zuvor mit seinem Vater verhandelt, mitgeteilt hatte, da habe ich ihn wie einen Trunkenen heimgeführt; denn wir gingen gradeswegs zum alten Werner. Und nachdem ich diesem noch einmal eine Stunde lang tüchtig standgehalten, war endlich alles, so wie ich es wünschte, abgemacht.
Mein alter Schulmeister staunte nicht schlecht, als ich nach dem Frühstück Farben und Palette auspackte und nun mit beiden Beinen als ein fix und fertiger Maler vor ihn hinsprang; und gar als er von der Bekehrung seines Widersachers hörte. ,Da käme ich ja auch wohl wieder zu Ehren!’ rief er lachend. – Und wirklich, die Versöhnung der beiden langjährigen Nachbarn war denn noch die Krone meines Werkes. Freilich, als dabei der Schulmeister so etwas wie einen Triumphton anstimmen wollte, fuhr der Bauer auf: ,Red’t nicht so viel, Schulmeister! Es könnt mir leid werden!’ Und seitdem genossen wir weislich unseren Sieg im stillen.
Schon am ersten Morgen hatte ich beschlossen, der Verfolgung des Dämon Amor durch rasche Flucht ein Ziel zu setzen. Nun schrieb ich meiner Schwester, die seit kurzem Witwe war, und schlug ihr vor, mit mir hierherzuziehen; und als ihre Zustimmung nach einigen Tagen erfolgte, so war das Fundament dieses wackeren Hauses damit gelegt.
Noch acht Tage blieb ich in dem Dorfe und streifte mit meinem neuen Schüler, der nun plötzlich in reiner Lebensluft atmete, plaudernd und arbeitend durch Berg und Wald. Ich wurde mit jedem Tag gesunder; die freie Luft, das derbe praktische Leben um mich her taten mir wohl. Hier war einmal eine Welt ohne jene betörende Liebe; die Mädchen heirateten, je nachdem, eine ganze, halbe oder viertel Hufe; die respektiven Besitzer gingen mit in den Kauf; – scheußliche Kerle, sag ich dir, mitunter. Mein Bauer war auch mit einem solchen Schwiegersohn versehen; der Mensch war überdies ein Trunkenbold.
Am letzten Abend meiner dortigen Sommerfrische kam die Frau, die übrigens nichts mit ihrem Bruder Paul gemein hat, zu dem Hause ihres Vaters, wo ich mit diesem auf den großen Steinen vor der Torfahrt saß. Sie hatte eines ihrer Kinder auf dem Arm, bei dessen Entstehung auch nicht die Grazien geholfen, dem sie aber doch mit mütterlichem Behagen das Näschen mit der Schürze schneuzte. – Die Frau stellte sich grade vor den Alten hin. ,Vater’, sagte sie, ,‘s ist nicht mehr zum Aushalten!’
Der Alte blieb ruhig sitzen, tat einen Zug aus seiner Pfeife und fragte: ,Wo steckt’s denn schon wieder einmal?«
,Wo es steckt?’ rief das Weib; ,der Kerl ist alle Tage dick und voll!’
,Sonst nichts?’ meinte der Alte. ,Das haben wir schon allzeit gewußt.’
,Macht keinen Spaß, Vater; das paßt sich nicht dazu!’
,Ei was’, rief der Bauer, indem er aufstand und ins Haus ging. ,Du mußt ihn eben schleißen; ich hab’s dir vorhergesagt; ‘s hat alles sein End in der Welt!’
Ich fiel über diese Worte in einen Abgrund der Betrachtung. Wem denn, als mir selber, lag die Verpflichtung näher, meine eigene werte Person zu schleißen? – Freilich, wenn es vollbracht war, ich konnte keine Hufe dabei gewinnen; wenigstens keine irdische zu zehntausend Talern Steuerwert. Aber dennoch! – Und am Ende, war denn das Körperchen wirklich so übel? Hatte es mir nicht schon einen wesentlichen Dienst geleistet? Ich dachte an die Prügel des armen Paul. Hätte mein Vater mich nicht unzweifelhaft zum Schiffsmaat geprügelt, wenn ich mit solchen Gliedmaßen auf die Welt gekommen wäre?
Als ich aus der Tiefe dieser Schlußfolgerungen auftauchte, sah ich das Weib schon wieder ruhig plaudernd bei einer Nachbarin stehen, und auch der Alte saß wieder, seine Pfeife schmauchend, neben mir. ,Was simulieret Ihr denn, Herr Brunken?’ sagte er, als ich mit der Hand mir die Gedanken aus den Augen wischte.
,Ich simuliere’, erwiderte ich, ,Vater Werner, man soll sein Leben aus dem Holze schnitzen, das man hat.’
,Da habt Ihr wacker recht’, sagte der Alte und nickte dazu ein paarmal derb mit seinem harten Kopfe. – Und siehst du, Arnold«, so schloß Freund Brunken seine Erzählung, »diese gute Lehre, die ich zuletzt noch auf den Weg bekam, habe ich festgehalten; ich würde mich jetzt ohne Gefahr sogar den schönen Augen deines Mühmchens aussetzen können.«
»Vielleicht um so mehr«, versetzte ich, »wenn du erfährst, daß sie inzwischen deinen Freund, den Assessor, geheiratet hat.«
Er stutzte doch einen Augenblick. »Ich lasse ihr Glück wünschen«, sagte er dann, »möge sie es nie vermissen! Denn, nichts für ungut, dein Herr Vetter gehört denn doch zu jener Sorte – nun, wir kennen sie sattsam; verderben wir uns die gute Stunde nicht!«
Ich lachte.
»Gehen wir lieber einmal in meine Werkstatt, die du noch nicht gesehen hast«, fuhr er fort, »dort kann ich dir auch die Illustration zu meiner Geschichte zeigen.«
Und so schlenderten wir durch den blühenden Garten nach dem Hause zurück, und betraten bald im oberen Stockwerk ein geräumiges Zimmer mit der ganzen Ausstattung eines rüstigen Malerlebens. Als Brunken die grünen Fenstervorhänge zurückgezogen hatte, entwickelte sich eine reiche Bilderschau; aber er faßte meinen Arm. »Das nachher«, sagte er, und führte mich vor ein kleines Bild, das seitwärts auf einer Staffelei lehnte.
Es war fast dasselbe, wie