Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Storm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027203963
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Jungen versetzte mich in die tiefste Beschämung. So viel stand fest, ich mußte ihn kennenlernen; vielleicht daß ich ihm helfen konnte.

      ,Schulmeister’, sagte ich endlich, ,ich bin krank gewesen, es würde mir gut tun, ein paar Wochen auf dem Lande zu leben. Könntet Ihr mir wohl Quartier geben?’

      Daß ich ein Maler sei und allerlei für meine Mappen einzusammeln gedachte, verschwieg ich wohlweislich noch; und so war denn auch bald, ,wenn ich nur fürlieb nehmen wollte’, ein Kämmerchen bei den kinderlosen Leuten für mich bereit. Freilich ließ ich mit einigen Kleidungsstücken auch mein Aquarellkästchen aus der Stadt kommen; aber das blieb vorläufig in dem Reisesack verborgen; auf meinen ersten Streifereien behalf ich mich mit dem Bleistift, womit ich denn noch am selben Nachmittage die Trinkgrube mit dem rettenden Lederschuh zum dankbaren Gedächtnis in mein Taschenbuch eintrug. Am Abend wagte ich mich unter die Dorfleute und endlich auch zu dem alten Kunstfeinde gegenüber, der rauchend in der großen Torfahrt seines Hauses stand. Ich begann ein Gespräch über den Stand der Ernte, ging dann auf die neue Steuer über, schimpfte etwas Weniges auf die Regierung, und so wurden wir bald bekannt. Es ist ein alter knorriger Kerl; du sollst ihn nachher in meiner Mappe sehen, worin er ohne Wissen und Willen hat Platz nehmen müssen. Von dem Sohne sah ich nichts und hütete mich auch wohl seiner zu erwähnen. – Am Abend darauf, nachdem ich den Tag im nahen Walde in Gesellschaft gehöriger Butterschnitte der Frau Schulmeisterin verbracht hatte, war ich wieder zur Stelle, und ebenso am dritten und am vierten Abend; der Alte schien diesmal in einer nachdenklichen Stimmung; er saß ohne seine Pfeife auf dem Stein vor seinem Hause und antwortete kaum auf meine noch so wohlüberlegten Gesprächseinleitungen.

      ,Wer weiß’, dachte ich endlich; ,vielleicht ist’s just der rechte Augenblick.’ So fragte ich ihn denn gradezu nach seinem Sohn. ,Ist er nicht zu Hause?’ fügte ich hinzu. ,Ich habe ja noch nichts von ihm gesehen.’

      Da brach’s hervor; mit der geballten Faust drohte er nach dem Schulhause hinüber: ,Der Haselant mit seinen hergelaufenen Faxen!’ rief er. Und nun klagte er mir seine Not, während zwischendurch immer Flüche auf den armen Schulmeister fielen. ,Der hätte die Prügel haben sollen, die der Junge gekriegt hat; denn bei dem hat’s nichts geholfen.’

      ,Was macht Euer Sohn denn jetzt?’ fragte ich.

      Der Alte schob die Pudelmütze übers Ohr. ,Das ist ein wunderlich Spiel’, versetzte er, ,seit er die Dummheit da begangen, ist er mir wie ausgewechselt; als ich ihn gefragt habe: ,Was willst du denn nun eigentlich, Paul?’ hat er geantwortet: ,Was Ihr wollt, Vater, mir gilt’s gleich!’ Aber gesprochen hat er kein Wort, und nach dem Abendbrote geht er auf seine Kammer; ob er dort schläft oder wacht, ich weiß es nicht. Seht – dies Wesen will mir ebensowenig gefallen. Was meint Ihr, wenn Ihr einmal ein vernünftig Wort mit ihm zu reden suchtet? Ihr könntet mir einen rechten Dienst erweisen; ich selbst verstehe die Worte nicht so zu setzen.’

      Der Mann sah erwartungsvoll zu mir auf; die Sorge um sein Kind stand leserlich in seinen harten Zügen.

      ,Aber’, erwiderte ich, ,wenn er nun wieder von seiner Malerei beginnt?«

      ,Solch dummes Zeug müßt Ihr ihm eben auszureden suchen!’

      ,Aber weshalb denn sollte er nicht Maler werden?’

      ,Weshalb? – Er hat eine volle Hufe; er braucht so brotlose Künste nicht zu treiben.’

      Ich wagte einen kühnen Schritt. Als ich meine Wohnung verließ, hatte ich in dem Gedanken, sofort in die weite Welt zu laufen, meine paar Kassenscheine in mein Taschenbuch gesteckt. Jetzt zog ich es hervor und schlug es vor dem Alten auf.

      ,Was soll’s?’ sagte er, ,das ist ein Päckchen Funfzigtalerscheine.’

      ,Das’, erwiderte ich, ,ist mit der brotlosen Kunst verdient.’

      ,Wie meint Ihr das?’

      ,Ich meine, daß diese dreihundert Taler der halbe Preis meines letzten Bildes sind; denn ich bin eben auch nur ein Maler.’

      Der Alte sah mich fast erschrocken an. ,Ihr?’ sagte er; ,da wäre ich ja an den Rechten gekommen! Im übrigen’, setzte er hinzu indem er mich mitleidig von oben bis unten musterte, ,ist das ein ander Ding; mein Junge hat gesunde Gliedmaßen.’

      ,Nun, gute Nacht, Nachbar!’ sagte ich und machte Miene fortzugehen.

      Aber er rief mich zurück. ,Auf ein Wort noch, Herr Brunken’, begann er wieder, dreihundert Taler, sagtet Ihr? Und nur die Hälfte? Wie lange macht Ihr denn an solch einem Bild? – Wird wohl langsame Arbeit sein?’

      Als ich ihn über dieses Bedenken beruhigt hatte, stützte er erst den Kopf in die Hand; dann zog er seine Pfeife aus der Tasche, schlug Feuer und rauchte eine ganze Weile eifrig, aber schweigsam fort. Hierauf folgte eine lange Auseinandersetzung zwischen uns; der Alte meinte, der Junge sei für den Acker da, und ich meinte, der Acker sei für den Jungen da; endlich, als ich ihm auch noch die pausbackige Nachkommenschaft seiner im Dorf verheirateten Tochter zu Gutserben designiert hatte, erhielt ich die Erlaubnis, nach meinem Guthalten mit seinem Sohne zu sprechen. ,Nun macht’s wie Ihr könnt’, schloß der Alte diese Verhandlung; ,und damit hopp und holla! Ich führ selbst in die Grube, wenn ich dem Jungen sein tot Gesicht noch länger ansehen sollte.’

      Eine Stunde später, während welcher die Arbeiter vom Felde zurückgekehrt waren, stand ich vor dem Schulhause und blickte nach des Nachbars Garten hinüber, wo trotz des Johannisabends noch eine Nachtigall in den Holunderbüschen schlug. Da verstummte mit einemmal der Vogelgesang; statt dessen hörte ich Kinderstimmen, und bald sah ich auch ein paar Knaben und ein kleines Mädchen durch die Gartenpforte auf den Weg hinausrennen. Draußen blieben sie stehen und wiesen mit den Fingern auf kleine Papierblättchen, von denen jedes mehrere in Händen hatte; dann gingen sie wieder eine Strecke fort und setzten sich unweit unter einen Zaun am Wege, wo es an ein neues Zeigen und Beschauen ging.

      Ich konnte den Zusammenhang dieses Vorganges leicht erraten; und richtig, als ich zu ihnen gegangen, sah ich, daß es lauter bunte Bilderchen waren. ,Wer hat euch die geschenkt?’ fragte ich.

      Sie glotzten mich scheu von der Seite an; nur das kleine Mädchen antwortete endlich auf meine wiederholte Frage: ,Paul Werner!’

      Ich sah mir die Sachen an. Es war ungeschicktes Zeug aus allen vier Naturreichen; eine Kuh, die mit dem Schwanze sich die Bremsen wegpeitscht; ein alter Felsblock; ein Bienenstand mit einem Hund davor und dergleichen mehr; aber aus allem blickte in kleinen Zügen, was ich selber nie so ganz besessen, jenes instinktive Verständnis der Natur; es war alles, so unbehülflich es auch war, dennoch, ich möchte sagen, über das Zufällige hinausgehoben.

      Du weißt, der Mensch ist nun einmal eine Kanaille; – und so begann sich denn auch in mir ein ganz lebenskräftiger Neid gegen diesen Bauerburschen zu regen. Da ich mich aber mit Naturdämonen schon hinlänglich behaftet fühlte, so entschloß ich mich kurz diesen neuen Kameraden sofort in der Geburt zu ersticken.

      Zum Glück hatte ich einige blanke Münzen bei mir, mit denen es mir bei den Knaben sofort gelang ihnen einige der Blätter abzuhandeln. Nachdem mir beim Nachhausekommen auch der Schulmeister bestätigt hatte, daß diese Bilder von der Hand seines jungen Schülers seien, verbarg ich für diesen Abend die eroberten Schätze in meinem Skizzenbuch.

      Am andern Morgen trat ich früh mit der Sonne meine gewöhnliche Wanderung an. Als ich an der Kirchhofsmauer entlang ging, sah ich jenseit derselben einen jungen Mann auf einem Grabe sitzen. Während ich durch das Kreuz der Kirchhofspforte trat, wandte er den Kopf zu mir, und ich sah nun zum erstenmal in jenes blasse Antlitz mit den tiefliegenden Augen, welche das Wesen der Dinge einzusaugen scheinen; mit einem Wort, ich sah den Jungen, in dessen aufstrebender Kunst ich jetzt fast mehr lebe als in meiner eigenen. Aber während ich auf ihn zuging, stand er auf und entfernte sich nach der andern Seite des Kirchhofs; er überschritt den Fahrweg jenseit desselben und entschwand meinen Augen zwischen den Bäumen eines anliegenden Gehölzes. Ich ging zu dem Rasenhügel, den er soeben verlassen, und da ich hier auf dem Grabsteine den Familiennamen unseres Nachbars las, so wußte ich auch, daß ich Paul Werner auf dem Grabe seiner Mutter gesehen hatte. Jetzt machte ich lange Beine; du weißt, daß ich diese Fähigkeit besaß, die mir