Eine leise Stimme ließ sie innehalten.
»Was bist du nur für ein Mensch, Tina? Und ich – wie alle unsere Bekannten – glaubte, du wärest meine Freundin und dir läge etwas an mir! In Wahrheit wolltest du mir böse schaden, indem du meinen Verstand auf Dauer zu schädigen versuchtest und mich damit zu einer Halbtoten gemacht hättest! Pfui! Welche Enttäuschung dein mieser Charakter doch ist! Du bist einfach nur gemein und ich möchte dich in meinem ganzen Leben nie mehr sehen!«
Maja war während der nicht gerade leise verlaufenen Auseinandersetzung zwischen Tina und der beherzten Oberschwester endgültig aufgewacht und hatte den Streit beider Frauen mit Interesse verfolgt.
Tina Maurer war im ersten Augenblick sehr unangenehm berührt, als sie sich von Maja ertappt sah und zog es vor, fluchtartig das Krankenzimmer und die Klinik zu verlassen.
*
Majas endgültige Genesung sollte groß gefeiert werden. Geradezu perfekt bot sich für diesen Anlass Rolf Fechners Villa am Starnberger See an. Mittlerweile war seine Lebensgefährtin Claudia Ritter zu ihm gezogen; die Münchner Wohnung in Schwabing hatte sie behalten und ihrem Sohn Jens zur Miete überlassen. Der wiederum bildete mit seiner Freundin Simone und einem weiteren Kommilitonen eine Wohngemeinschaft.
Eine ganze Schar Besucher hatte sich angekündigt; in der Hauptsache Lehrerkollegen Majas, sowie Freunde und Bekannte aus Bernds Arbeitsumfeld, neben einigen Verwandten, die in der Nähe Münchens lebten.
Am meisten freute Maja sich über Peter Daubners Kommen. Der Ärmste hatte immer noch schwer an Tinas Charakter zu knabbern. Kaum hatte er von ihren Manipulationen erfahren (die er persönlich zwar für kompletten Unsinn hielt), hatten ihn jedoch die schäbigen Beweggründe seiner Freundin derart abgestoßen, dass er sich auf der Stelle von ihr getrennt hatte.
»Du hast schwer abgenommen, mein Lieber«, flüsterte Maja Peter ins Ohr, als er sie zur Begrüßung umarmte. »Ich wünschte, du würdest dir Tinas Verhalten nicht so sehr zu Herzen nehmen! Obwohl ich sagen muss, dass dir die neue schlanke Linie ausnehmend gut steht!«
Bernd schlug seinem ältesten Freund auf die Schulter und stellte fest: »So hat das Ganze doch wenigstens etwas Gutes: Du bist der attraktivste Single auf der gesamten Party!«
Peter grinste und fasste die verschmitzt grinsende Maja scharf ins Auge: »Nicht doch, meine Liebe!«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich weiß genau, was du vorhast! Aber, um mich erneut zu verkuppeln, musst du noch etwas Zeit verstreichen lassen. Im Augenblick liegt mir noch die Pleite mit meiner Ex schwer im Magen. Das will erst einmal verdaut werden!«
Natürlich stand Maja, »die Wiederauferstandene«, »die »Neugeborene« im Mittelpunkt der Fete. Obwohl sie ehrlich gestanden, am liebsten gar nicht mehr darüber geredet hätte, hatte sie für das Interesse und für die Neugier aller Anwesenden volles Verständnis.
Man konnte es drehen, wie man wollte: Letztlich hatten auch die Ärzte nicht verstanden, wie genau es zu ihren »Ausfällen« und zu den wirren Begebenheiten, die sich am Ende alle als mehr oder weniger verrückte Träume entpuppt hatten, gekommen war.
Hatte tatsächlich die übel wollende Konkurrentin Tina das Ganze kraft ihrer schwarzen »Hexenkräfte« verursacht, war Hypnose im Spiel gewesen, durch die es gelungen war, ein an sich gesundes, unverletztes Gehirn so durcheinander zu bringen, dass ein Mensch entweder fast andauernd schlief und eigenartige Träume hatte oder, falls er erwachte, die Realität nicht mehr wahrnahm?
Die Klinikärzte hatten das mehrheitlich strikt verneint. Einzig der Chefarzt schien der abenteuerlichen Erklärung nicht ganz so abhold zu sein??wie …
Claudias Hausarzt, Joachim Kremer, hielt Tinas »Täterschaft« immerhin für möglich und ihr ehemals behandelnder Neurologe, Doktor Mehmet Kurtuluz, der sie (vor gut fünf Jahren!) nach einem überraschend erfolgten Schlaganfall behandelt hatte, behauptete seelenruhig, derartiges wäre ihm in seiner Eigenschaft als Psychiater bereits mehrfach untergekommen …
Übrigens: Majas Unfall, verursacht von einem angetrunkenen Autofahrer, hatte sich nicht in den Sommerferien ereignet, sondern hatte kurz vor Weihnachten stattgefunden. So überraschte es auch niemanden auf der Fete, dass Bernd seiner Verlobten den Vorschlag unterbreitete, nach ihrer zu Pfingsten geplanten Hochzeit die übliche Hochzeitsreise als sommerliche Bergwandertour in den österreichischen Alpen zu unternehmen – was durchaus auf Majas Einverständnis stieß.
»Vorausgesetzt, Liebster, meine Beine sind bis dahin wieder topfit!« Dann lächelte sie schelmisch. »Wer weiß, vielleicht ist Peter mit von der Partie? Ich hätte jedenfalls schon eine passende Partnerin für ihn im Auge!«
Niemand war in ihrer Nähe, sie war ganz allein hier. Die ersten Sterne flimmerten nun am Firmament, ein Kauz schrie ganz in der Nähe klagend. Es raschelte im Unterholz, und der kalte Wind bog die Weiden, die verzweifelt zu seufzen schienen. Es war eine unheimliche Atmosphäre. Sarah beschloss umzukehren. Sie hatte sich offenbar getäuscht, denn hier war außer ihr niemand. Also dirigierte sie ihr Pferd in die entgegengesetzte Richtung und trieb es ein wenig an, denn sie wollte nun schnell zurück nach Ivy-House. Das Moor hatte bei Dunkelheit eine bedrückende Ausstrahlung, die Sarah nicht gefiel. Sie hatte bereits ein gutes Stück Weg zurückgelegt, als ihr Pferd völlig unvermutet scheute und sogar wiehernd auf die Hinterhand stieg. Sarah war von Kindesbeinen an eine geübte Reiterin. Doch es geschah so schnell und ohne Vorwarnung, dass sie nicht in der Lage war, darauf zu reagieren. Im nächsten Moment rutschte sie aus dem Sattel und fiel kopfüber zu Boden. Sie spürte einen harten Schlag an der Stirn, sah Sterne und verlor gleich darauf das Bewusstsein. Ihr Pferd rannte panisch davon. Es dauerte nicht lange, dann näherten sich Schritte der Bewusstlosen. Jemand beugte sich langsam über sie ...
Der Himmel über Harper-Island hatte sich an diesem Sommerabend mit Schleierwolken bezogen. Nach einem warmen Tag, dem die Seeluft hier, auf einer der Scilly-Islands vor der Spitze von Cornwall, die stickige Hitze genommen hatte, wurde es nun mit dem auffrischenden Wind, der landwärts blies, recht kühl.
Harper-Island war seit langer Zeit Privatbesitz. Das Eiland vor der Küste, südwestlich von Plymouth, war die größte der Scilly-Inseln. Der Blick ging südlich über das Meer bis Brest und in entgegengesetzter Richtung auf die Spitze Cornwalls, das sogenannte Land’s End.
Die Insel besaß einen kleinen Privathafen, von dem aus eine Straße nach ››Ivy-House‹‹ führte. Das prächtige Herrenhaus aus der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts wurde von zahlreichen Nutzgebäuden eingerahmt. Es gab Stallungen, mehrere Freigehege, Wirtschaftsräume und auch ein separates Wohnhaus für die Bediensteten. Der parkähnliche Garten, der ››Ivy-House‹‹ umgab, ging in die freie Landschaft über. Hinter dem Gebäude erstreckte sich ein kunstvoll angelegtes Parterre de Broderie, ganz im Stile der französischen Könige gehalten. Daran schlossen sich weite Rasenflächen mit stilsicher bepflanzten Borders an, über die unzählige mächtige Eichen, Buchen und Sumpfzypressen ihre Kronendächer spannten. Diese urzeitlich anmutenden Baumpatriarchen zeigten zugleich den Übergang vom Park in die freie Landschaft an. Dahinter schloss sich in westlicher Richtung eine Steilküste an, im Osten dagegen wurde das Land hügelig, beherrscht von niedrigen Bäumen und Gebüsch. Und schließlich im Herzen der Insel ein ausgedehntes Moorgebiet, das so tückisch war, dass die Bewohner der Insel es mieden.
Es gab viele Legenden, die sich um diesen Landstrich rankten. Meist spielten harmlose Reisende oder Wanderer darin die Hauptrolle. Vom Weg abgekommen verirrten sie sich im Moor und versanken schließlich im Morast des so genannten schwimmenden Landes. Oft waren dabei übernatürliche Kräfte im Spiel. Die Geschichten, die man sich in einer stürmischen Winternacht bei einem Pint Ale