Puppenhaus und Zinnsoldat. Katrin Unterreiner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katrin Unterreiner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783902862365
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den Rat eines Fachmannes einzuholen. Der engste Vertraute in Fragen der Gesundheit aber auch in zwischenmenschlichen Belangen war damals der Hausarzt. Er kannte die Leiden und Nöte aller Familienmitglieder, half erbliche Belastungen eines Familienangehörigen zu vertuschen, oder kompromittierende Krankheiten zu verheimlichen und war auch in Fragen der Aufklärung des Nachwuchses behilflich. Sein Rat war hier aber auch in medizinischer Hinsicht bedeutend. Zu einer Zeit, die beherrscht war von unheilbaren Krankheiten wie Syphilis und Tuberkulose, musste der Arzt die einwandfreie Gesundheit der Amme gewährleisten.

      Selbst wenn die Amme diese Voraussetzungen erfüllte und ein freundliches Wesen hatte, war verantwortungsvollen Pädagogen inzwischen klar, dass der zunehmende Rückzug der bürgerlichen Mütter aus der Kinderpflege und Erziehungsarbeit aus Prestigegründen langfristige Folgen haben würde:

      Wenn es aber in manchen Familien als guter Ton und als eine selbstverständliche Sache betrachtet wird, daß jedes Kind unter allen Umständen eine Amme haben müsse: so wird eine solche Anschauungsweise von der Erziehungslehre immer zu den Beklagenswertesten Thorheiten gerechnet werden. Selbst eine Königin kann kein edleres und ehrenvolleres Werk thun als ihrem Kinde die erste Nahrung darreichen. Das Ammenwesen aber kann jedenfalls nur als ein nothwendiges Uebel betrachtet werden, und seine Verbreitung dürfte mit dem physischen und moralischen Verfall eines Volkes gleichen Schritt halten.21

      War das Kind abgestillt, so blieb die Mutter weiterhin für die gesunde Ernährung und die Körperpflege verantwortlich. Ganz im Sinne der auf Mäßigung und Kontrolle der Triebe ausgelegten Erziehung sollte das Kind

      blos erhalten, was seiner Natur zuträglich ist, nicht aber, was die Verdauungsthätigkeit und damit die Gesundheit stört oder Begehrlichkeit und Naschhaftigkeit hervorruft. Sobald man das Kind aus den Schranken der Einfachheit, Enthaltsamkeit und Bescheidenheit herauszieht, untergräbt man sein stilles Lebensglück und seinen harmlosen Frohsinn.22

      Die Kost des Kindes war daher einfach zusammengesetzt. Milch, Eier, Brot und Fleisch wurden als vorzügliche Nahrungsmittel angepriesen, Gemüse – aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar – hingegen weniger: »Geringen Werth haben alle Gemüsearten, da sie sehr viel Wasser und unverdauliche Pflanzenstoffe enthalten.« Auch Obst habe wenig Nährwert und solle von Kindern »mäßig und vorsichtig genossen« werden.23

      Als Getränk stand an oberster Stelle Wasser. Milch galt ebenfalls als gesund. Auch Kakao war vertretbar, nicht hingegen Kaffee und Tee, da beide »aufregend und erhitzend« wirken. Erstaunlich hingegen der relativ sorglose Umgang mit alkoholischen Getränken, wenn man auch vor starken Alkoholika wie Schnaps oder schwerem Wein warnte: »Ein Gläschen guten, nicht zu starken Bieres, auch einige Tropfen leichten Weines kann man größeren, nicht sehr lebhaften Kindern dann und wann unbedenklich reichen.«24

      Hygiene und Körperpflege fielen ebenfalls in das Ressort der Mütter. Hier stand nicht wie bei der Ernährung Mäßigung und Einfachheit im Vordergrund, sondern Abhärtung. Die Körperpflege umfasste bei Säuglingen ein tägliches Bad, bei älteren Kindern zwei Vollbäder in der Woche. Dabei war genau auf die Temperatur des Badewassers zu achten, diente doch auch das Baden nicht etwa dem leiblichen Genuss, sondern war letztendlich Erziehungsmittel. Durfte die Temperatur zunächst noch 27 bis 28 Grad Réaumur (etwa 35 Grad Celsius) betragen, so sollte sie stufenweise herabgesetzt werden, bis zu einer Temperatur von 16 Grad Réaumur (etwa 20 Grad Celsius):

      Wenn ein Kind bis zum schulpflichtigen Alter nach und nach an Wasser von etwa 16 R gewöhnt ist, so hat man ein sehr günstiges Resultat erreicht, bei dem man bis zur Anwendung von Flußbädern stehen bleiben mag.25

      Billigte man der Mutter zwar die erste Rolle bei der »Leibespflege« und der »Gemüthsbildung« zu, so sollte der Vater dennoch überwachend »… ihr Rathgeber und Beistand sein und namentlich die Elemente der Strenge, Charakterfestigkeit, Thatkraft und Beständigkeit zur Geltung bringen.«26

      DIE »GEMÜTHSBILDUNG«

      Nicht nur das rein körperliche Wohlergehen des Kindes, sondern auch die erste soziale Erziehung sollte in den Händen der Mütter liegen. Hatte sie für »Reinlichkeit, frische Luft und Sonnenschein, Bewegung, kräftige Kost, jeder Jahreszeit entsprechende bequeme Kleidung« gesorgt, musste sie »zugleich den Grund legen zur ästhetischen Erziehung ihres Kindes. Das Gute, das Schöne und das Wahre, das die Grundlage jeder Charakterentwickelung bilden sollte, muß von der Mutter zuerst auch in der kleinsten Regung ihres Kindes beobachtet, gestärkt und entfaltet werden. Hier hat sie ihm zugleich die erste geistige Nahrung zu bieten, auf deren kräftigende Beschaffenheit es nicht weniger ankommt, als auf die der körperlichen.«27

      Hier begann nun die anstrengende Erziehungsarbeit, galt es doch das Kind zu fördern, ihm spielerisch beizubringen, was richtig und was falsch war und es von Fehlverhalten und Ungezogenheiten mit einem Lied oder Spiel abzulenken, wie die pädagogischen Ratgeber nicht müde wurden zu raten. Das Kind musste beschäftigt werden, um es von Dummheiten abzuhalten:

      … wachsen sie heran, so muß es das Hauptaugenmerk der Mutter sein, sie nicht träge sich in Ecken und auf Stühlen herumdrücken zu lassen. »Spiele oder arbeite, aber thue etwas!« dies scheint uns eine der ersten, aber leider oft sehr vernachlässigten Erziehungsmaximen zu sein und darauf hat die Mutter um so mehr unablässig zu achten, als sie zum Erziehen immer Zeit haben muß, ihr mütterliches Auge ohne Unterbrechung die Regungen des Kindes zu beobachten hat. Zieht man es aber statt dessen vor, die Kinder zu kleinen Modeaffen herauszustaffiren, den äußeren Menschen aufzuputzen und den Inwendigen darüber zu vergessen, da hat man freilich kaum ein Recht mit dem heiligen Mutternamen begrüßt zu werden.28

      Ständige Beschäftigung und Überwachung schien unabdingbar. Gleichzeitig sollten trotz aller Anforderung an die Mütter und Kinder diese sich bis zum sechsten Lebensjahr ungestört entwickeln, die Mutter sollte es nur sanft anleiten und sozusagen unmerklich lenken. In erster Linie sollte nicht so sehr ihr Tun als ihr Vorbild vor allem auf ihre Töchter erzieherisch wirken, denn fehle dieses, käme es zur Katastrophe:

      Für das Mädchen insbesondere gibt es fast kein wichtigeres Erziehungsmittel, als das Beispiel. Seine leicht erregbare Natur nimmt die guten wie die schlechten Eindrücke mit überraschender Schnelligkeit in sich auf, und wo der Sohn einer unwürdigen Mutter nur darbt und entbehrt, da wird die Tochter schon zu Grunde gerichtet. Wie manchen Stein wirft die Welt auf eine kokette und leichtsinnige Frau, und fragt man dann nach ihrer Mutter, nach den Verhältnissen, in denen sie ihre Kindheit und erste Jugend verlebte, so verwandelt unsere Entrüstung sich häufig in ein tiefes Mitleid.29

      KÖRPERLICHE ZÜCHTIGUNG

      Um die Erziehungsziele Mäßigung, Gehorsam und Selbstzucht gegenüber widersetzlichen, ungehorsamen Kindern durchzusetzen, bediente man sich der Belohnung und der Bestrafung. In der Praxis bedeutete dies, dass der Vater nicht mehr nur beratende Funktion, sondern immer mehr die Rolle der moralischen Instanz, der unumstößlichen, Furcht einflößenden, strafenden Autorität einnahm.

      Die berufstätigen Väter hielten sich naturgemäß die meiste Zeit außerhalb des Hauses auf. Da die Abendmahlzeit von den Kindern zeitig, allein oder unter Aufsicht der Kinderfrau eingenommen wurde, blieb lediglich das gemeinsame Mittagsmahl, um die Kinder anzutreffen. Diese gemeinsamen Mittagessen gestalteten sich für die Kinder allerdings nicht als fröhliches, familiäres Beisammensein, sondern vielmehr oft als Gerichtssitzung über ihre Fortschritte und Verfehlungen, wie Friedrich Friedländer, Chronist der Monarchie, sarkastisch bemerkte:

      Da muß der Papa also beim Mittagessen seine pädagogischen Künste produzieren, was ihm weniger den Appetit verdirbt als den Kindern. Alle sonst weise beherrschten Tyranneninstinkte lassen die guten Väter bei den gemeinsamen Mahlzeiten an ihrer lieben Familie aus. Wie die Götter und die echten Tyrannen sind sie launenhaft und unberechenbar, und alle Vorwürfe, die ihnen ihr Gewissen darob vielleicht machen mag, weisen sie mit dem Argument zurück, daß es ihnen auch nicht besser gegangen ist und daß es ihre Pflicht ist, ihrer Familie den Herrn zu zeigen.30

      Was man sich