Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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unglaublich Komische an der ganzen Geschichte, daß es kein Kadaver war, sondern ein wirklicher lebendiger Mensch, der betrunken aus der Stadt mit einem Sarge kam. Da er betrunken war und sehr schläfrig, hatte er den Sarg vom Wagen herunter geschleppt, das Pferd laufen lassen und sich in den Sarg hineingelegt, um seinen Rausch in Schönheit auszuschlafen.

      Marit lachte herzlich.

      – Das war wirklich komisch.

      – Gott, wie mich das freut, daß ich Sie zum Lachen gebracht habe. Nein; Sie müssen lachen, den ganzen Tag müssen Sie lachen; ja, wir werden beide ganz wie Kinder sein, und ich werde gut bleiben, wie jetzt. Oder bin ich etwa nicht gut? Ja doch. Schön; so gut bleib ich den ganzen Tag, niemals werd ich mehr so garstig sein wie gestern.

      Falk lachte ihr zu, dann wurde er ernst; er sah sie tief an. Gott, wie dies Menschenkind herrlich war!

      – Marit, mein Liebling, ich möchte mich wie ein Teppich unter Ihre Füße legen, ich möchte mich ...

      Nein, nein; ich werde nicht mehr über diese Dinge reden.

      Falks Augen wurden feucht. Marit blickte mit unaussprechlicher Liebe in sein Gesicht.

      – Er solle sich nicht quälen. Nein, das könne sie nicht sehen. Sie werde ganz krank davon. Wolle er, daß sie leide?

      – Nein, nein, Marit; ich bin ja wieder lustig.

      Beide schwiegen.

      – Ob er nicht ein wenig spazieren gehen möchte, am See entlang?

      – Ja, das wolle er sehr gern.

      Es war ein herrlicher Frühlingstag.

      Vor ein paar Tagen war es plötzlich grün geworden. Die Bäume trieben Blätterkeime, die Saat wuchs zusehends, und die Anhöhen am anderen Seeufer bäumten sich empor in der saftigen Pracht ihres jungen Rasens.

      Sie gingen und ihre Füße versanken im weichen, feuchten Sand.

      Falk schwieg; von Zeit zu Zeit sammelte er Steine am Ufer und warf sie flach über den Seespiegel hin. Sein Gesicht wurde ernster und ernster, wie das eines Menschen, der einen tiefen Gram beherbergt.

      Er ging und sah vor sich hin, dann sammelte er wieder platte Steinchen und warf sie auf das Wasser.

      Marit sah ihn immer trauriger an.

      – Nein, er solle sie nicht so quälen. Warum spreche er denn nicht? Sie könne diese furchtbaren Pausen nicht aushalten.

      – Ja, ja, ja ... Falk schien aufzuwachen. Ja; gleich, sofort! Nun, er werde ihr wunderbare Dinge erzählen ...

      Er lachte übertrieben lustig.

      – Also von Paris, nicht wahr? Dort habe er große Menschen getroffen. Ob sie denn überhaupt wisse, was ein großer Mensch sei? Doch? Nun, dann brauche sie wohl keine Erklärungen.

      Lustig sind die großen Menschen, Fräulein Marit, das können Sie mir glauben; ich habe sehr viele von ihnen getroffen. Namentlich der Eine, o! der war ungemein merkwürdig. Er haßte die Weiber, weil er sie so maßlos liebte. Er war, verzeihen Sie mir den Ausdruck, aber er ist so bezeichnend, er war wie ein toller Hengst.

      Nein, nein, sie solle solche Worte nicht mehr von ihm hören. Nein, nicht diese Geschichten. Er wisse ja: sie sei eine gute, brave Katholikin, und der Ausdruck stamme wahrhaftig nicht von den heiligen Vätern ab.

      – Der große Mann also – warten Sie doch ein wenig, ich werde nichts schlimmes sagen; diese Dinge gehören nur zur Psychologie dieses Mannes. Er war nämlich merkwürdig paradoxal. Er wollte alles anders tun, als sonstige Menschen. So sagte er sich: wozu soll ich mit dem Teleskop auf den Mond schauen, das kann ich ja ebenso gut mit dem Mikroskop tun.

      Nein, haben Sie aber ein wunderbares Kleid an; o, ich liebe es sehr; ja, erinnern Sie sich, ich liebte es schon im vorigen Frühling.

      Nun, also der große Mann nimmt ein Mikroskop, träufelt darauf einen Tropfen Quecksilber und schaut auf den Mond. Ja, nun das Merkwürdige: Der Mond erscheint ihm selbstverständlich in sonderbarer, verschwommener Gestalt. Aber Herr Gott, sagt sich der große Mann plötzlich: der Fleck da, ist das nicht Europa? und dort, dieses viereckige Ding, das ist ja das leibhaftige Australien.

      Gott, wie Sie wunderbar lachen! Wissen Sie, Sie bekommen dabei eine so wunderbare, zarte Vertiefung um die Augen ...

      Nein, Sie haben recht: ich will zu Ende erzählen. Der große Mann zieht also mit der ihm eigentümlichen Genialität aus seinem Befunde folgende Konsequenz: Der Mond hat keine Krater ... Sie wissen doch, daß der Mond Vulkane haben soll? Nun, der große Mann sagt, es sind keine Krater, keine Vulkane: der Mond ist einfach mit einer glatten Kiesschicht überdeckt und unsere Erde spiegelt sich in ihm wieder.

      Marit lachte wie ein Kind.

      – Nein, wie lustig Sie nur über die großen Menschen sprechen; haben Sie denn gar keinen Respekt vor großen Menschen?

      – Das habe er wahrhaftig nicht. Er habe sie alle gesehen, im Frack und im intimsten Negligée, sie seien immer so unendlich lächerlich. Sie nehmen sich so furchtbar ernst und feierlich und stolzieren in der steifen Grandezza einer gotischen Architektur einher. Ich muß dann immer an die lächerlichen Affenmenschen denken, die der Gott des Herrn Professors Nietzsche sich geschaffen hat, um an ihrem Ernste seinen Spaß zu haben.

      Falk sann nach ... Einmal nur habe er doch einen großen Menschen gesehen: einen, vor dem er sich beuge.

      – O, das müssen Sie mir absolut erzählen; das ist doch ungemein merkwürdig, daß Ihnen, Herrn Erik Falk, ein Mensch imponiert hat.

      – Ja, ja, das ist wirklich merkwürdig. Ich habe tatsächlich keinen Größenwahnsinn – noch nicht; aber ich habe noch keinen Menschen getroffen, der sich mit mir messen könnte. Aber der Mann war groß. Ich habe ihn in Kristiania getroffen. Der Mann sah klein aus; er hatte eine ungeheuer stille, befangene, linkische Manier und Augen, große, sonderbare Augen. Sie hatten nicht das obligatorisch Forschende, Spionierende von den Augen sonstiger großer Menschen. Es stak in ihnen etwas von den gebrochenen Flügeln eines Vogels, eines großen königlichen Vogels. Er hatte eine Geige, und wir gingen zusammen zu einem Bekannten. Dort tranken wir Pjolter, sehr viel Pjolter, wie wir, ja, wir guten Europäer überhaupt zu trinken pflegen. Und dann fing er zu spielen an, ganz im Dunkeln; er hatte die große Verschämtheit des überfeinen Empfindens. Niemals habe ich eine so nackte Musik gehört. Es war, als ob ich ein zitterndes Taubenherz vor mir hätte, das warm, aus der Brust herausgeschnitten ist. Es war da in der Musik etwas von einem unerhörten Jammer, der die Lungen zerrt und die Kehle würgt. Marit, süße, gute Marit: und da stiegst Du vor mir auf; aus diesem Jammer der Töne: Du, Du warst dies Taubenherz, dieser eine vibrierende Ton, der nach Glück schrie und in Qual erstarb ...

      Nein, erlauben Sie, Sie müssen mich jetzt ausreden lassen, ich muß davon sprechen ...

      – Nein, das wolle sie um keinen Preis; sie könne solche Szenen wie gestern nicht ertragen. Er solle vernünftig sein, er sei so nervös.

      Falk schwieg, Marit würgte ihre Tränen herunter. So gingen sie eine Weile schweigend.

      – Sie haben mich gestern um Freundschaft gebeten, also habe ich als Freundin gewisse Rechte.

      – Ja, das haben Sie, selbstverständlich.

      – Ob er denn wirklich verheiratet sei?

      – Nein, das bin ich nicht. Ich habe nur ein Kind, das ich über alle Maßen liebe; und zu ihm will ich nun zurück und will mit ihm leben, irgendwo in Ober-Italien – ja, das ist wirklich mein Plan. Ich liebe das Kind so unendlich; ich wüßte nichts, was ich so liebte.

      Marit wurde nervös und schwieg.

      – Das Kind nämlich sei wirklich ganz wunderbar ...

      Und nun fing Falk an von dem Kinde zu reden mit einer ganz ungewohnten Wärme und Innigkeit, und dabei richtete er seine Augen scharf auf Marit.

      Marit litt sichtlich.

      – Übrigens,