Mikita kam in immer größere Aufregung.
– Weißt Du, was ich gemacht habe?
Ich ging an ihn heran, ich zog meinen Hut bis an die Erde und sagte ihm: Erlauben Sie, gnädiger Herr, daß ich Ihnen meine höchste Bewunderung ausspreche.
Ja, weißt Du – Mikita war in einem höchst beunruhigenden Maße aufgeregt ...
– Aber was fehlt Dir um Gotteswillen, Du bist ja krank ... was hast Du denn? Mikita unterbrach Falk heftig.
– Ich? krank? ... Bist Du verrückt? Na aber, siehst Du, das hatte der Mann doch gut gemacht! Nicht wahr? Unterjochen muß man das Weib, mit der Faust, mit der Peitsche ... Erzwingen, erzwingen muß man sich Liebe ...
Er stotterte und wurde plötzlich still.
Es trat eine peinliche Stille ein.
Falk wurde unruhig. Er ließ seine Augen abwechselnd von Mikita zu Isa schweifen. Aber im Grunde mußte er sich eingestehen, daß die Szene ihn freute. Schändlich!
Isa setzte sich plötzlich auf und sagte langsam:
– Du hättest an dieser Stelle sehr gut Nietzsche zitieren können: »Vergiß die Peitsche nicht, wenn Du zum Weibe gehst!« Sonst klingt das, was Du da sagtest, beinahe wie ein Plagiat.
Es lag etwas ungemein Wegwerfendes in ihrer Stimme.
Falk sah sie erstaunt an. War es ein Bruch? – mit Mikita? ... Dieser Haß ...
Mikita wachte auf und lachte plötzlich.
– Donnerwetter, das hat Nietzsche gut gesagt, ganz verteufelt gut ... Aber was ist Euch denn? ... Ihr wurdet ja ordentlich feierlich ... Ich bin ja auch ganz verrückt.
Er wurde sehr freundlich.
– Nimm mir nur nicht übel, daß ich so aufgeregt bin, aber ich glaube wirklich, daß ich ein Delirium habe – die ganze Nacht hab ich mit dem Kerl gekneipt ... Das bekommt mir nicht gut ... Mein Onkel starb an dem schönsten Deliriumexemplar, das überhaupt in einem menschlichen Gehirne aufwachsen kann. Sein Delirium war üppig wie eine Palme, wie eine große Palme, unter der man nicht ungestraft wandeln kann, wie unsere Geistesheroen zu singen pflegen.
Er ging herum und machte sich mit den Bildern zu schaffen.
Herrgott, was sind Bilder? Ein Mensch, der genug an sich und an der ganzen Welt hat, sollte eben daran genug haben und nicht klecksen ...
Also Bilder willst Du sehen ... na ja, da mußt Du eben morgen kommen, wenn Licht da ist ... Ja, Licht muß ich haben, Millionen Quadratmeilen Licht in jedem Auge, um das zu sehen, was kein Mensch sieht. Ja, kein Mensch ... was ich nicht gesehen habe ... was ich noch sehen muß, ja muß!...
So hatte Falk Mikita noch nie gesehen. Das war nicht normal ...
– Aber was ist Dir? Wozu spielst Du diese Komödie mit mir?
– Was mir ist? Was mir ist? Glücklich bin ich! Glücklich wie noch nie!
– Aber dann brauchst Du doch nicht zu schreien!
– Ja, zum Donnerwetter, ich muß schreien, denn manchmal bekommst Du einen lustigen Zug um den Mund, als ob Du mir nicht glaubtest ... Was, Isa? Sind wir nicht glücklich?!
Aber Isa hatte jetzt genug. Jetzt prostituiert er noch das ganze Verhältnis ... Nein, es war zu viel ...
Sie erhob sich, zog sich an, und ohne ein Wort zu sagen, ging sie aus dem Atelier.
Mikita sah ihr verständnislos nach.
Er war wie zerschmettert. Dann wandte er sich zu Falk um.
– Geh Du auch! Geh geh! Ich bin zu aufgeregt, ich muß allein bleiben ... Geh, geh! schrie er ihm zu.
Falk zuckte mit den Achseln und ging. Unten holte er Isa ein.
Als Mikita allein war, verriegelte er die Tür, blieb mitten im Atelier stehen und rannte plötzlich mit seinem Kopf gegen die Wand.
Der Schmerz ernüchterte ihn.
Ich werde also wirklich wahnsinnig.
Er taumelte auf das Sofa. Der Kopf schmerzte ihn. Plötzlich wurde es ihm schwarz vor den Augen, ein Schwindelgefühl erfaßte ihn.
Das war gräßlich! Er hatte das wehrlose Weib vergewaltigt, sie gegen ihren Willen genommen. Sie gab sich, weil sie sich geben mußte, aus Pflicht, aus ... aus ...
Und er schrie mit allen Kräften:
– Schwein Du!
Seine Unruhe wuchs über ihn hinaus. Er fühlte jede Fiber in sich zittern, eine wachsende Wut staute sich in seinem Innern; er hatte das Gefühl, daß er auseinandergehe, daß Alles in ihm ausgerenkt sei, und eine furchtbare Angst hatte ihn befallen.
Es steht schlimm mit Dir, es steht schlimm mit Dir, wiederholte er unablässig.
Er packte seine Brust mit beiden Händen.
Ein wehrloses Weib vergewaltigt, eins, das nur Ekel vor ihm empfand! Warum gab sie sich hin? Weil er sie darum bat? Weil – weil ... Herrgott! Sie gab sich aus Liebenswürdigkeit hin.
Und ein Gedanke schoß ihm durch sein Hirn: Jetzt gibt sie sich Falk hin, weil er sie darum bitten wird, weil sie ihn befriedigt sehen will, weil – weil ...
Er wieherte vor Lachen, wälzte sich auf der Chaiselongue und brach dann plötzlich in ein konvulsives Weinen aus.
Er hörte sich weinen.
Und wieder wuchs ihm die Unruhe brandend in sein Gehirn, er raffte sich auf, er mußte sie zurückholen, damit Falk sie ihm nicht nehme.
Mechanisch faßte er die Mütze, er riß die Tür auf, stürzte die Treppen hinunter, rannte die Straßen entlang, bis an ihr Haus, und dann hinein: jagend, zitternd ...
– Ist Fräulein Isa zu Hause?
– Nein!
Er blieb vor dem Hause stehen. Alles stürzte in ihm zusammen.
Er wollte gehen, aber die Füße wollten ihn nicht tragen.
Er würde sicher nicht einen Schritt tun können.
Was nun, was nun? wiederholte er mechanisch.
Er blieb stehen, konnte sich auf Nichts besinnen.
Dann las er über die Straße weg: Restaurant-Café ...
Aha! Café ... Ja, bis in das Café hinein – dann sitzen, nicht wahr?... Sitzen im Sofa, Café trinken ... Zeitungen lesen ...
XI.
Isa und Falk saßen in demselben Weinrestaurant wie am vorigen Abend. Nur daß sie jetzt ganz allein waren, in einer Chambre séparée.
Niemals hatte sie das Alleinsein mit einem Menschen so genossen.
Falk hatte Champagner bringen lassen, zahlte die Flaschen und berechnete, ob es zum Bezahlen reiche, was er bei sich hatte.
Ja, es reichte – noch für viel mehr.
Sonderbar, daß er daran denken mußte.
Sie lag halbausgestreckt auf dem Sofa und blies Ringe von Zigarettenrauch in die Luft.
Sie hatte Mikita ganz vergessen. Wenn sie hin und wieder an ihn dachte, so sah sie ihn als eine zappelnde, polternde Masse, eine Art Kobold vor sich.
Ja, wie boshaft er werden konnte! Diese versteckten Anspielungen in der Wurstgeschichte.
Falk beobachtete