Ihm, dem Kaiser selbst, ging es aber natürlich, getreu dem charismatischen Prinzip der Herrschaft, ganz ebenso. Von dieser eingelebten politischen Realität ging ja diese ganze Konstruktion aus. Auch er mußte sich durch seine charismatischen Qualitäten als vom Himmel zum Herrscher berufen bewähren. Das entsprach durchaus den – erbcharismatisch temperierten – genuinen Grundlagen charismatischer Herrschaft. Charisma war überall eine außeralltägliche Kraft (maga, orenda), deren Vorhandensein sich in Zaubermacht und Heldentum offenbarte, bei den Novizen aber durch Erprobung in der magischen Askese festgestellt (je nach der Abwandlung der Vorstellung auch: als »neue Seele« erworben) werden mußte. Die charismatische Qualität war aber (ursprünglich) verlierbar: der Held oder Magier konnte von seinem Geist oder Gott »verlassen« werden. Nur solange sie sich bewährte: durch immer neue Wunder und immer neue Heldentaten, mindestens aber: dadurch, daß der Magier oder Held nicht sich selbst und seine Gefolgschaft offenkundigen Mißerfolgen aussetzte, erschien ihr Besitz gewährleistet. Heldenstärke galt ursprünglich ja ebenso als magische Qualität wie die im engeren Sinne »magischen« Kräfte: Regenzauber, Krankheitszauber und die außeralltäglichen technischen Künste[76]. Entscheidend für die Kulturentwicklung war wesentlich Eins: die Frage, ob das militärische Charisma des Kriegsfürsten und das pazifistische Charisma des (in der Regel: meteorologischen) Zauberers beide in einer Hand lagen oder nicht. Im ersten Fall (dem des »Cäsaropapismus«) aber: welches von beiden primär die Grundlage der Entwicklung der Fürstenmacht wurde. In China nun haben – wie früher schon eingehend dargelegt wurde – grundlegende, für uns aber vorhistorische Schicksale, vermutlich durch die große Bedeutung der Stromregulierung mitbedingt[77], das Kaisertum aus dem magischen Charisma hervorgehen lassen und weltliche und geistliche Autorität in einer Hand, jedoch unter sehr starkem Vorwalten der letzteren, vereinigt. Das magische Charisma des Kaisers mußte sich zwar auch in kriegerischen Erfolgen (oder doch dem Fehlen eklatanter Mißerfolge), vor allem aber in gutem Erntewetter und gutem Stande der inneren Ruhe und Ordnung bewähren. Die persönlichen Qualitäten aber, die er, um charismatisch begnadet zu sein, besitzen mußte, wurden von den Ritualisten und Philosophen ins Rituelle und weiterhin ins Ethische gewendet: er mußte den rituellen und ethischen Vorschriften der alten klassischen Schriften entsprechend leben. Der chinesische Monarch blieb so in erster Linie ein Pontifex: der alte »Regenmacher« der magischen Religiosität[78], ins Ethische übersetzt. Da der ethisch rationalisierte »Himmel« eine ewige Ordnung schützte, waren es ethische Tugenden[79] des Monarchen, an denen sein Charisma hing. Er war, wie alle genuin charismatischen Herrscher, ein Monarch von Gottes Gnaden nicht in der bequemen Art moderner Herrscher, welche auf Grund dieses Prädikates beanspruchten, für begangene Torheiten »nur Gott«, und das heißt praktisch: gar nicht, verantwortlich zu sein. Sondern im alten genuinen Sinne der charismatischen Herrschaft. Das hieß nach dem soeben Ausgeführten: er hatte sich als »Sohn des Himmels«, als der von ihm gebilligte Herr, dadurch auszuweisen: daß es dem Volke gut ging. Konnte er das nicht, so fehlte ihm eben das Charisma. Brachen also die Flüsse durch die Deiche, blieb der Regen trotz aller Opfer aus, so war dies, wie ausdrücklich gelehrt wurde, ein Beweis, daß der Kaiser jene charismatischen Qualitäten nicht besaß, welche der Himmel verlangte. Er tat dann – so noch in den letzten Jahrzehnten – öffentlich Buße für seine Sünden. Ein solches öffentliches Sündenbekenntnis verzeichnet die Annalistik schon für die Fürsten des Feudalzeitalters[80] und die Sitte hat bis zuletzt fortbestanden: noch 1832 folgte auf eine solche öffentliche Beichte des Kaisers alsbald der Regen[81]. Wenn auch das nicht half, hatte er Absetzung, in der Vergangenheit wohl Opferung, zu gewärtigen. Er war der amtlichen Rüge der Zensoren ausgesetzt[82] wie die Beamten. Vollends ein Monarch, welcher den alten festen sozialen Ordnungen, einem Teil des Kosmos, der als unpersönliche Norm und Harmonie über allem Göttlichen stand, zuwiderhandelte: – der z.B. etwa das absolute göttliche Naturrecht der Ahnenpietät alteriert hätte –, würde damit (nach der immerhin nicht schlechthin gleichgültigen Theorie) gezeigt haben, daß er von seinem Charisma verlassen und unter dämonische Gewalt geraten war. Man durfte ihn töten, denn er war ein Privatmann[83]. Nur war die dafür zuständige Macht natürlich nicht jedermann, sondern es waren das die großen Beamten (etwa so wie bei Calvin die Stände das Widerstandsrecht hatten)[84]. Denn auch der Träger der staatlichen Ordnung: das Beamtentum, galt als mitbeteiligt am Charisma[85] und daher in gleichem Sinn als eine Institution heiligen Rechtes, wie der Monarch selbst, mochte auch der einzelne Beamte persönlich, wie bis in die Gegenwart, ad nutum amovibel sein. Auch ihre Eignung war daher charismatisch bedingt: jede Unruhe oder Unordnung sozialer oder kosmisch-meteorologischer Art in ihrem Sprengel bewies: daß sie nicht die Gnade der Geister hatten. Ohne alle Frage nach Gründen mußten sie dann aus dem Amt weichen.
Diese Stellung des Beamtentums war seit einer für uns vorgeschichtlichen Zeit in Entwicklung begriffen. Die alte halb legendäre heilige Ordnung der Tschou- Dynastie, wie sie im Tschou-li überliefert ist, steht bereits auf dem Punkt, wo der urwüchsige Patriarchalismus in den Feudalismus überzugehen beginnt.
II. Soziologische Grundlagen: B. Feudaler und präbendaler Staat.
Soviel ersichtlich, war das politische Lehenswesen in China nicht primär mit der Grundherrschaft (im okzidentalen Sinn) als solcher verknüpft. Sondern beide sind, wie in Indien, aus dem »Geschlechterstaat« erwachsen, nachdem die Häuptlings sippen den alten Banden des Männerhauses und seiner Derivate sich entzogen hatten. Die Sippe stellte nach einer Notiz ursprünglich die Kriegswagen und sie war auch die Trägerin der alten ständischen Gliederung. Die an der Schwelle der sicheren geschichtlichen Kunde in einigermaßen deutlichen Umrissen erscheinende wirkliche politische Verfassung war die gradlinige Fortsetzung jener bei allen Eroberungsreichen urwüchsigen Verwaltungsstruktur, wie sie noch den großen Negerreichen des 19. Jahrhunderts eignete: dem »Reich der Mitte«, das heißt: dem direkt vom siegreichen Herrscher, als Hausmacht, durch seine Beamten: persönliche Klienten und Ministerialen, verwalteten »inneren« Gebiet um den Königssitz herum, wurden immer mehr durch Tributärfürsten beherrschte »Außen«-Gebiete angegliedert, in deren Verwaltung der Kaiser: der Herrscher des Reichs der Mitte, soweit, und nur soweit, eingriff, als die Erhaltung seiner Macht und die mit ihr verbundenen Tributinteressen dies unbedingt erheischten und: als er es vermochte. Daher naturgemäß bei zunehmender Entfernung vom Hausmachtgebiet mit abnehmender Stetigkeit und Intensität. Ob die Beherrscher der Außengebiete praktisch absetzbare oder erbliche Dynasten waren, wie oft das in der Theorie des Tschou-li anerkannte Beschwerderecht ihrer Untertanen beim Kaiser praktisch war und zu Eingriffen seiner Verwaltung führte, ob die neben und unter ihnen stehenden Beamten, wie die Theorie wollte, von den Beamten des Kaisers ernannt und entsetzt und praktisch von ihnen abhängig waren, ob also die Zentralverwaltung der drei großen und drei kleinen Räte (kung und ku) praktisch über die Hausmacht hinausgreifen konnte und ob die Wehrkraft der Außenstaaten dem Oberlehensherrn praktisch zur Verfügung stand: dies waren die jeweils durchaus labil gelösten politischen Probleme. Die politische Feudalisierung, welche sich aus diesem Zustand entwickelte, nahm nun hier