Demgegenüber wurde das chinesische Reich in historischer Zeit trotz aller Kriegszüge doch immer mehr ein befriedetes Weltreich. Zwar der Anfang der chinesischen Kulturentwicklung stand unter rein militaristischen Zeichen. Der schih, später der »Beamte«, ist ursprünglich der »Held«. Die spätere »Studienhalle« (Pi yung kung), in welcher, dem Ritual nach, der Kaiser persönlich die Klassiker auslegte, scheint ursprünglich ein »Männerhaus« (ἀνδρεῖον) in dem über fast die ganze Welt bei allen spezifischen Kriegs- und Jagdvölkern verbreiteten Sinn gewesen zu sein, das heißt: der Aufenthaltsort der Bruderschaft der durch die noch heute erhaltene »Bekappungs« -Zeremonie, zweifellos nach vorausgegangener Erprobung, wehrhaft gemachten Jungmannschaft in der Altersstufe ihrer familienfremden »Kasernierung«. In welchem Maß das typische Altersklassensystem dabei entwickelt war, bleibt fraglich. Daß die Frau ursprünglich die Ackerbestellung allein in der Hand hatte, scheint sich etymologisch wahrscheinlich machen zu lassen: jedenfalls aber nahm sie an den außer häuslichen Kulten nie teil. Das Männerhaus war offenbar das Haus des (charismatischen) Kriegshäuptlings: hier vollzogen sich diplomatische Aktionen, wie die Unterwerfung von Feinden, hier wurden die Kriegswaffen verwahrt, hierher die Trophäen (abgeschnittene Ohren) gebracht, im Verband der Jungmannschaft das rhythmische – das heißt: disziplinierte – Bogenschießen geübt, nach dessen Ergebnissen der Fürst sich seine Gefolgen und Amtsträger auswählte (daher die zeremoniale Bedeutung des Bogenschießens bis in die jüngste Zeit). Es ist möglich – wenn auch nicht sicher –, daß auch die Ahnengeister dort Rat spendeten. Trifft dies alles zu, dann würden dem die Nachrichten über die ursprüngliche Mutterfolge entsprechen: »Mutterrecht« scheint primär überall, soviel heut ersichtlich, die Konsequenz der militaristischen Familienfremdheit des Vaters gewesen zu sein[67]. In geschichtlicher Zeit lag das weit zurück. Der individuelle Heldenkampf, auch in China, wie anscheinend über die ganze Erde hin (bis Irland), durch die Verwertung des Pferdes, zunächst als Zugtier des Kriegswagens, auf die Höhe gebracht, ließ die infanteristisch orientierten Männerhäuser zerfallen: der hochtrainierte und kostspielig bewaffnete Einzelheld trat in den Vordergrund. Auch dies »homerische« Zeitalter Chinas lag aber weit zurück und es scheint, daß hier so wenig wie in Aegypten oder Mesopotamien die ritterliche Kriegs technik je zu einer so individualistischen Sozial verfassung geführt hat, wie im »homerischen« Hellas und im Mittelalter. Die Abhängigkeit von der Stromregulierung und damit von der fürstlichen bureaukratischen Eigenregie ist vermutlich das entscheidende Gegengewicht gewesen. Die Stellung von Kriegswagen und Gepanzerten wurde den einzelnen Bezirken auferlegt, ähnlich wie in Indien. Kein persönlicher Kontrakt also, wie beim okzidentalen Lehensverband, sondern die katastermäßig reglementier te Gestellungspflicht war die Grundlage auch des Ritterheeres. Doch immerhin war der »vornehme Mann« Kiün tse, (gentleman), des Konfuzius ursprünglich der waffengeübte Ritter. Aber die Wucht der statischen Tatsachen des Wirtschaftslebens ließ die Kriegsgötter nie zu einem Olymp aufsteigen: der chinesische Kaiser vollzog den Ritus des Pflügens, er war ein Schutzpatron des Ackerbauers geworden und also längst nicht mehr ein Ritterfürst. Zwar die rein chthonischen Mythologeme[68] haben keine beherrschende Bedeutung erlangt. Aber seit der Herrschaft der Literaten war die zunehmend pazifistische Wendung der Ideologien naturgegeben, – und: umgekehrt, wie wir sehen werden.
Der Himmelsgeist wurde nun – zumal nach der Vernichtung des Feudalismus – im Volks glauben ganz wie die ägyptischen Gottheiten aufgefaßt nach Art einer idealen Beschwerdeinstanz gegen die irdischen Amtsträger, vom Kaiser angefangen bis zum letzten Beamten. Wie in Aegypten (und in nicht ganz so ausgeprägter Art auch in Mesopotamien) aus dieser bureaukratischen Vorstellung heraus der Fluch des Bedrückten und Armen besonders gefürchtet war: – wir werden sehen, wie das auf die benachbarte israelitische Ethik zurückwirkte –, so auch in China. Diese Vorstellung und nur sie stand, als eine Art superstitiöser Magna Charta, und zwar als eine schwer gefürchtete Waffe, den Untertanen gegen die Beamten und ebenso gegen alle Privilegierten, auch die Besitzenden, zur Seite: ein ganz spezifisches Merkmal bureaukratischer und zugleich pazifistischer Gesinnung.
Die Zeit irgendwelcher wirklicher Volkskriege jedenfalls liegt in China jenseits der historischen Epochen. Freilich war mit der bureaukratischen Staatsordnung die kriegerische Epoche Chinas nicht abgebrochen. Sie führte seine Heere nach Hinterindien und bis in die Mitte von Turkestan. Die älteren literarisch-dokumentarischen Quellen rühmen allen andern voran