Als aber nun freilich die Sturmnacht losbrach, da hörte alles auf. Sie befanden sich unten in ihrer Foxl, klammerten sich fest, dachten ans Ende der Welt. Warum, das ist gar nicht näher zu beschreiben. Es war eben furchtbar, wie das Schiffchen um sich schlug.
So befanden sich an Deck nur zwei Mann oder vielmehr nur ein einziger Mann und ein halbwüchsiger Junge.
Der Steuermann hatte rechtzeitig alle Segel festgemacht, kräftig dabei unterstützt von Karlemann, und wenn sich der phlegmatische Lappe einmal wundern konnte, so tat er es jetzt, als er diesen Jungen neben sich arbeiten sah. Er stellte einen ganzen Mann.
Nur das Sturmsegel stand noch am Mittelmast, unter diesem flog das Schiffchen wie ein Pfeil vor dem Sturme her durch die finstere Nacht.
Karlemann stand hinten am Steuerrad, oder vielmehr in Lederschleifen hängend. Neben ihm hielt sich der Steuermann, ihm noch immer Anweisungen gebend.
Da beugte sich der Steuermann vor und lauschte.
»Ich glaube, ein Klüversegel flattert.«
Auch Karlemann hatte schon ein Klatschen gehört, wenn er einmal aus dem Wogenschwall auftauchte. Denn die Hälfte der Zeit standen die beiden unter Wasser.
Der Steuermann schalte sich aus seinen Lederriemen los, steckte den Arm durch die nächste Laufschlinge, arbeitete sich nach vorn.
Obgleich das Bugspriet, welches auch die Klüver enthält, nur zehn Meter vom Steuer entfernt war, war in dieser Finsternis doch nichts zu sehen.
Fünf Minuten vergingen – zehn Minuten – der Steuermann war noch nicht wieder zurück.
Das Klatschen hatte aufgehört, aber Knut war noch nicht wieder da.
Weitere zehn Minuten vergingen, der Steuermann hatte sich seinem jungen Kapitän noch nicht wieder beigesellt.
»Stürmann! Knut!«
Keine Antwort. In diesem Heulen und Pfeifen und Brausen nützten wohl auch keine menschlichen Worte.
Das Steuerrad war durch eine Vorrichtung festzusetzen. Karlemann tat es, glitt in den Handpferden nach vorn.
»Stürmann, wo steckt Ihr denn nur?«
Keine Antwort. Und zu sehen war von ihm auch nichts mehr. –
Ein neuer Tag brach an. Furchtbar wütete noch das Meer, aber aus dem Sturme war ein ganz schwacher Wind geworden, freundlich lächelte die Tropensonne auf das Schiffchen herab, das da wie ein junger Ziegenbock auf den weißen Wogenkämme hüpfte.
Karlemann stand am Rad, ließ es spielen. Zu seinen Füßen lugte aus dem Deck ein Eisenknopf, auf den er jetzt mehrmals trat. Infolgedessen erscholl unten im Zwischendeck eine Glocke, welche die Wache an Deck rief.
Ob sie aber kommen würden? Ja, sie kamen. Seekrank waren sie nicht geworden, und als durch die Bollaugen die Morgensonne lachte, kein Sturm mehr wütete, hatten sie wieder Mut gefaßt.
Ein Junge nach dem andern kam zum Vorschein. Daß unter solchen Umständen, wenn sich die Jacht mehr unter als über Wasser befindet, eine besondere Vorrichtung vorhanden sein muß, um aus dem Zwischendeck an Deck und wieder zurück gelangen zu können, ist begreiflich. Würde nur eine gewöhnliche Luke mit Schiebetür vorhanden sein, so würde sich beim Oeffnen derselben doch das überstürzende Wasser ins Innere der Jacht ergießen, alles ruinieren, den Aufenthalt unten unmöglich machen.
Diese Einrichtung ist ebenso einfach wie sinnreich. Im Deck ist ein Kasten eingelassen, der sich auf und nieder schieben läßt, von außen sowohl wie von innen. Der Betreffende, der von Deck aus nach unten will, steigt in den hochgeschobenen Kasten, fährt nach unten, nimmt freilich eine große Portion Wasser mit, die bei seinem Einsteigen hineingedrungen ist, kann aber unten den Kasten verlassen, ohne daß dieses Wasser herausläuft. Ebenso wird er wieder nach oben befördert.
Ist unten noch ein Vorraum, in dem man sich erst der wasserdichten Oelsachen entledigt, so kann das Innere der Jacht ziemlich trocken gehalten werden.
Immerhin läßt sich begreifen, was für ein ungeeigneter Aufenthalt das für eine verwöhnte Dame ist. Auch die Betten sind immer naß, das läßt sich nicht vermeiden.
»An die Handpferde!!« schrie Karlemann jedem einzelnen Auftauchenden zu.
Sie waren alle fünf an Deck, hängten sich fest und blickten mit ängstlicher Scheu nach ihrem kleinen, am Rade festgebundenen Kapitän.
Himmel, wie sah der aus! Abgesehen davon, daß sein sonst so rundes Gesicht plötzlich ganz mager geworden zu sein schien, rannen auch ganze Bäche Blut daran herab, aus klaffenden Wunden an Stirn und anderen Kopfteilen kommend, und ebenso war das Rad mit Blut besudelt, aus seinen förmlich zerfetzten Händen kommend.
»Leute, nehmt die Mützen ab!«
Es geschah. Karlemann hatte keine mehr abzunehmen.
»Heute nacht gegen zwei Uhr ist unser Steuermann über Bord gewaschen worden.«
Stille herrschte. Scheu blickten sie alle nach der kleinen, blutigen Gestalt, die unentwegt nach dem Kompaß das Steuerruder regierte.
Wenn ihnen je zum Bewußtsein gekommen, wie himmelhoch überlegen ihnen dieser zwölfjährige Junge war, den sie Herr Kapitän anreden mußten, so war es in diesem Augenblick. Mit Scham dachten sie daran, wie sie sich unten festgeklammert hatten, während der Steuermann und vor allen Dingen ihr Kapitän für sie gearbeitet hatten, und wie er gearbeitet, das zeigten die Spuren an seinem Körper.
Aber kein Wort des Vorwurfs, des Hohnes, des leisen Spottes.
»Seid ihr jetzt imstande wieder an Deck zu arbeiten?«
»Jawohl, Herr Kapitän,« erklang es einstimmig, und plötzlich begannen aller Augen zu blitzen.
»Gottfried Klingelmann!«
»Hier, Herr Kapitän!« entgegnete der dreizehnjährige Junge.
»Ich ernenne dich zum Steuermann.«
Es war kein Neid dabei, wie die anderen auf den Auserwählten blickten, der einen ganz roten Kopf bekam. Sie wußten wohl, daß ihr Kapitän den Tauglichsten erkannt hatte.
»Ihr habt Gottfried fernerhin mit Steuermann und mit Ihr anzureden, verstanden?«
»Jawohl, Herr Kapitän.«
»Steuermann, übernehmt das Rad! Fritz, komm mit in die Kajüte, sollst mich verbinden.«
DIE LEUCHTTURMINSEL, UND WIE KARLEMANN EINE NEUE TRIEBKRAFT ERFINDET.
Am anderen Tage tauchte in östlicher Ferne eine Küste auf. Vorher zeigte sich noch ein hoher Punkt, und da es hier keine gebirgige Landzungen gab, konnte es sich nur um eine hohe Insel handeln.
Auf einem improvisierten Tische war eine Seekarte ausgebreitet, Karlemann berechnete nach der Sonne die geographische Lage des Ortes, wo sie sich gegenwärtig befanden, sich dabei Zeit nehmend, denn er weihte gleich seinen neuen Steuermann in die Geheimnisse des Sextanten ein.
Die Berechnung war gemacht, die Seekarte und das offizielle Handbuch wurden befragt.
»Famos! Wir sind gerade vor Legala, dem Haupthafen des Aschanti-Reiches oder Aschanta, wohin ich sowieso wollte. Dann ist das dort auch die Leuchtturminsel von Legala.«
Der kleine Kapitän erklärte seinen nur wenig größeren Leuten weiter, daß die Engländer und Holländer zwar an der Küste der Aschantis viele Forts errichtet hätten, daß aber der Haupthafen Legala durch Abmachung mit allen Mächten für Fremde gesperrt sei, oder man bedürfe zum Besuche der Erlaubnis von der Hauptstadt Kumasi aus.
Daß