Dieser deutsche Zigeunerknabe schien für das Bittere zu schwärmen. Er mußte etwas mitgebracht haben, irgendeinen Bitterstoff, den er nun auch partout seinen Leuten beibringen wollte.
Die Bitterkeit des Trinkwassers war also erträglich. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hatte, störte sie kaum noch den Geschmack des Kaffees, Tees und der in dem Wasser gekochten Speisen. Bitterer war schon der Schnaps, den die Jungen ab und zu nach getaner Arbeit erhielten, allerdings mäßig, täglich höchstes zwei. Das war eben ein Bitterer, etwas sehr bitter, aber doch noch recht schmackhaft.
Anders der grüne Inhalt der Flasche, die bereits unter dem Namen ›Giftpulle‹ bekannt und gefürchtet war. Wer von den Jungen sich in etwas vergangen hatte, bei der Arbeit oder im Verkehr untereinander oder sonstwie, wer nur seine Koje nicht ordentlich gemacht hatte, der mußte einen Schluck aus der Giftpulle nehmen, das war die einzige Strafe, die es an Bord gab, aber Karlemann teilte solche Strafen auch sehr reichlich aus.
Der grüne Inhalt dieser Flasche war kein Schnaps. Es schien sonst nur Wasser zu sein. Aber der Bitterstoff?
Die Vermutung lag nahe, daß es Chinin war, das beste oder einzige Mittel gegen Fieber, durch welches man diesem auch schon vorbeugen kann. Aber man nimmt Chinin auf die Dauer nicht ungestraft regelmäßig zu sich. Es schwächt außerordentlich den Magen, zerstört die ganze Verdauung. Und diese Jungen befanden sich bei bestem Appetit und sonstiger Gesundheit.
Der Steuermann hatte einmal gefragt, on denn das Chinin sei. Und da hatte sich gezeigt, daß Karlemann überhaupt noch gar nichts von Chinin gehört hatte.
»Was ist es denn sonst?«
»Mein Geheimnis. Das wird nicht verraten. Ein Kraut, das für alles gut ist. Habe das Rezept von meiner Großmutter geerbt.«
Weiter ließ sich Karlemann nicht aus, und in der Stille seiner Kajüte ersetzte er den Inhalt der Giftpulle immer wieder und mischte dem höllischen Schnapse die grüne Galle bei.
Im übrigen war der lappländische Steuermann ein viel zu phlegmatischer Charakter, als daß er sich weiter darum gekümmert hätte. Aus der Giftpulle brauchte er nicht zu trinken, und der bittere Schnaps schmeckte ihm, an das Trinkwasser gewöhnte er sich schnell, dieser geniale Junge hatte eben immer seine Geheimnisse, er trank ja auch selber davon, also konnte es doch nichts schaden, und die fünf Jungen hatten einfach zu gehorchen.
»Wo ist der Steuermann?«
»Er schläft.«
»Weckt ihn! Wir gehen sofort in See.«
Das wirkte elektrisierend. Karlemann begab sich zunächst in die winzige Kajüte, mit raffiniertem Luxus eingerichtet. Durch die Mitte ging der Mast, früher mit Samt und Attrappen verkleidet gewesen. Das war entfernt worden, statt dessen lief jetzt um den Mast eine Stellage, in der Gewehre, Revolver, Entersäbel und andere Waffen standen und hingen, alles von Karlemann erst in Monrovia angeschafft. Auch um ein Schiffsgeschütz hatte er sich unter der Hand bemüht, aber keines auftreiben können, das ihm für seine Miniaturjacht gepaßt hätte.
An der Hinterwand, über dem Steuer, befand sich ein rundes Fenster, größer als sonst die sogenannten Bollaugen, durch die man nicht den Kopf stecken kann. Durch dieses Fenster konnte man es, und Karlemann tat es, blickte hinab, griff mit der Hand nach, tastete und zog durch das Bollauge einen dünnen Stahldraht, zog immer weiter, bis durch das Fenster ein schlauchähnlicher Beutel kam.
Karlemann öffnete ihn nicht erst, ließ nur das Wasser etwas ablaufen, dann verschloß er ihn in den kleinen Panzerschrank, in dem die frühere Besitzerin einst ihr Geld und ihre Juwelen verwahrt hatte.
Dasselbe tat jetzt Karlemann mit seinen eigenen Schätzen. Also außer Bord, im Wasser hatte er das Geld und all die Schmucksachen, die er den Negern abgenommen, bisher aufbewahrt! Hatte den ganzen Sack nur an einem Stahldraht, der ja allerdings eine große Last trägt, hängen gehabt.
Man weiß nicht, ob das von dem Jungen ein bodenloser Leichtsinn oder eine ganze geniale Vorsichtsmaßregel gewesen war. Jeder hätte in einem Boote nach der Jacht rudern, den Draht abschneiden können. Aber eben erst auf so einen Gedanken kommen! Der dünne Draht war vielleicht kaum zu sehen gewesen, konnte noch unter Wasser an den Schiffsplanken befestigt gewesen sein.
Jedenfalls war Karlemann noch im Besitze seiner unversehrten Schätze, und jetzt sollte es ja in See gehen, wo nur noch die Elemente räubern konnten.
Auf der Seewarte beobachtete man, wie auf der kleinen Jacht die zwerghaften Matrosen unter einem lustigen Gesang taktmäßig um das Gangspill marschierten; die Anker wurden gehievt, dann entrollte sich ein Segel nach dem andern.
»Das Kinderschiff will in See stechen. Das müssen wir verhindern.«
Ja, sie sollten es einmal verhindern! Der schon in Fahrt befindlichen Jacht etwa eine der Kanonenschaluppen nachschicken, vorausgesetzt, daß eine solche unter Dampf lag?
Die kleine Jacht mit den unverhältnismäßig hohen Masten legte sich nach Backbord über, als wolle sie kentern, richtete sich wieder auf, und dann schoß sie wie eine weiße Möwe davon, bei diesem Winde auch nicht vom schnellsten Schnelldampfer einzuholen.
Zwei Tage und zwei Nächte wurde unter Leitung des speziell im Jachtdienst ausgebildeten Steuermanns exerziert, wurden alle Manöver ausgeführt und immer wiederholt. In der dritten Nacht hörte das Ueben auf, der furchtbare Ernst trat an die kleinen Seefahrer heran, ein Nordsturm war zu überstehen.
Da lernte auch Karlemann zum ersten Male kennen, was der Dienst auf einer Jacht zu bedeuten hat. Jachtmatrosen sind eben die Elite der ganzen Seemannschaft. Es müssen halbe oder vielmehr ganze Akrobaten und Jongleure sein, außerdem echte Wasserratten, die sich am wohlsten in dem nassen Elemente fühlen, unempfindlich gegen Kälte und alles.
Die Jacht besaß auch eine geschlossene Bordwand, welche durch wenig Handgriffe aufgerichtet werden konnte. Dies aber geschah nur bei ganz mäßig bewegter See, um das Ueberkommen von Wellen zu verhindern. Ging die See höher, so war es besser, sie spülte gleich direkt über Deck, als daß sich das Wasser dort versackte und die ganze Jacht einer vollen Badewanne glich; denn da halfen doch keine Ausflußlöcher mehr, im nächsten Augenblick hatte sich die Wanne schon wieder vollgeschöpft.
Wie sich aber nun die kleine, schmale Rennjacht mit den ungeheuer hohen Masten bei sturmgepeitschter See gebärdete, das spottete jeder Beschreibung. Eben immer unter Wasser.
Die Segel aber müssen dennoch bedient werden. In der Takelage arbeiten, das geht noch, aber sich an Deck aufhalten, das ist die Kunst, wozu sich nur fünf Prozent von der ganzen Seemannschaft eignet, und die Hälfte davon verläßt bald wieder mit Grausen diesen Jachtdienst.
An ein freies Aufrechtstehen ist da überhaupt nicht zu denken. Es kann nur gekrochen werden. Aber Schnelligkeit, Fixigkeit ist die Hauptbedingung, die man von Jachtmatrosen fordert.
An der starken Stange des Geländers liefen Lederschlingen entlang, durch welche man den Arm streckte, um nicht fortgespült zu werden. Da aber die Laufstange doch an gewissen Stellen mit dem eigentlichen Geländer verbunden war, über welche die Lederschlinge nicht hinweg konnte, so waren viele solcher Lederriemen vorhanden, auf jeder Seite sechzehn. Um sich also an Deck entlangbewegen zu können, mußte man immer aus einer Lederschlinge in die andere schlüpfen, und dies galt nicht nur für den einzelnen Mann, sondern die Matrosen müssen gelernt haben, sich gegenseitig auszuweichen, die Lederschlingen von Hand zu Hand gehen zu lassen, oder vielmehr von Arm zu Arm, und mit ebensolchen Lederschleifen sind die Masten und die Rahen und überhaupt alles versehen, und eben sich dieser bedienen zu können, das ist die Kunst, welche den Jachtmatrosen zum Akrobaten macht. Denn nur ein einziger Fehlgriff, zwei sich begegnende Matrosen übergeben sich nicht rechzeitig die Schlinge, sie nicht schnell genug über den Arm streifend – schwubb ist der Mann fort, sind alle beide verschwunden, auf Nimmerwiedersehen über Bord gewaschen!
Dieses Vertauschen der Lederschlingen, Handpferde genannt,