Denn der Wal lebt bekanntlich nicht von Fischen, nicht einmal von den kleinsten, verschluckt er solche, so geschieht dies nur zufällig. Sonst bilden sein Futter ausschließlich Mollusken und andere Weichtiere, jedenfalls sind seine Hauptnahrung überhaupt mikroskopische Lebewesen, indem das eingeschlürfte Wasser, das er wieder ausspritzt, erst durch ein ganz feines Filter gehen muß, so daß alles andere zurückbleibt, was dann verschluckt wird, und an solch kleinen Lebewesen, die nicht gerade Infusorien zu sein brauchen, konnte ja nun hier an der Grenze der Fucusbank kein Mangel sein.
Wir ruderten in die geräumige Bucht ein. Ihre Küsten wurden also von Felsen gebildet, die aber ein dichtes Heranfahren und Landen gestatteten, ebenso wie die Wälle von faulendem Fucus, der sich ebenfalls hier angehäuft hatte.
Auf Felsvorsprüngen lagen einige Seehunde und Seelöwen – allerdings eine etwas andere Art wie die der arktischen und antarktischen Zone – welche uns neugierig anblickten, sonst aber ruhig liegen blieben – ein Zeichen, daß sie den Menschen noch nicht kennen gelernt hatten, wenigstens noch nicht von Robbenschlägern verfolgt worden waren. Als wir freilich näher kamen, ergriffen sie die Flucht, und das tut ja jedes Tier vor dem zweibeinigen Ebenbilde Gottes.
Ich hatte konstatiert, daß der Dampfer bis dicht an das Land heranfahren konnte. Die Felsen fielen steil in das Meer hinab. Günstiger also hätten wir es gar nicht finden können.
Und dann kam der feierliche Moment, da wir dieses jungfräuliche Land betraten. Ich ließ Blodwen den Vortritt. Zuerst aber mußten wir über den Wall von Seetang hinweg, der eben keinen angenehmen Geruch ausatmete, wenn er auch erträglich war, dann ging es über Felsformation hinweg, auch zwischen Felsen hindurch, und dann berührte Blodwens Fuß grasigen Boden.
»Einen Namen, Richard!« flüsterte sie.
»Blodwenia sollst du heißen!« rief ich sofort, dabei aber den Gedanken zurückdrängen müssend, daß wahrscheinlich schon vor uns jemand diesem Lande einen Namen gegeben hatte.
Immerhin, es war ein der übrigen Welt noch unbekanntes Festland, wie groß oder wie klein es nun auch sein mochte – wir kannten seinen Namen noch nicht, deshalb hatten wir ein Recht, dieses Land zu taufen, und so manche Insel führt ja ebenfalls zwei und noch mehr Namen.
Im übrigen hatte ich keinen anderen Anblick, als den ich schon von der Rahe aus gehabt. Prärie, oder richtiger afrikanische Steppe, hier und da ein Baum, der einen recht dürftigen Eindruck machte – ich verstehe von Botanik sehr wenig, ich hielt sie für Lebensbäume, die Blätter waren so halb Laub, halb Nadeln, im Hintergrunde immer noch der Berg, – und kein einziges lebendes Wesen.
»Ui je,« erklang da hinter mir der Ruf eines Matrosen, »was für ein großes Stück Bernstein – ganz weißer Bernstein!«
Ich drehte mich schnell um. Hein, ein Ostfriese, stand auf dem grauen Wall und hielt das kopfgroße Stück einer weißen Masse in der Hand, und in diesem Augenblick zuckte es durch mein Hirn: Bernstein ist es, was sich hier im Laufe der Jahrtausende angesammelt hat!!
Nun, dann konnten wir uns gratulieren. Bernstein ist ein gar kostbares Material, zumal wenn er sich in solch mächtigen Stücken vorfindet.
Aber gibt es denn solch weißen Bernstein?
Dann hatte ich das Stück selbst in der Hand und …
»Ambra!« rief ich. »Bei Gott, es ist Ambra!!«
»Und hier ist ja noch ein Stück – und hier – und hier – na, nu kiek mal hier!!«
Die Matrosen brauchten in dem losen Seetang nur etwas zu wühlen, überall kam solches weißes Zeug zum Vorschein, in kopfgroßen Stücken, zuletzt hoben zwei Matrosen einen Klumpen hoch, vielleicht einen Viertelmeter im Durchmesser. Und immer wieder, wo man mit dem Fuße den Seetang zur Seite räumte, kamen solche Stücke zum Vorschein.
Die Matrosen fingen schon an zu jubeln. Denn die wußten bereits, was Ambra zu bedeuten hat. Ich selbst mußte erst meine furchtbare Erregung niederkämpfen, ehe ich Blodwen eine Erklärung geben konnte.
Seit uralten Zeiten haben Schiffer auf dem Meere ab und zu weiße Stücke schwimmen sehen, von der Größe einer Erbse bis zu ganz gewaltigem Umfange. Kleine Stückchen kommen nie allein vor – dann würde man sie auf bewegter und selbst auf ruhiger See wohl schwerlich entdecken – sondern dann sind immer viele beisammen, man spricht sogar von einem milchigen Brei, der aber in allen Farben schillert, sich dadurch verrät, und jedenfalls ballt sich diese milchige oder richtiger ölige Masse bald zusammen, auch noch die kleinen Stücke kleben zusammen, bis sie ein großes Ganzes bilden.
Von unendlichem Jubel wird das Schiffsvolk erfüllt, welches diese Masse entdeckt und auffischen kann.
Es ist Ambra.
Was ist Ambra?
Ja, du lieber Gott – das weiß man heute noch nicht. Denn wenn in jedem Jahrzehnt jeder Gelehrte eine neue Theorie aufstellt, was Ambra ist, so gibt man doch zu, es nicht zu wissen.
Dem Aeußeren nach ist es eine Art von Harz, am besten vergleichbar mit Bernstein, nur daß es weiß aussieht. Es läßt sich auch wie Harz kauen, schmeckt sehr aromatisch, riecht beim Erhitzen und Verbrennen noch aromatischer.
Die Hauptsache ist, daß Ambra stets viel kostbarer als Gold gewesen ist. Damals, zu meiner Zeit, wurde rohe Ambra von jedem Händler, der sich auf so etwas einließ – das tut aber wohl jeder, denn dabei ist dann noch schweres Geld zu verdienen – das Pfund zum festen Satze von 112 Pfund Sterling oder 800 Taler angekauft. Da ein Pfund gediegenes Gold etwa 1000 Mark kostet, so ist Ambra also mehr als doppelt so viel wert – wobei freilich zu bedenken ist, daß es zwanzigmal leichter als Gold ist. Immerhin, es wird mit der mehr als doppelten Menge Goldes aufgewogen, und da es immer seltener gefunden wird, wird es auch immer kostbarer.
Denn Ambra ist seit undenklichen Zeiten für den ganzen Orient bis ins innerste China hinein ein unersetzbares Material gewesen. Bis heute noch gilt sie als ein Mittel, das Leben zu verlängern, überhaupt als kosmetisches Mittel, wird gekaut, geschnupft, geraucht, in zahllosen Elixieren innerlich und äußerlich angewendet, es gibt im ganzen Orient keine Medizin, in der nicht Ambra die Hauptrolle spielt.
Wer die Bedeutung des Moschus für unsere Parfümfabrikation kennt, für den möchte man Ambra mit Moschus vergleichen. Denn ohne Moschus ist keine Parfümfabrikation möglich. Besser aber noch könnte man die Notwendigkeit der Ambra für den Orient mit der unserer Seife vergleichen.
Die Größe des Handels mit Ambra läßt sich gar nicht taxieren. Denn am meisten wird doch in den chinesischen Gewässern gefischt, dann weiter oben und unten im Norden und Süden, das ist ja überhaupt nur so ein Gelegenheitsgeschäft, und so viel weiß man, daß die Ambra immer seltener auf dem Meere schwimmend angetroffen wird, weswegen ihr Preis also immer mehr steigt.
Auf alle Fälle, so viel hat man nun doch herausbekommen, ist die Ambra ein Produkt des Walfisches, speziell des Potwales. Man hat in der Harnblase dieses Seesäugetieres eine ölige Flüssigkeit und wohl auch Stückchen gefunden, welche Aehnlichkeit mit der Ambra haben. Deshalb hat man die Ambra für einen krankhaften Blasenstein des Potwales gehalten, dessen er sich von Zeit zu Zeit entledigt.
Das richtigste wird wohl sein, daß der Walfisch die Ambra zur Zeit des Begattungstriebes erzeugt und während der Paarung von sich gibt. Und daher auch diese Unmenge von Ambra hier! Seit ungezählten Jahrhunderten hatten die Wale in dieser Region ungestört ihrem Fortpflanzungsgeschäft nachgehen können, diese Küste war von jeher der Sammelpunkt der verliebten Männchen, hier gaben sie sich mit den schöneren Hälften Rendezvous; daher hatte sich seit ungezählten Jahrhunderten die kostbare Ambra hier so angehäuft.
Ich war noch immer äußerst erregt, während ich Blodwen dies erklärte.
»Ich zweifle nicht, daß diese Ambra hier einfach unerschöpflich ist – da, man braucht ja nur mit dem Fuße den Seetang oberflächlich fortzustoßen – da schon wieder ein mächtiges Stück – und je tiefer man gräbt, desto mehr wird man finden. Wir werden schiffsladungsweise ausführen können. Und weißt du,