So durfte ich in der mondlosen Nacht nicht wagen, weiter westwärts zu gehen. Ich ließ also während der ganzen Nacht den Dampfer langsam vor- und rückwärts fahren, um mich nicht einspinnen zu lassen, und setzte erst mit Anbruch des Morgens den Weg fort.
Immer deutlicher trat das Gebirge hervor, dann aber konnten wir auch schon unterscheiden, wie sich darunter hügeliges und zuletzt flaches Land fortsetzte, und ich ließ bereits die Peilstange gebrauchen.
Es war in der neunten Morgenstunde, als wir sagen konnten, daß wir jetzt das Land direkt vor uns hatten.
Eine Küste mit vielen Ausbuchtungen zog sich vor uns entlang, sich gleichsam wie ein Wall aus der grünen Wiese emporhebend, von einer mehr grauen Färbung.
Das war einfach losgerissener Seetang, der sich hier längs der Küste angehäuft hatte, der schon vertrocknet war.
Für uns war nun die Hauptsache, wo wir landen konnten, und dann gab es noch etwas Besonderes zu bedenken.
Einen Landungspunkt würden wir schon finden, und wenn wir nicht dicht herankommen konnten, so mußten wir uns eben in Booten an Land begeben.
Was würde dann aber unterdessen aus dem Dampfer werden? Wir wußten ja, sobald er still lag, begannen sich die jungen Triebe des Seetangs emporzuranken, ihn in ihre Umarmung nehmend. Dann also durfte der Dampfer mindestens niemals still liegen, mußte immer in Bewegung gehalten werden.
»Aber es ist doch merkwürdig,« meinte Blodwen, »daß der aufgehäufte Seetang dort den jungen Trieben gar nicht als Anhaltepunkt dient, denn die Wälle sind doch offenbar schon alt, vom letzten Sturm aufgetürmt, deshalb sehen sie so grau aus.«
Blodwen sprach dasselbe aus, was ich schon früher auseinandergesetzt habe. Hier hatte die Natur der Kletterei auf irgendeine Weise eben Schranken gesetzt. Denn würde der Wall den Schlingpflanzen als Stützpunkt gedient haben, so müßte sich diese Insel doch nach allen Seiten ins Endlose ausbreiten. Dann war es nicht anders zu erklären, als daß der frische Seetang den schon vertrockneten als Halt verschmähte. Wenn aber nun immer wieder frische Triebe kamen, mußte denn da überhaupt ein ausgetrockneter Fucuswall entstehen?
Doch vergebliches Mühen, mit unserem schwachen Menschengeiste das Walten der Natur verstehen zu wollen.
Dann machte ich noch eine andere eigentümliche Entdeckung.
Dort mehr nach rechts wurde der Fucuswall offenbar von Felsen unterbrochen, welche bis dicht an die Küste herantraten.
Gewiß, das war eine hohe Felsformation, ziemlich bizarr, aus schwarzem Gestein bestehend. Warum hatte sich nun an diesem kein Fucus emporgerankt, wo die spitzen Steine den Schlingpflanzen doch vortreffliche Anhaltepunkte hätten geben müssen? Durch das Fernrohr hätte ich schon die einzelnen, hellgrünen Pflanzen unterscheiden können, und auch nicht das geringste war davon zu merken.
Da machte der Matrose, den ich als Ausguck auf die oberste Rahe des vordersten Mastes postiert hatte – den vielberühmten Mastkorb gab es schon damals nicht mehr, erst die modernen Passagierdampfer haben ihn in allerletzter Zeit wieder eingeführt – durch ein lautes Hallo auf sich aufmerksam.
Ich schwenkte ein Tuch, zum Zeichen, daß ich auf seine Mitteilung warte.
»Dicht an der Küste ist ganz freies Fahrwasser!« schrie er herab.
Ich enterte hinauf. Schon von der Marsrahe konnte ich dieselbe Wahrnehmung machen.
Ja, längs des Walles, mit dem die ganze Insel umsäumt schien, glänzte ein breiter Wasserstreifen, scharf begrenzt von der Fucuswiese, und der Matrose ließ sich durch die Entfernung täuschen, das war nicht nur dicht an der Küste, sondern die Breite dieses freien Fahrwassers betrug mindestens eine Seemeile. Wir waren doch noch ziemlich weit entfernt.
Was ich sonst hinter dem Grenzwalle erblickte, war grünes Land, prärieartig, etwas hügelig, ab und zu mit Bäumen bestanden, weiter hinten wohl ein ganzer Wald, im Hintergrund das schon früher geseheneGebirge.
Von einer Insel darf ich jetzt gar nicht mehr sprechen; denn eine jenseitige Küste war nicht zu erblicken, obgleich das Gebirge sich nicht endlos hinzog, sondern mehr mit einem isolierten Berge zu vergleichen war, der sich aus dem Hügellande erhob.
Ich glitt wieder an Deck und bestimmte sofort die Richtung nach einem Landungspunkte, den ich ebenfalls oben erspäht hatte. Ob wir mit dem Dampfer so nahe heranfahren konnten, das war freilich erst abzuwarten.
Noch eine halbe Stunde unter emsigem Peilen mit der Stange, ohne daß Grund zu erreichen war, dann hörte die grüne Fucusbank plötzlich wie abgeschnitten auf. Auch nicht ein einziges Pflänzchen trieb auf der Wasserfläche, die uns noch in einer Breite von mindestens tausend Metern von der Küste trennte.
Woher kam diese scharfe Grenze? Nun, das ließ sich schon erklären. In der Nähe der Küste war der Meeresboden eben von einer Beschaffenheit, welche dem Fucus nicht zusagte, sein Wachstum hinderte.
Das hundertmetrige Lot fand noch keinen Grund. Wir dampften in das offene Wasser hinein, dasselbe wie einen alten, lieben Bekannten begrüßend. Wahrhaftig, wir hatten uns auch lange genug nach seinem Anblicke gesehnt, wir hatten das Gefühl, wie wenn man in klarem Wasser ein erquickendes Bad nimmt.
Bis gegen dreihundert Meter dampfte ich noch an die Küste heran, ohne Grund zu finden, dann aber hielt ich es für geratener, die weitere Peilung doch lieber vom Boote aus zu machen. Denn wenn wir hier auf Grund gerieten, dann saßen wir vielleicht für immer fest.
So ließ ich die Jolle aussetzen, um jene Bucht auszukundschaften, die ich schon von der Rahe aus erspäht hatte.
Von einem Tierleben hatte ich bisher noch nichts bemerkt. Auch die Vögel, die wir zuerst so massenhaft gesehen, schienen verschwunden zu sein. Nachträglich zu erwähnen habe ich nur noch, daß wir schon immer zwischen dem Seetang zahlreiche Muscheln, Schnecken, Mollusken, Spinnen und andere Wassertiere niederer Art beobachtet hatten, und diese grüne, schwimmende Wiese mußte ja auch für diese das geeignetste Revier abgeben. Von Fischen dagegen war in dem grünen Brei niemals etwas zu bemerken gewesen.
Hier nun, am Rande der Fucusbank, beobachtete ich zahllose kleine und große Fische, welche zwischen den senkrecht stehenden Halmen hin und her schossen, und ich sollte alsbald noch etwas ganz anderes zu sehen bekommen.
Das Boot, außer mir mit vier Matrosen und dem zweiten Steuermann besetzt, wozu dann noch Blodwen kam, welche gern als erste dieses Land betreten wollte, hatte sich erst wenige Ruderschläge von dem stilliegenden Dampfer entfernt, als das bisher ganz glatte Wasser in heftige Bewegung geriet, und pustend und spritzend kam aus der Bucht, die ich mir als Ziel ausersehen hatte, eine große Herde Walfische heraus.
Es waren Potwale, die größte Sorte, in allen Meeren verbreitet, außerdem wohl der einzige Wal, der verwundet absichtlich das Boot und sogar ein großes Schiff angreift, diesem durch Schwanzschläge auch wirklich gefährlich werdend.
Und nun kam diese ganze Herde riesenhafter Wale, deren Zahl gar nicht schätzbar war, dazwischen auch viele Junge, direkt auf uns zu, im Nu waren wir mitten zwischen ihnen.
Da darf man ruhig gestehen, daß einem das Herz in die Hosen rutscht, deshalb braucht man kein Feigling zu sein. Uebrigens befanden wir uns schon in anderer Weise in direkter Gefahr. Wenn schon der große Dampfer ganz tüchtig zu schlingern begann, so erst recht unsere Nußschale von Boot, das sich im Nu mit Wasser füllte.
Doch die Wale kümmerten sich sonst gar nicht um uns, wir waren nur so zufällig in ihren Weg gekommen, sie tauchten unter dem Schiffe hinweg und waren verschwunden, während wir eiligst daran gingen, unser Boot leer zu schöpfen.
Es waren nicht die einzigen Wale gewesen, die wir hier erblicken sollten. Waren die Tiere durch die Fucusbank auf diese Region hier beschränkt? Dadurch, daß sie uns nicht weiter beachtet hatten, konnten wir darauf noch nicht schließen. Der Wal ist ja an sich ein ganz harmloses Tier, außerdem ein sehr dummes.