»Aber ich … wir haben doch so viele Advokaten zu Rate gezogen … «
»Bah, Advokaten! Sie haben mir die Sache ja ausführlich genug geschildert. Diese Linksanwälte werden sich doch hüten, die Lady aufzuklären, an Bord ihres Schiffes kann sie nicht mehr geschröpft werden.«
»Und Sie sind Ihrer Sache sicher?«
»Nu allemal! Ich habe mich jetzt während der letzten Reise auf mein Kapitänsexamen präpariert, da hatte ich gerade mit solchen Geschichten viel zu tun. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, das kann Ihnen jeder nur einigermaßen intelligente Matrose sagen.«
»Da muß ich doch gleich einmal einen Rechtsanwalt konsultieren … «
»Na, meine liebe Frau, nun hören Sie aber bald auf! Wenn ich, Richard Jansen, etwas so bestimmt behaupte, dann stehe ich auch mit meinem Kopfe dafür ein – also können Sie es mir glauben – oder Sie können heute abend der Lady meinen Kopf gesalzen und getrüffelt vorsetzen.«
Da sprang die Dame mit leuchtenden Augen auf.
»Mein Gott – da habe ich viele Jahre lang mein Hirn Tag und Nacht zermartert,« rief sie, zur Decke emporblickend, »da habe ich Hunderttausende an Advokaten gezahlt – und ein einfacher Matrose muß es sein, der mich eines anderen belehrt, mir einen Ausweg aus dieser Hölle zeigt!!«
Ich belehrte sie diesmal nicht, daß ich kein einfacher Matrose, sondern ein Steuermann sei und jetzt schon Pastor hätte sein können – mir fiel auch nicht auf, daß Mrs. Milner jetzt von sich selbst sprach.
»Und wissen Sie, was das zu bedeuten hat, so sein eigenes Schiff zu besitzen?«
Und jetzt war ich es, der wohl eine Stunde lang ununterbrochen redete, ich sprach wie ein Buch, von Begeisterung hingerissen, mein Mund strömte über, denn die Worte wurden vom Herzen diktiert – wirklich, ich hätte einen ausgezeichneten Pastor abgegeben.
Was ich sprach, brauche ich hier nicht niederzuschreiben. Denn ich habe alles, was ich ersehnt, wovon ich auf einsamer Nachtwache geträumt – ich habe alles ausgeführt, selbst erlebt, ich habe mein Ideal verwirklicht, wovon der Leser noch genug hören wird.
»Was König, was Kaiser – bah! Wie kann sich der mit einem selbständigen Kapitän messen! Sie sind Sklaven gegen ihn. An Bord meines Schiffes bin ich allmächtig. Wer nur einen Finger gegen mich zu erheben wagt, den schieße ich auf der Stelle nieder, und jedes irdische Gericht spricht mich frei. Welcher König oder Kaiser dürfte das? Selbst ein Zar und ein Schah von Persien hätte dann noch Blutrache zu fürchten – ein Kapitän weiß davon nichts. Es ist nicht schön, gleich von Totschlag zu sprechen – und dennoch, nichts kennzeichnet die ungeheuere Machtstellung eines Kapitäns besser, als diese seine Gewalt über Leben und Tod. Gewiß, es ist die höchste Gewalt, die ein Mensch auf der Erde erlangen kann – doch nicht auf dem Lande liegt sie, sondern auf dem Wasser, an Bord des Schiffes, dieser Welt für sich.«
Das waren meine letzten Worte gewesen, ich verstand zu sprechen und meine Zuhörer mit fortzureißen. Ihre erst leuchtenden Augen waren flammend geworden. So sprang sie auf, um durch einige Gänge ihrer Erregung Luft zu machen.
»Bei Thor und … «
Sofort brach sie ab, schnalzte mit den Fingern, und ganz kalt kehrte sie nach ihrem Stuhle zurück.
»Zu dumm, jetzt habe ich mir diesen Ausruf meiner Cousine auch schon angewöhnt. Ja, Sie haben mir eine wunderbare Perspektive eröffnet. Ich werde dies alles sofort der Lady vortragen. Und Sie sind doch bereit, der Kapitän ihres Schiffes zu werden?«
In diesem Augenblick sah ich die Lady vor mir, wie sie unter den römischen Rittern und Jungfrauen Ohrfeigen verteilte, wie sie meinen Kleidersack vor sich auspacken ließ … und was ich dachte, mochte in meinem Gesicht zu lesen sein.
Da beugte sich ihre Doppelgängerin, deren Charakter aber so ganz anders war, vor und legte ungeniert ihre Hand auf mein Knie, schaute mir bittend ins Auge.
»Wissen Sie, wer Sie sind?«
»Ich? Nee! O ja, das weiß ich so ziemlich.«
»Sie sind ein wunderbarer Mann. Jedes Ihrer Worte, so ausgesprochen, wie nur Sie es können, muß auf ein niedergedrücktes Gemüt wie heilende Medizin wirken. Die Heilkraft entspringt Ihrem eigenen Gemüt, welches von Gold ist. Bitte, unterbrechen Sie mich nicht – ich kenne keine Schmeichelei. Lassen Sie diese Ihre Heilkraft der unglücklichen Lady zuteil werden. Ach, wenn Sie wüßten, wie unglücklich sie ist! Und sie selbst weiß bereits, daß sie nur von Ihnen Heilung zu erwarten hat. Nur einen einzigen Menschen möchte sie auf der Erde haben, dem sie sich rücksichtslos anvertrauen darf. Das ist ihre Sehnsucht bei Tag und Nacht, und wie Sie über die Planke gesetzt kamen, da war es ihr, als ob ihr der Retter vom Himmel herabgekommen wäre. Das war ja auch der Fall. Sie haben ihr das Leben gerettet.
»Stolz gingen Sie davon, ohne einen Dank abzuwarten, ohne nur noch einmal den Kopf zu wenden. Lady Blodwen ließ Sie zurückholen. Durch alles, was sie schon durchgemacht hat, leidet meine arme Cousine an einer Art Verfolgungswahn. Ihr Mißtrauen kennt keine Grenzen. Konnten Sie nicht von der Gegenpartei engagiert sein? Konnten Sie nicht mit Absicht den Stier gereizt, auf sich gelockt haben, daß er Ihnen nachstürmte, gerade auf die Holzplanke zu, hinter welcher Sie die Lady wußten? Konnte das nicht abgekartete Mache sein, daß Sie der Lady Lebensretter wurden, um sie sich Ihnen zu verpflichten, um ihr Vertrauen zu gewinnen, um dieses dann zu mißbrauchen …«
»Oho!!!«
»Bitte. Es ist ja eine ganz krankhafte Phantasie, von welcher die Lady gemartert wird. Verstehen Sie denn das nicht?«
»O ja, ich verstehe. Fahren Sie fort.«
»Sie kamen zurück. Zum ersten Male sah Lady Blodwen einen Mann mit ungebeugtem Nacken vor sich stehen, und jedes Ihrer Worte enthielt einen beleidigenden Trotz. Und doch, so mußte der Mann beschaffen sein, dem sie sich anvertrauen durfte. Aber konnte dies alles nicht immer noch nur eine kunstvolle Berechnung sein? Wollte man es einmal auf diese Weise versuchen, sich bei ihr einzuschleichen? Gewißheit mußte sie haben! Sie wurden einige Stunden festgehalten. Jetzt dürfen Sie es auch erfahren: es war kein Versehen des Dieners, sondern Befehl der Lady, daß man Sie einschloß. Verzeihen Sie ihr, sie ist ja eben …«
»Kein Wort mehr davon, der nehme ich überhaupt nichts mehr übel.«
»Ich danke Ihnen. Nun, Sie machten sich ja auch sehr wenig aus dem vorgeschobenen Riegel. Unterdessen also jagte eine Equipage nach London, nach der Cablestreet, um Erkundigungen über Sie einzuziehen. Eine kleine, sehr dicke Frau, wohl die Boardingmasterin, gab Auskunft über Sie … «
»Das war die Fatje Mine. Und was sagte sie?«
»Ein prächtiger Mensch, treu wie Gold, aber wenn er drei Tage an Land ist, niemals mehr einen Penny in der Tasche. Und so flossen alle über der Bewunderung, und ganz besonders das Dienstmädchen oder was es war … «
»Das ist die Mary,« nickte ich.
»Der Diener war beauftragt, gleich Ihre Sachen mitzubringen. Es waren Schulden darauf, ungefähr sieben Pfund, der Diener, ein höherer Angestellter, hatte so viel bei sich, er löste die Sachen aus. Der alte David, der einzige, der die Lady aus Amerika hierher begleitet hat, der allein auf die Lady einigen milden Einfluß hat, machte sie darauf aufmerksam, daß Sie trotziger Mann sich wohl schwerlich solch einen Eingriff in Ihre Rechte gefallen lassen würden, und ich warnte desgleichen. Aber bei der Lady Blodwen ist ja alles vergeblich, die kennt nur eins: ihren Willen. Nun, Sie haben es ihr ja ordentlich gegeben. Und zum zweiten Male gingen Sie davon, diesmal im Zorn, in Verachtung. Ach, wenn Sie die Lady gesehen hätten! Und sie war sowieso schon furchtbar unglücklich, sie hatte in ihrer ersten Heftigkeit gleich Juno erschießen lassen …«
»Juno? Doch nicht die Löwin?«
»Jawohl. Ihr erster Befehl war gewesen, die Löwin, welche vor dem Stier die Flucht ergriffen, zu erschießen, und es war geschehen. Und sie hatte das anhängliche Tier geliebt. Zu spät sah sie ein, daß sie von der Löwin nicht verlangen konnte,